Nachruf auf den Hermannstädter Fotografen Fred Nuss
Ausgabe Nr. 2791
„Ein Stück von Hermannstadt ist Geschichte. Von heute an steht Fred Nuss neben Fischer, Glatz und Auerlich im Pantheon der Hermannstädter Fotografen.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Răzvan Pop, Städteforscher und Leiter der Astra-Bibliothek in Hermannstadt von Fred Nuss, der am Mittwoch, dem 5. Oktober, im Dr. Carl Wolff-Altenheim die ewige Ruhe fand. Fred Nuss war für viele Hermannstädter der Inbegriff des allgegenwärtigen Fotoreporters, ein Chronist der Stadt am Zibin, die er so sehr liebte und die er immer im besten Licht zu zeigen versuchte.
Friedrich-Günther Nuss wurde am 1. Juni 1934 in Hermannstadt als Sohn des Großpolder Landlers Friedrich und der Dortmunderin Eugenia geboren. Im Januar 1945, als Fred noch die Brukenthalschule besuchte, wurde sein Vater zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt, kam schwer krank heim und starb 1951 mit nur 49 Jahren. Fred Nuss musste seine Familie erhalten und erlernte drei Berufe: Elektriker, Eisendrechsler und Feinmechaniker. Das Abitur holte er im Abendkurs am Gheorghe Lazăr-Lyzeum nach und gelangte schließlich zur Fotografie. 1966 heiratete er die aus Kerz stammende Katharina Kirr, die ihm als Muse und Beraterin bis zum Ende zur Seite stehen sollte. Fast 60 Jahre lang war er als Pressefotograf bei der rumänischen Tageszeitung Tribuna tätig und seit der Gründung der Hermannstädter Zeitung 1968 mit unzähligen fotografischen Beiträgen auch in der deutschen lokalen Presse dabei.
Den Fotografen Fred Nuss kannten viele Hermannstädter als den Hühnen mit der Kamera in der Hand, der meistens aus der Vogelperspektive den Überblick über die verschiedenen Veranstaltungen in Hermannstadt behielt. Den Menschen Fred Nuss kannten wir, die Redakteure der Hermannstädter Zeitung, als Freund, der immer mit einem Lächeln und einem warmen Händedruck aufwarten konnte. Zuerst begrüßte er unsere Sekretärin mit einem lustigen Pfeifen, dann kam er in unsere Büros und reichte uns allen zur Begrüßung die Hand. Mich fragte er oft, was für Musik ich hörte, wenn ich die Kopfhörer aufhatte. Mit meiner Kollegin Ruxandra, die er liebevoll Strizzi nannte, tauschte er Rezepte aus. „Er hatte eine Art zu erzählen, dass dir das Wasser im Mund zusammenlief. Wir wurden hungrig, als er beschrieb, wie er einfaches gebähtes Brot zuerst mit ,Knofel‘ einrieb und dann hauchdünn mit Fett beschmierte. Er war auch ein großer Fan von in Gech gekochter Wurst“, erinnert sich Ruxandra. Dann wendete er sich immer Beatrice, unserer Chefredakteurin zu, die er seit ihrem 13. Lebensjahr in die Geheimnisse der Fotografie einweihte und mit der er die besten Fotos für die Zeitung auswählte. Er konnte stundenlang über seine Leidenschaften Jazz und Fotografie erzählen.
Der Fotograf Fred Nuss war sehr kritisch, ein Perfektionist, wie es sie nur selten gibt. Er wird uns immer als freundlicher, geduldiger und nie aus der Fassung zu bringender Mensch in Erinnerung bleiben, dessen Sprüche und Lebensweisheiten – so zum Beispiel sein Abschiedsspruch „So jung nie wieder!“ – in unserem Gedächtnis eingeprägt bleiben werden.
Die kulturellen Höhepunkte in Hermannstadt waren für ihn immer folgende: Der Fotosalon des Fotoklubs Orizont, wo er als Gründungsmitglied seit 1973 dabei war und auch in der Jury ein sehr wichtiges Wort in der Auswahl der Gewinnerfotos zu sagen hatte; zweitens war er immer beim Hermannstädter Jazzfestival dabei, wo er immer in der ersten Reihe saß, um die Gesichtsausdrücke der Musiker mit seiner Kamera einzufangen.
Seine Liebe zur Fotografie entstand in seiner Jugendzeit, als er zum ersten Mal die Agfa seines verstorbenen Vaters im Kleiderschrank entdeckte. Bei einem Dorffest wurde er vom Pfarrer gebeten, die in Tracht gekleideten Kinder zu fotografieren. Beim Entwickeln der Fotos stellte der etwa 20-jährige Fred entsetzt fest, dass keine Fotos entstanden sind. Bei einer Tasse Kaffee in der HZ-Redaktion erzählte mir Fred Nuss was geschehen war: „Den Fotoapparat hatte ein Cousin zweiten Grades geborgt, wollte etwas Gutes tun und die Linse putzen. Hat aber nachher die Linse verkehrt herum montiert, konvex zu konkav und umgekehrt. Wie sollte ich jetzt dem Pfarrer sagen, dass die Fotos von den Kindern nicht geworden sind? Ich hab mich auf mein Motorrad gesetzt, bin zu ihm ins Dorf gefahren und hab ihm gesagt: ‚Tut mir leid, aber ich kann nicht verantworten, solche Aufnahmen fremden Leuten zu geben. Die Hälfte der Kinder hatten die Augen geschlossen. Sie müssen die Kinder rufen, damit ich die Fotos wiederholen kann.‘ Das hat dem Pfarrer überhaupt nicht gepasst, denn es war eine Heidenarbeit, die Kinder wieder in Tracht zu stecken. Er hat es dann aber gemacht und es sind ein paar Aufnahmen daraus geworden … picobello, die Augenbrauen der Kinder konntest du auf den Fotos zählen. Das waren meine ersten Fotos.“
Seitdem entstanden viele Fotografien, vor allem nachdem Fred Nuss als Pressefotograf tätig wurde. „1968, in der zweiten Ausgabe unserer Zeitung erscheint schon ein erstes Foto von Fred Nuss. Es zeigt eine Schautafel auf dem Großen Ring, auf der die Hermannstädter Zeitung und die Tribuna Sibiului zu sehen sind. Auf der Schautafel steht: ‚Ab dem 18. Februar erscheint Tribuna Sibiului, neue Auflage. Ab dem 25. Februar erscheint die Hermannstädter Zeitung‘“, erzählte Beatrice Ungar, HZ-Chefredakteurin, über die erste Zusammenarbeit mit Fred Nuss, bei der Vorstellung seines letzten Fotoalbums „Regal de portrete/Porträts“ am 18. Februar 2020 im Spiegelsaal des Hermannstädter Forums. Damals sagte Ion Onuc Nemeș, Redakteur bei der Zeitung Tribuna, über das Werk von Fred Nuss: „Wenn es stimmt, dass eine Fotografie mehr aussagt als tausend Worte, dann hat Fred Nuss Millionen Worte geschrieben“.
An eines seiner ersten Porträts erinnerte sich Fred Nuss folgendermaßen: „Kathi und ich sind nach Sinaia zur Erholung gefahren. Auf dem Weg von der Kantine zur Herberge fiel mir eine alte Roma-Frau auf, die auf dem Gehsteig saß. Sie hatte schneeweißes Haar, einen einzigen Zahn und drei weiße Barthaare. In ihrem Gesicht waren unzählige Furchen und Falten. Ich war mit der Rolleiflex unterwegs, hielt sie auf dem Bauch, setzte mich neben die Frau und begann mit ihr zu reden. Während des Gesprächs, das etwas eine halbe Stunde gedauert hat, hab ich drei Filme verschossen. Daraus sind zwei oder drei gute Fotos geworden. Das war der Auslöser für mich, Porträts zu machen. Es folgten die Jazzfestivals, 1974 war ich schon bei der ersten Auflage dabei. Es entstanden viele Porträts von bekannten Musikern, mit denen ich auch Preise gewann.“
Unzählige Medaillen und Preise gewann Fred Nuss während seiner etwa 60-jährigen Karriere als Fotograf. Seit 2018 war er Ehrenbürger von Hermannstadt und wurde am 15. Januar 2020 mit dem Verdienstorden für Kultur im Ritterrang durch Staatspräsident Klaus Johannis für seine langjährige Tätigkeit als professioneller Fotograf und damit für die Förderung der Kultur ausgezeichnet. Viele Fotografen aus Hermannstadt lernten von Fred Nuss, der auch immer bereit war, auf Fragen über Fotokunst zu antworten. Wenn man ihn fragte, was einen guten Fotografen ausmacht, dann sagte er: „Ein guter Fotograf muss auch Psychologe sein. Auf jedem Antlitz ist immer ein Gesichtsausdruck zu lesen. Das Gesicht des Menschen widerspiegelt den seelischen Zustand des Menschen. Ein guter Fotograf muss den Gemütszustand des Menschen erkennen können, um ein gutes Foto zu machen.“
Wir, die Redakteurinnen und Redakteure der Hermannstädter Zeitung, haben viel von dir gelernt und werden dich, lieber Fred, immer in fröhlicher Erinnerung behalten. Requiescat in pace!
Cynthia PINTER