Laudatio auf Hannelore Baier – Empfängerin der Honterus-Medaille 2022
Ausgabe Nr. 2788
Die Honterus-Medaille, mit der das Siebenbürgenforum und die Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien verdienstvolle Persönlichkeiten ehrt, wurde beim 32. Sachsentreffen in Meschen der Journalistin Hannelore Baier verliehen. Der Vorstand des Siebenbürgenforums hatte dies in seiner Sitzung vom 25. Juni 2022 beschlossen, das Landeskonsistorium der EKR hatte einen diesbezüglichen Beschluss schon am 6. Juni 2022 verabschiedet. Damit ist Hannelore Baier die 22. Empfängerin dieser Auszeichnung, die als Zeichen der Anerkennung für besondere Verdienste an der Gemeinschaft sowie in den Bereichen Kultur, Geschichte, Bildung verliehen wird. Der erste Geehrte war beim 9. Sachsentreffen in Birthälm Konsulent Dr. Fritz Frank. Der 1923 in Klausenburg Geborene amtierte von 1969 bis 1994 als Obmann der Landsmannschaft in Oberösterreich und ab 1988 ein Jahrzehnt lang als Bundesobmann in Österreich. Am 15. September d. J. hat er seinen 99. Geburtstag in Linz gefeiert. Lesen Sie im Folgenden die Laudatio auf Hannelore Baier:
Ad fontes – „Zu den Quellen!“, das kann als Motto Hannelore Baiers gelten, die wir als Historikerin und Journalistin kennen und schätzen. Dabei kam sie erst im Laufe der Zeit zunächst zur Journalistik und dann auch zur Geschichtsforschung, denn studiert hat sie ursprünglich Psychologie an der Babeș-Bolyai-Universität in Klausenburg.
Geschichte sei ihr Hobby, sagt Hannelore Baier bescheiden.
Und da ist ein erstes Stichwort: Bescheidenheit. Eine Laudatio auf Hannelore Baier zu halten ist einesteils einfach, denn ihre Leistungen sind beachtlich und zahlreich, andererseits aber auch schwierig, weil sie Lobreden nicht mag und auch nie gern im Mittelpunkt steht.
Heute aber gibt es kein Entkommen: Das Demokratische Forum der Deutschen in Siebenbürgen hat gemeinsam mit der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien beschlossen: die Honterus-Medaille wird 2022 Hannelore Baier verliehen. Dazu gehört eine Laudatio. Diese zu halten wurde – zufällig oder nicht – ich beauftragt. Dieser Aufgabe komme ich sehr gerne nach und hoffe, dass auch die Geehrte die lobende Rede akzeptiert.
Hannelore Baier wuchs in einer mit der Heimat stark verwurzelten siebenbürgisch-sächsischen Familie in Schäßburg auf. Ihr Vater war der allseits bekannte und geschätzte Mathematiklehrer und Bergschuldirektor Hermann Baier, die Mutter Wiltrud war Kindergärtnerin. Die zwei jüngeren Schwestern sind ebenfalls in Siebenbürgen im Kultur- und Bildungswesen tätig. Als die Auswanderung der Siebenbürger Sachsen voranschritt und sich schließlich zu einem Exodus steigerte, war das Fortziehen keine Option für die Baiers. Die Familie gehört dezidiert zu den „Bleibisäern“ – gemäß dem geflügelten Wort von Pfarrer Seidner (Voltaire) von den „Fahrisäern“ und den „Bleibisäern“.
Das Thema der Auswanderung behandelte Hannelore Baier sehr gründlich, sogar „hinter-gründlich“, indem sie die vordergründig noch unbekannten Dokumente studierte. – Dazu später mehr.
Zum Werdegang der Bergschulabsolventin ist weiter zu berichten: Nach dem erfolgreichen Studium der Psychologie in Klausenburg arbeitete Hannelore Baier zunächst als Sonderschullehrerin in Rekasch, dann als Psychologin an der Psychiatrie in St. Martin/Târnăveni. Von 1984 bis 1993 war sie Korrespondentin der Tageszeitung „Neuer Weg“, erst von Schäßburg aus, später in Hermannstadt. In diese Zeit fällt auch die Umgestaltung des „Neuen Wegs“ zur ADZ, der „Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien“.
1990 betreute Hannelore Baier das noch ganz junge Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien als dessen Geschäftsführerin. Ab 2006 und bis heute nimmt sie die Aufgabe der Pressereferentin des Landesforums wahr.
Es folgten ab 1993 fünf Jahre als Forscherin im Institut für Geisteswissenschaften der Rumänischen Akademie in Hermannstadt und danach eine dreijährige Tätigkeit als wissenschaftliche Assistentin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rumänien in Bukarest.
Von 2001 bis zum Renteneintritt 2014 war Hannelore Baier wieder eine unverzichtbare Konstante in der Hermannstädter Redaktion der „Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien“ und begleitete somit journalistisch das Leben und Weben der deutschsprachigen Bevölkerung.
Durch alle Jahre hindurch ist Hannelore Baiers großes Thema: die Deutsche Minderheit in Rumänien – und damit zusammenhängend: das Schicksal der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien im Kommunismus, die Deportation der Siebenbürger Sachsen 1945-1949 in die Sowjetunion und schließlich der Exodus nach 1990.
Ihre Publikationen und ihr gesellschaftliches Engagement reichen noch weiter, wie das Buch „Frauen in Rumänien“ (mit Cornelia Schlarb, 2000) und ihr Wirken als Mitglied im Landeskonsistorium (ein Mandat) und als langjährige Vorsitzende des Vereins Dr. Carl Wolff beweisen. Der Trägerverein des Alten- und Pflegeheims Dr. Carl Wolff (samt Hospiz und Kinder-Hospiz) hat nicht viele Mitglieder, aber viel Verantwortung. Hannelore Baier leistet diese ehrenamtliche Arbeit mit großer Treue, wofür an dieser Stelle auch ausdrücklich gedankt werden soll.
Ad fontes – „Zu den Quellen!“ Um die Geschichte des 20. Jahrhunderts aufzuarbeiten, braucht es in erster Reihe Archivforschung. Mit bewundernswerter Geduld und Ausdauer, mit Fleiß und Verstand verbrachte Hannelore ungezählte Stunden, Tage, ja, besser gesagt, Monate und Jahre in den verschiedensten Archiven in Bukarest, Hermannstadt, Gundelsheim und anderen Orten. Nach 1990 öffneten peu à peu die Staatsarchive ihre Pforten für Historiker und auch die Akten der „Securitate“ (der kommunistischen Staatssicherheit) wurden zugänglich. Die Evangelische Kirche richtete im Hermannstädter Teutsch-Haus ihr Zentralarchiv ein, das ebenfalls umfangreiche Recherchen ermöglicht.
Es waren die Soziologen Georg Weber und Renate Weber-Schlenther, die die Journalistin Hannelore Baier zur Archivrecherche und zur Forschungstätigkeit anregten. Die Mitarbeit als Quellenforscherin und Übersetzerin an dem dreibändigen Werk „Die Deportation von Siebenbürger Sachsen in die Sowjetunion 1945-1945“ (erschienen 1995) führte Hannelore Baier in die Welt der Archive ein. Weitere Projekte folgten, oft in Zusammenarbeit mit rumänischen Forschern und mit Vertretern von Minderheiten, so zum Beispiel in der „Tismăneanu-Kommission“ im Vorfeld von Rumäniens EU-Beitritt.
Zum geschichtlichen Ereignis der Deportation veröffentlichte Hannelore Baier im Jahr 2000 (damals als Mitarbeiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung) den Dokumentationsband „Tief in Russland, bei Stalino. Erinnerungen und Dokumente zur Deportation in die Sowjetunion 1945“, der 2003 auch in rumänischer Übersetzung erschien („Departe, în Rusia, la Stalino – amintiri și documente“). In der Einleitung zum Dokumentationsband lesen wir das Credo der Autorin über den Sinn der Geschichtsaufarbeitung: „Das Wissen um diese historischen Fakten kann weder die Demütigungen und das Leid, das die Deportierten zu ertragen hatten, noch ihren Vertrauensverlust zum rumänischen Staat ungeschehen machen. Das Kennen und Verstehen der tatsächlichen Hintergründe der Zwangsverschleppung ist jedoch für die Gegenwart und Zukunft der deutschen Gemeinschaften in Rumänien und das deutsch-rumänische Verhältnis äußerst wichtig.“ (S. 14)
Ein weiteres, in seiner Komplexität kaum erfassbares existentielles Phänomen in der Geschichte der deutschen Minderheit ist die Emigration aus Rumänien nach Deutschland. Das Buch „Kauf von Freiheit“ (2013)/„Cumpărarea libertății“ (2014) ist bahnbrechend. Erstmals wurden darin in Form authentischer Interviews mit einer Schlüsselfigur des „Freikaufs“, Dr. Heinz-Günther Hüsch, bis dahin undurchsichtige politische und diplomatische Zusammenhänge aufgedeckt und bekannt gemacht. Die Interviews führten Ernst Meinhardt und Hannelore Baier. Der deutsche Rechtsanwalt Dr. Hüsch war ab Ende der 1960-er Jahre und bis zum Sturz des Ceaușescu-Regimes der Beauftragte der Bundesregierung für die Verhandlungen mit der rumänischen Seite über die Ausreise der Rumäniendeutschen. Das Geschichtskapitel „Familienzusammenführung oder Freikauf“ hat durch die Publikation der Interviews viel an Klarheit gewonnen und ist eine unverzichtbare Grundlage für weitere Forschungen.
Die Evangelische Kirche A. B. in Rumänien machte in der Mitte des 20. Jahrhunderts unter der kommunistischen Diktatur sehr schwere Zeiten durch. Diese Jahre aufzuarbeiten machte sich Hannelore Baier auch zur Aufgabe. Über das Studieren der Archivunterlagen betreffend die drohende Binnendeportation in den Jahren 1947-1948 stieß Hannelore Baier auch auf die Erinnerungen des Bischofs Friedrich Müller und das führte zum jüngsten Projekt, diesmal im Rahmen des IKGS (Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München): „Strukturen, Strategien, Methoden und Mechanismen der Unterwanderung und Hörigmachung der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien im kommunistischen Staat (1945-1996)“. Als besonderer Umstand für dieses Forschungsprojekt kam hinzu, dass erst am Jahresende 2017 ein 20-bändiger Aktenkonvolut betreffend die Observation Bischof Müllers im Archiv des „Nationalen Rats für das Studium der Archive der ehemaligen Securitate“ zugänglich geworden ist. Bis dahin war der Zugang auf nur eine vierbändige Akte beschränkt gewesen. Der gesamten umfangreichen und sperrigen Materie ist Hannelore Baier mit der gewohnten Sachlichkeit und Genauigkeit zu Leibe gerückt. Zweck der Dokumentation war, wie es in der Einleitung heißt, nicht Schuldzuweisungen vorzunehmen, sondern: „Beabsichtigt wurde allein, das Geschehen, dessen Hintergründe und Szenarien darzustellen und zu deuten, die zu den bekannten Ergebnissen geführt haben.“ (S. 18)
Das Ergebnis ihrer Forschungsarbeit erschien im Sommer dieses Jahres (2022) unter dem Titel „Überwachung und Infiltration. Die Evangelische Kirche in Rumänien unter kommunistischer Herrschaft (1945 – 1969). Dokumentation“ im Regensburger Pustet-Verlag. Die Publikation umfasst im ersten Teil eine einleitende Studie, in der auf den historischen Rahmen eingegangen wird, während der zweite Teil nach Themen geordnete Securitate-Dokumente in deutscher Übersetzung widergibt. Die im dritten Teil enthaltenen Register, Verzeichnisse und Quellenhinweise zeugen – wie das gesamte Werk – von genauester Arbeit und weitreichender Recherche. Dieses jüngste Sachbuch ist eine reife Leistung Hannelore Baiers, die hohe Anerkennung verdient.
Das meistgelesene Buch jedoch, an dem Hannelore Baier mitgearbeitet hat, ist wohl: „Geschichte und Traditionen der deutschen Minderheit in Rumänien. Lehrbuch für die 6. und 7. Klasse der Schulen mit deutscher Unterrichtssprache“. Dieses vom Bildungsministerium bestellte Buch des Autorenkollektivs Martin Bottesch, Dieter Nowak, Alfred Wiecken, Winfried Ziegler und Hannelore Baier hat in den letzten 20 Jahren sechs Auflagen erlebt und wird auch weiterhin, – selbst wenn zum neuen Lehrplan ein neues Schulbuch herauskommen wird, – als ein hervorragendes „Buch für Jedermann“ sicher noch vielen Lesern einen ersten Zugang zur siebenbürgischen Geschichte geben und ihnen Freude bereiten.
Mit gutem Gewissen können wir über Hannelore Baier sagen: sie ist eine gründliche Forscherin und eine klare Vermittlerin. Die von ihr geleistete Aufarbeitung der Geschichte der deutschen Minderheit in der Nachkriegszeit beruht auf wissenschaftlicher Dokumentation: akribisch, fundiert, klar.
Ihre Arbeit ist für die siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft und darüber hinaus für die gesamte Gesellschaft, in der wir leben, von großem Wert. Dafür sind wir ihr dankbar. Dafür werden ihr auch kommende Generationen dankbar sein.
Herzlichen Glückwunsch, liebe Hannelore Baier, zur Honterus-Medaille!
Dr. Gerhild RUDOLF