Erster Gedichtband von Brigitte Hermann erschienen
Ausgabe Nr. 2793
,,Eine Sammlung meiner zeitlich, räumlich und inhaltlich unterschiedlich entstandenen poetischen Niederschläge, die hoffentlich nicht schlagen, erschlagen, sondern vielleicht ein wenig berühren“. So beschreibt die in Hermannstadt geborene und heute in Dachau lebende Brigitte Hermann ihren jüngst im Hermannstädter Armanis-Verlag erschienenen ersten Gedichtband, in dem sie 80 Gedichte veröffentlicht, die „aus der Menge ragen“ – um gleich eine sprachliche Anleihe bei ihr zu machen. Schon im Titel „Untiefenfrei“ lässt sie die Sprache schillern und spielt durch Doppeldeutigkeiten mit Leser und Leserin, deren Aufmerksamkeit sie schnell auf ihre Seite(n) bringt.
Eine Untiefe bezeichnet üblicherweise einen Gewässerbereich, wo es besonders flach ist. So weit, so einleuchtend, denn seicht ist diese Lektüre wirklich nicht. Andererseits kann das „Un“ vor der Tiefe auch steigernden Charakter haben, wie in Unmenge, und tatsächlich gebraucht sie im Gedicht „Vincent’s blaue Nacht“ das Wort genau so: „…endlos in Untiefen des Firmaments…“
Während wir noch grübeln, beginnt ein „Spaziergang durch die poetische Fantasie“ der Autorin, die als studierte Germanistin die Sprache beherrscht, damit jongliert, sie variiert oder bei Bedarf auch anreichert. „Regenbogenfarben“ verdichtet sie zu einem „Garbenwogensegen“, Mann und Frau lässt sie sich zu einem Paar „vereinzigen“. Die Natur mit Wasser, Blumen, Bergen und Wind bietet Brigitte Hermann reiche Inspiration zu ihren Beobachtungen. Aber auch das Licht, der Schein, wahlweise von Sonne, Mond oder Sternen, spielt eine wichtige Rolle für ausgedrückte Gefühle „zwischen Traum und Leben“.
„Geschmeidig winden“ sich darum Worte und Verse, mal schwimmend, mal schwindelnd, taumelnd, manchmal dunkel oder fahl, aber immer wieder leuchtet auch ein entschieden vitales Rot auf. Um Liebe geht es, um Eros; um Buhlen und Werben, um Berührung, Umarmung, Küsse, um Verlangen und Hingabe, und dann, noch plastischer, um Höhepunkt, Befruchtung, Empfängnis, Potenz. Die ganze Klaviatur von Empfindungen weiß die Dichterin dabei zu bespielen, von benommen machender Sinnlichkeit über trunkenen Rausch und wilden Tanz bis hin zu schamloser Wollust, manchmal entblößt oder auch einfach nur nackt. Es wird verspätet, verfehlt, verboten, verloren, sogar versehrt; wund, rastlos, schließlich zerrissen, und solchermaßen Sehnsucht in allen Facetten beschrieben.
Auch Biblisches, Heldensagen und die Mythologie reizen die Autorin kenntnisreich zu lyrischer Verarbeitung sowie klassische Literatur und Musik, wozu sie mitunter auch Augenzwinkerndes zu sagen hat. Nicht zuletzt geht es dann um Reife, darum, das Leben zu meistern. Die Aufgabe, „gewagte Gespinste“ in einem anregenden Gedichtband vorzulegen, ist ihr jedenfalls gelungen. Unterhaltsam, nachdenklich, vielseitig und gewandt „schwingt sie das Poetenflorett“.
Den Gedichten vorangestellt ist ein Vorwort von Walter Johrend, der befindet: „Reime, wie aus dem Ärmel geschüttelt, und doch die Sätze nicht nur dem Rhythmus zuliebe umrahmend, (…) ein ausgewogenes Pendeln zwischen den Zeiten des eigenen Seins, (…) und fokussierte Momentaufnahmen, (…) mit sprachlichem Können gebündelt.“
Susanne THRULL
Wenn…
Wenn ich dich sehe,
erhellt mir dein Ich
die dritte Stunde
und um uns ist
alles Kulisse.
Wenn ich dich höre,
klingt mein Name
als Echo im Mund,
der Verlangen
mir stiehlt.
Wenn ich dich fühle,
bist du mein Sein,
nahtlos verwebt
in den Träumen
der Haut.
Amor poetica
Nur du hättest
mich halten können,
auf meinem Weg
der verlorenen
Gratwanderung.
Nur du hättest
mich fesseln können,
um meinen Drang
nach Freiheit
zu vergessen.
Nur du hättest
mich formen können,
um mich selbst
zu spiegeln
in meinem Bild.
Ohne
Ohne Erde – kein Stein
Ohne Denken – kein Sein
Ohne Ufer – kein Strand
Ohne Mitte – kein Rand
Ohne Nacht – keine Sterne
Ohne Nähe – keine Ferne
Ohne Laut – keine Stille
Ohne Ziele – kein Wille
Ohne Feuer – kein Glühen
Ohne Welken – kein Blühen
Ohne Ende – kein Beginn
Ohne Liebe – kein Sinn
Ohne Dunkel – kein Licht
Ohne Wort-kein Gedicht.
Brigitte HERMANN