Umkämpften Freiraum bewahrt

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,,Überwachung und Infiltration“ – ein wissenschaftlich hochstehendes Buch

Ausgabe Nr. 2786

 

Hannelore Baier (Hg.): Überwachung und Infiltration. Die Evangelische Kirche in Rumänien unter kommunistischer Herrschaft (1945-1969). Friedrich Pustet Verlag, 2022, 423 Seiten, 39,95 Euro, ISBN: 3791733303

Unter dem Titel „Überwachung und Infiltration“ hat die bekannte Journalistin und verdiente Forscherin Hannelore Baier im vorigen Frühjahr ein überaus spannendes Buch herausgegeben. Gegenstand vielfältiger Überwachung und immer neuer Infiltration und Unterwanderung, die im Buch dargestellt wird, war die Evangelische Kirche A. B. in Rumänien im Zeitraum der kommunistischen Herrschaft, und zwar in der Amtszeit des Bischofs Friedrich Müller (1945-1969). Die allein regierende, von Moskau gelenkte Kommunistische Partei war bestrebt, sich die Kirche mit allen Mitteln hörig zu machen und sie ideologisch in ihre Machtstruktur einzuzwängen.

Im Buch werden die perfiden Strategien und Methoden des staatlichen Unterdrückungsapparates in geradezu erschreckender Weise dokumentiert. Die beiden hier für eingesetzten Mechanismen waren einerseits die die Kirchen und die Kulte überwachende Regierungsbehörde (das Kultusministerium bzw. das Kultusdepartement) mit ihren rigorosen Gesetzen und vielen einschränkenden Anweisungen, andererseits, und noch viel bedrückender war es der rumänische Geheimdienst, die Securitate. Zwischen diesen unberechenbaren Mächten und Gewalten galt es, das kleine Schiff der Kirche möglichst unbeschadet durch zu lenken und einen überlebensnotwendigen Freiraum zu erkämpfen. Das ist dank des unerschrockenen und wohlüberlegten Einsatzes von Bischof Friedrich Müller und seiner glaubensgetragenen Kirchenleitung, die er taktisch und klug zu gestalten wusste, auch weithin gelungen. Ziel der kommunistischen Repression war es, die Kirche als „reaktionären“ gesellschaftlichen Fremdkörper auszumerzen und ihre Glieder in die „volksdemokratische“ Ordnung zu zwängen, zugleich im Falle der evangelischen Kirche auch deren Angehörige als ethnische Minderheit in die „sozialistische Nation“ einzuschmelzen. Dieses Ziel trachtete man durch die Beseitigung des Bischofs aus dem Amt und durch das Einschleusen von regimehörigen Personen in die kirchlichen Leitungsgremien zu erreichen. Dem galt es kirchlicherseits vorzubeugen. Diesen beiden Anliegen ist der umfangreiche Dokumentationsteil des vorliegenden Buches gewidmet.

Dankenswerter Weise wird dieser Darstellung aber im ersten Teil (S. 13-134) eine ausführliche Studie als Einleitung vorausgeschickt, die nicht nur den historischen Rahmen der Jahre nach 1945 absteckt, sondern genauen Aufschluss gibt über die politische Lage in Rumänien, über die Lage der deutschen Minderheit, über die Kirchen in dieser Zeit und besonders über die evangelisch-lutherische Kirche. Auch werden die staatlichen Kontrollinstitutionen, die der Überwachung und der Unterwanderung dienen, nämlich die Kultusbehörde und der Geheimdienst Securitate in ihrer Zusammenarbeit geschildert. Vor allem die Person des Bischofs gerät ins menschenverachtende Visier des Geheimdienstes und es wird immer wieder versucht, die kirchlichen Wahlen zu manipulieren und so ein Netzwerk von geheimen Auskundschaftern um die Kirchenleitung zu spannen. Dabei gelang es zeitweilig, sogar die engsten Mitarbeiter des Bischofs, den Landeskirchenkurator und den Bischofsvikar zur Mitarbeit zu gewinnen und Informanten in die kirchlichen Gremien einzuschleusen. Der Bischof durchsah aber diese Manipulationen und verstand es, der Kirche die Freiräume für ihren Dienst aufrechtzuerhalten. Er hatte dabei – trotz einiger Zugeständnisse, z.B. im „Friedenskampf“ oder in der Einschränkung gemeindlicher Lebensentfaltung – das Überleben seines Kirchenvolkes und dessen Zukunft im Sinn.

Der zweite, viel ausführlichere Teil, des Buches (S.135-423) enthält die Dokumente der Securitate in sorgfältiger deutscher Übersetzung, die das oben Dargelegte belegen. Aus der fast unübersehbaren Fülle der im zugänglichen Securitate-archiv vorliegenden Akten werden aufschlussreiche Geheimdokumente angeführt, die deutlich und in erschütternder Weise zeigen, wie die Machthaber an ihr verbrecherisches Werk herangegangen sind. Hannelore Baier greift zwei über Müller verfügbare Akten auf, die eine umfasst rund 1000 Seiten in vier Bänden geordnete Dokumente, die den Vorgang um die in den 50er Jahren versuchte Beseitigung des Bischofs aus dem Amt zum Inhalt haben. Die andere umfasst rund 7600 Blatt und enthält ebenfalls die umständlichen und detailreichen Vorgänge zur Überwachung Müllers, die bis in seine Amtsräume und in seine Privatwohnung hineinreichen. Wie heimtückisch und verborgen ein Netzwerk von Gewährsleuten aufgebaut wurde und im Detail vordringen konnte, wird an Hand von genauen Darstellungen aus den Akten geschildert. Es geht zunächst um den Beginn und um die Zusammenfassung der Beobachtungsakten von Friedrich Müller, um die Maßnahmen zu seiner Amtsenthebung und seiner Kontrolle.

Sodann werden die Mechanismen der Überwachung dargestellt, nämlich die Anwerbung und den Einsatz von Informanten und deren Berichte. Schließlich geht es auch um die technische Kontrolle durch die Installation von Abhörgeräten. Es geht um die Bemühungen, die freien Wahlen in der Kirche zu unterbinden und diese zu manipulieren. Schließlich ging es, gegen Ende des Lebens von Bischof Müller darum, die Nachfolge im Bischofsamt zu beeinflussen.

Es waren dunkle Nachkriegsjahre, eine Zeit großer Unsicherheit und des Ausgeliefertseins an Willkür und Unrecht, die im Buch dargestellt werden. Die angeführten Dokumente bestätigen, wie die Verfasserin zeigt, weitgehend die Angaben der Lebenserinnerungen, die Friedrich Müller hinterlassen hat. Eine Reihe gut ausgewählter Abbildungen veranschaulichen den Text. Die Kurzbiographien bzw. die Lebensdaten der meisten im Text erwähnten Handlungsträger, die Personenregister und ein Verzeichnis der Decknamen verdeutlichen die Darstellung. Sehr wertvoll sind auch die Angaben der Quellen und die minutiös angeführten Literaturhinweise. Das Buch lässt erkennen, dass die evangelische Kirche in der Zeit der kommunistischen Herrschaft trotz Überwachung und Infiltration durch die damalige Staatsgewalt dank der glaubensfesten und zugleich klug taktierenden Haltung ihres Bischofs sich doch den erforderlichen und unentbehrlichen Freiraum, den sie sich erkämpfen musste, bewahren konnte.

Der Verfasserin Hannelore Baier ist für die Erarbeitung dieses wissenschaftlich hochstehenden Buches zu danken.

Hermann PITTERS

Veröffentlicht in Wissenschaft, Aktuelle Ausgabe, Geschichte.