Das Hermannstädter Internationale Street Art Festival (SISAF) hat stattgefunden
Ausgabe Nr. 2781
Die eingeladenen Künstler malten in der großen Hitze der vergangenen Tage. Mutig entschlossen sich auch einige Freiwillige – fast nur Frauen -, diesen extremen Temperaturen zu trotzen und mitzuhelfen. Einigen stand ein kleiner Kran zur Verfügung, andere fanden sich auf einem wackligen Gerüst wieder. Die Motivation, in einer Woche ein Werk fertigzustellen, war allgegenwärtig und jeder Einzelne machte sich an die Aufgabe, Rollen und Spraydosen in die Hand zu nehmen. Die französischen Künstler und zeitgenössischen Maler Théo Lopez und Tim Marsh sind dafür extra aus Barcelona angereist. An ihrem vorübergehenden Arbeitsplatz bei den Wohnblocks 84 und 86A in der Calea Cisnădiei trafen sie die HZ-Praktikantin Clémence MICHELS, um über Street Art zu sprechen.
Wie sind Sie dazu gekommen, bei SISAF in Hermannstadt mitzumachen?
Tim Marsh: Das Malen ermöglicht es mir, Orte zu entdecken, wo man vielleicht nicht unbedingt hingeht. Ich war vor zwei Jahren schon einmal auf diesem Festival, damals war ich ganz allein, weil ich erst einen Tag nach dem Festival ankam. Ich wollte die Erfahrung wiederholen, diesmal mit Théo, weil wir beide Franzosen sind, in Barcelona leben und Freunde sind. Hermannstadt ist eine Stadt mit einem unglaublichen Charme. Es ist nicht etwas, das man erwartet, es ist im positiven Sinne überraschend.
Theo Lopez: Ich versuche zu reisen, insbesondere im Rahmen solcher Festivals. Ich hatte ein besonderes Interesse an Rumänien. Hier wollte ich auch meine Arbeit vorstellen und Menschen kennenlernen. Ich kenne diesen Teil Europas nur wenig und habe hier fast nie ausgestellt.
Was ist eigentlich Street Art?
Theo Lopez: Street Art hat heute keine konkrete Bedeutung mehr. Es ist ein Begriff, der mehr oder weniger alle Formen von Stilen und Kunst auf der Straße zusammenfasst. Obwohl Graffiti eine andere Art von Kunst ist, konnte durch Graffiti die Street Art entstehen. Diese urbane Kunst hat im Gegenzug es ermöglicht, den Bereich zu popularisieren. Graffiti ist ein sehr geschlossenes Milieu, während Street Art die Öffentlichkeit erreicht. Ich persönlich halte mich eher für einen zeitgenössischen urbanen Maler als für einen Street- oder Graffiti-Artist. Ich habe wie alle anderen anfangs ein wenig „Vandal“ betrieben, aber das ist weder mein Milieu noch meine Berufung.
Wie haben Sie angefangen, sich für die Streetart-Szene zu inte-ressieren?
Tim Marsh: Ich habe 2001 mit „Vandal“ Graffitis angefangen. Wir gingen mit Freunden auf den Straßen, um unsere vier Buchstaben, die unseren Künstlernamen darstellten, an die Wände zu malen. Ab 2007 bin ich dann tiefer in die abstrakte Kunst gegangen und habe mich vor etwa sieben Jahren auch dem Figurativen zugewandt. So bin ich vom Graffiti zum Muralismus übergegangen und habe nach etwas Künstlerischerem gesucht.
Theo Lopez: Ab 2008 war ich Teil eines Pariser Kollektivs, das seit über 30 Jahren besteht: „le 9e Concept“. Wir realisierten verschiedene kollektive Kunstprojekte wie Zeichnungen, temporäre Tattoos, Fresken und andere. Parallel dazu entwickelte ich mich ab 2014 persönlich weiter und konzentrierte mich auf die abstrakte Malerei, insbesondere nach einer Reise nach Jerusalem, wo ich fünf Wände bemalte und ein wenig verschiedene Stile testete. Der Stil, in dem ich mich am besten wiedergefunden habe, ist somit zu meinem aktuellen Stil geworden.
Was stellen die Werke dar, die Sie derzeit in Hermannstadt anfertigen? Wie entstehen sie?
Theo Lopez: Aus einem Foto der Mauer bereite ich im Voraus in Photoshop oder Illustrator ein Muster. Da ich das hasse, komponiere ich dann nach und nach. Ich arbeite mit Schichten, Überlagerungen von Materialien und Farben. Im echten Maßstab stellt das Gerüst das Raster meines Modells dar und hilft bei der Bildung der Hauptlinien. Sobald diese gebildet sind, improvisiere ich. Hier ist es eine schöne große Wand, aber nicht die größte Fläche, die ich schon bemalt habe. Ich versuche, meine Bilder zum Leben zu bringen, ohne sie zu „erstarren“. Ich möchte nicht figurativ sein, weil ich dem Betrachter die freie Interpretation überlassen möchte… Ich möchte nichts aufzwingen. Dazu lasse ich mich von konkreten Dingen inspirieren, zum Beispiel hier in Hermannstadt von Landschaften oder von der Atmosphäre. Aber ich versuche auch, die Energie einzufangen, die mich umgibt. Zum Beispiel, die menschliche Verrücktheit, die schöne lebendige Seele der Rumänen, die wackeligen Gerüste, die Angst machen, was verwirrend sein kann.
Tim Marsh: Das Thema dieses Festivals handelt von „Reflexions“. Man kann es auf zwei Arten interpretieren, entweder als Widerspiegelung oder als das Besinnung. Zwischen Kriegen, der globalen Erwärmung und der Eroberung des Weltraums wollte ich diese Wand zu einem Spiegelbild der Zukunft machen. Hier sehen wir eine Figur, die wie ein Astronaut gekleidet ist. Dieser Mensch hat es geschafft, den Weltraum zu „kolonisieren“ aber aufgrund der globalen Erwärmung gibt es keine Erde mehr und es ist unmöglich, im Weltraum zu leben. Die Botschaft, die ich damit vermitteln möchte, ist, dass wir uns nicht auf die Eroberung des Weltraums konzentrieren sollten, sondern uns lieber mit den Problemen auf der Erde befassen sollten. Hier wird mein Astronaut in der Zukunft bereuen, dass er nicht gehandelt hat. Die Botschaft muss visuell nicht unbedingt extrem offensichtlich sein. Außerdem möchte ich einen Kontrast zwischen den bunten Gemälden, diesen geometrischen Elementen, aus denen meine Figur besteht, und dem dunklen Hintergrund schaffen, denn die Botschaft, die ich vermitteln möchte, ist ebenfalls dunkel. Ich mag es, wenn es auf den ersten Blick visuell „schön“ ist, aber wenn die Leute ein paar Minuten innehalten, um es zu betrachten, regt mein Werk sie zum Nachdenken an. Ich würde dann sagen, dass ich gerne Bilder male, die Kinder zum Lächeln bringen und Erwachsene zum Nachdenken anregen.
Vielen Dank.