Iris Wolff und Horst Samson lasen im Rahmen der Künstlerresidenz Kleinschenk
Ausgabe Nr. 2786
Das war schon eine sehr besondere Veranstaltung mit den Schriftstellern Iris Wolff und Horst Samson am 1. September in der wohligen Atmosphäre des Erasmus-Büchercafés. Die Veranstaltung fand im Rahmen der Künstlerresidenz Kleinschenk statt, eine Initiative des Vereins CONTRAFORT PRO Kleinschenk und der Kirchengemeinde Kleinschenk. Das Konzept wurde von Carmen Schuster und Michael Lisske erarbeitet und von Elisabeth Ochsenfeld, Galeristin und Künstlerin, kuratiert. Ziel ist es, die Kirchenburg Kleinschenk auch einer anderen Nutzung als derjenigen für Gottesdienste zuzuführen, sie als Kulturkirche einem breiteren Publikum vorzustellen. Die jährliche Künstlerresidenz Kleinschenk ist eine Plattform, die bildende Künstler, Bildhauer, Schriftsteller und Galeristen aus unterschiedlichen Ländern zusammenbringt und sie zum Austausch auffordert.
Das diesjährige Thema ,,FACE TO FACE/VON ANGESICHT ZU ANGESICHT“ soll anregen, die neue Realität des siebenbürgischen Dorfes offen wahrzunehmen und in den Mittelpunkt des künstlerischen Schaffens zu rücken. Teilnehmende Künstler – die Schriftsteller Iris Wolff und Horst Samson (Deutschland), der Bildhauer Maxim Dumitraș (Rumänien), die Maler und Grafiker Cristian Opriș (Rumänien), Marian Coman (Rumänien), Adrian Ioniță (Rumänien/USA), Amalia Dulhan (Rumänien), Annette Fournet (USA), Elisabeth Ochsenfeld (Deutschland), Inga Shalvashvili (Georgien) sowie die Galeristin Sorina Jecza (Rumänien), der Dokumentarfilmer Olimpiu Vuia (Rumänien) und die Musiker der Truppe BYRON (Rumänien).
Carmen Schuster hatte in ihrer Eröffnung darauf hingewiesen, dass sie die Kulturkirche Kleinschenk auch als Haus der Kunst, als Haus der Gesellschaft versteht und dass die Zuhörer heute einer Premiere beiwohnen – der ersten Lesung im Rahmen der Künstlerwoche außerhalb Kleinschenks. ,,Wir leben in einer neuen dörflichen Realität und suchen Anknüpfungspunkte, einer davon ist die Prägung von Iris Wolff und Horst Samson in einer Diktatur, in der beide unterschiedliche Erfahrungen machten“! Nach der Einführung in die unter dem Motto: „Von Angesicht zu Angesicht“ gestellte Veranstaltung übernahm Iris Wolff die Vorstellung des Lyrikers Horst Samson: ,,Horst steht für die Schärfe der Welt, sensibel in der Sprache, ohne Angst vor großen Themen. Orte, Geburt und Heimat gibt es nicht mehr, nur noch Freiheit und Weite“. Horst Samson erblickte in der Baragansteppe das Licht der Welt, wohin seine Eltern aus dem Banat verbannt wurden. Er begann seinen Blick auf die Schriftstellerin Iris Wolff mit der Bestätigung ihrer Worte, in dem er erwiderte: „Wie könnte ich einen Heimatort haben, wenn es den in der Baragansteppe nicht mehr gibt“! Man spürte den Reisenden, den durch die Welt seiner Poesie Vagabundierenden. Iris Wolff, so Horst Samson, ,,ist eine in der Sprache, in der Wiedergabe ihrer Beobachtungen außerordentliche Schriftstellerin. Sie wohnt in ihrer Sprache, so dass sie befreit ist von Orten oder Ereignissen“. Eine Beschreibung Horst Samsons, die sehr an Herta Müllers Aussage „Hinter jedem Schreiben stecken andere Augen“ erinnert. ,,Die Verbindung von Sprache und Erfahrungen ist der Kraftstoff, der Iris Wolff antreibt“! Nach den gegenseitigen Beschreibungen folgte jeweils eine Leseprobe der sehr einnehmenden Hauptprotagonisten des Abends, wobei Iris Wolff aus ihrem neuesten Roman „Die Unschärfe der Welt“ leise, Aufmerksamkeit fordernd, vorlas. Im Roman geht es um den Lebensweg von sieben Personen, Wahlverwandte, die sich trotz Distanz und unterschiedlichen Ereignissen in ihrem Leben aufeinander zu bewegen.
,,Der Tod ist eine gespaltene Persönlichkeit, er kommt und geht wann er will, er arbeitet präzise“. Mit diesen Worten begann Horst Samson seine Rezitation aus seinem neuesten Gedichtband „Der Tod ist noch am Leben“, ein Werk illustriert mit 23 Zeichnungen von Gert Fabritius. Virtuos spielte Horst Samson, stehend vortragend, mit den Worten seiner Gedichte über den Tod, „Es ist alles lächerlich wenn man an den Tod denkt, der Tod geht seinen Weg, er ist sein eigenes Geheimnis. Gegen die Kraft der Poesie ist er machtlos“. Horst Samson liefert den Beweis der Wahrhaftigkeit dieser Feststellung. Der nach seiner Existenz Suchende, der Poet, der nicht in seine Heimat zurückkehren kann, weil es seinen Geburtsort heute nicht mehr gibt, hat seinen Platz im Haus der Poesie gefunden.
Im letzten Teil des Abends sprachen die beiden Virtuosen der deutschen Sprache über sich und wo sie sich selbst im Literaturbetrieb sehen. Es war sehr interessant zu hören, wie Iris Wolff sich nicht in einer speziellen Art der Literatur zugehörig fühlt, nein, sie schreibe ohne vorgefasste Absicht, es habe vielmehr damit zu tun, ,,dass meine Romanfiguren Suchende sind, die versuchen, innere und äußere Grenzen zu überschreiten“. Iris Wolff führte aus, ,,dass die Erfahrung von Mehrsprachigkeit für sie ständiges Hinterfragen und das Lernen über sich selbst mit sich bringt“. Sie, die Romanschreiberin, ist in der Literatur ohne spezielle örtliche, rumäniendeutsche Zugehörigkeit, aber ausgestattet mit der Sensibilität, die Zwischentöne zu sehen und lesbar zu machen. Ihre Figuren sind Kinder der Zeit mit all ihren Brüchen, ganz wie sie selbst. Im Anschluss beschrieb Horst Samson sich als Teil der Weltliteratur, nachvollziehbar, wenn man sein Werk kennt. Ähnlich wie auch Iris Wolff sieht er seine Themen universell, wobei er betonte, dass er ohne die Worte seines Vaters, ,,geh zu den Sachsen, hier bei uns im Banat (wohin die Familie nach der Zeit der Verbannung zurückkehrte) misst man die Intelligenz in Hektar“, nicht diesen Umweg über Hermannstadt genommen hätte und so niemals Schriftsteller geworden wäre. Der Vater sollte recht behalten.
Ein großes Kompliment auch an das Veranstalterteam. Das Konzept von „Angesicht zu Angesicht“ bietet eine großartige Plattform, um Künstler und die Kunst- und Literaturinteressierten einander näher zu bringen. Die in sehr großer Anzahl erschienenen Zuhörer bestätigten dies. Die Ausstellung der Ergebnisse zu der Künstlerrresidenz ist bis Ende Oktober in der Kleinschenker Kirchenburg zu sehen.
Lothar SCHELENZ