Zwei Festvorträge im Spiegelsaal des DFDH
Ausgabe Nr. 2790

Sie bestritten die Sonderveranstaltung im Spiegelsaal (v. l. n. r.): Dr. Florian Kührer-Wielach, Botschafter Emil Hurezeanu, Dr. Emil Brix und Dr. Kurt Scharr. Foto: Marko FREEK
Eine Tagung zum Thema „Zwischen Bollwerk und Brücke? Der habsburgische Südosten Europas. Kultur-Raum-Konzepte seit dem 18. Jahrhundert“ hat am 29. und 30. September im Forschungsinstitut für Geisteswissenschaften der Rumänischen Akademie in Hermannstadt stattgefunden. In deren Zentrum standen Raumkonzeptionen und -theorien mit Schwerpunkt auf Mittel- und Südosteuropa. Ein wesentlicher Teil des Seminars waren die Festvorträge von Dr. Emil Brix, Direktor der Diplomatischen Akademie Wien, zum Thema: „Von Imperien zu Nationalstaaten. Und Zurück“? sowie von Emil Hurezeanu, Botschafter Rumäniens in Österreich, zum Thema „Österreich und Rumänien, zwischen Wahlverwandtschaften und wohlwollender Gleichgültigkeit“. Die Moderation der Veranstaltung am Abend des ersten Tages im Spiegelsaal im Forumshaus hatten Dr. Kurt Scharr (Innsbruck) und Dr. Florian Kührer-Wielach (München) inne.
Nach der Begrüßung der Gäste und Vorstellung der beiden „Hochkaräter“ der Diplomatie übergab Dr. Scharr das Wort an Dr. Emil Brix. Eine gespannte Stille im Saal war spürbar ob der Worte von Dr. Brix, der auch lange Zeit als Botschafter Österreichs in Moskau Erfahrungen sammelte. Er begann seinen Vortrag mit einer Kritik am Titel des Seminars: Die Begriffe „Bollwerk“ und ,,Brücke“ schlössen sich aus: ,,Über Brücken geht man, Bollwerke trennen“. Er wolle lieber über Putin reden, der ja auch Räume neu definieren will und tut: ,,Morgen am Freitag, den 30. September 2022, wird er 4 Regionen der Ukraine zu Mitgliedern der Russischen Föderation erklären. Meine Damen und Herren: ‚Wir sind im Krieg‘ und müssen mit allem rechnen“. Diese Aussagen berührten das Publikum im Saal merklich. Dr. Brix führte weiter aus, dass die Wucht der Ereignisse 2022, die 2014 mit der Annektierung der Krim begonnen haben, eine gewisse Ohnmacht bei den Menschen auslöst und nichts fürchtet der Mensch mehr als ihm Unbekanntes. Als Bruder im Geiste Putins bezeichnete Dr. Brix den ungarischen Premierminister Viktor Orban, der ebenfalls ,,bestehende Räume“ hinterfragt. Orban stelle liberale Demokratien in Frage, lenke mit dieser Diskussion aber ab von seinen nationalistischen Gedanken. Es folgte ein Plädoyer für ein freies Europa: ,,Wir Europäer haben seit 1990 Erfahrungen mit dem Verändern von Grenzen, mit der Transformation kultureller und wirtschaftlicher Kraft, die über Grenzen freigesetzt wird. Es darf nicht sein, dass Sprache, Religion und Volkszugehörigkeit Grenzen definieren und sich eine Kultur /ein Volk über die/das andere erhebt! Mit Putin geht es zurück ins Nationale, wollen wir das?“
Dr. Florian Kührer-Wielach übernahm das Mikrofon, um nach einem kurzen Kommentar auf das Gehörte Botschafter Emil Hurezeanu das Wort zu erteilen. Dr. Hurezeanu dankte Dr. Emil Brix für dessen Beitrag und begann mit dem Hinweis, dass sein Vortrag auf die Mikrohistorik, also auf Veränderungen, die sich innerhalb einer Stadt, einer Familie durch Veränderungen der Räume (Kriege) ergeben. Eindrucksvoll machte er es deutlich anhand der Schilderung der Rivalität, die im Habsburger Reich am Vorabend des 1. Weltkrieges 1914 zwischen den Ungarn, Rumänen, Österreichern und den Sachsen hier in Siebenbürgen herrschte und den Konsequenzen für die Menschen, den Familien, für Rumänien, Ungarn und Österreich nach dem Ersten Weltkrieg: ,,Jeder Krieg endet mit einem Frieden, die Frage ist: ein guter Friede oder ein schlechter Friede? Der Friedensvertrag von Versailles hielt nur bis 1939, der Münsteraner Friede von 1648 nach dem Dreißigjährigen Krieg hält bis heute. Auch der Krieg zwischen der Ukraine und Russland wird irgendwann enden und man wird sich zusammensetzen müssen; die Frage dabei ist: wird es ein guter Friede oder ein schlechter?“ Am Ende seines umfangreichen Vortrages verwies Hurezeanu auf die besondere Situation um das Attentat von Sarajevo auf den österreichischen Thronfolger und die darauf folgendenden dynamischen Entwicklungen und merkte an, dass am Vorabend des Ersten Weltkrieges Franz Kafka in sein Tagebuch geschrieben habe: „Heute ist ein heißer Tag, ich gehe ins Schwimmbad!“ Hurezeanu schloss mit den Worten: ,,Seien wir nicht zu sorglos, aber auch nicht ängstlich, die Welt wird sich weiter drehen, so wie sie es immer getan hat!“
Nach einigen Fragen und Dankesworten an die Vortragenden verabschiedeten die kompetenten Moderatoren die Gäste. Ruhig und nachdenklich verließ das Publikum den Saal, eine denkwürdige inhaltsschwere Veranstaltung war zu Ende.
Lothar SCHELENZ