,,Auf Wanderschaft bin ich wirklich frei“

Teile diesen Artikel

Wandergeselle Jens ist von seiner Station in Hermannstadt überrascht worden

Ausgabe Nr. 2784

Sie arbeiten derzeit an dem Dach des Hauses in der Wiesengasse/Tipografilor 12 (von links): ganz oben: Ben und Friedrich, in der Mitte: Christian, unten: Michael und Jens.                                                                                                                                                                         Foto: Beatrice UNGAR

Seit 2003 ziehen sie Jahr für Jahr in ihren traditionellen Outfits in ganz Hermannstadt die Blicke auf sich: Wandergesellen, die das Projekt ,,Casa Calfelor” (Gesellenherberge) unterstützen und in der Stadt oder in der Schauwerkstatt am Huetplatz arbeiten. Jens ist einer von ihnen und erklärt im Interview mit der HZ-Praktikantin Annika K ö n n t g e n, was er an der Tradition der Wandergesellen schätzt, was er auf der Reise schon erlebt hat und wieso seine Station in Hermannstadt ihn überrascht hat.

Stell dich einmal vor.

Mein Name ist Jens, S.C.U.K. Nav. Das ist die Gesellenvereinigung vom Reisen in Skandinavien. Einen Nachnamen brauche ich im Moment nicht. Meine Familie ist gerade die Vereinigung.  Ich bin gelernter Maurer und 24 Jahre alt. Seit zwei Jahren bin ich auf Wanderschaft und momentan arbeite ich hier in Hermannstadt.

Wie bist du Wandergeselle geworden?

Es gibt kaum noch eine Pflicht dazu. Es gibt noch etwa 500 Leute, die reisen. Ich komme aus Dänemark und dreißig Kilometer von meinem Heimatort ist auch ein Haus für Wandergesellen. Daher kenne ich die Tradition. Die ist in Dänemark sehr ähnlich wie in Deutschland.

Welche Regeln gibt es auf der Wanderschaft?

Du brauchst zuerst einen Gesellenbrief, darfst nicht verheiratet sein, keine Kinder und keine Schulden haben. Außerdem gibt es die Regel, dass du mit fünf Euro auf Wanderschaft losgehst und auch mit fünf Euro zurückkommst. Du gehst nicht auf Reisen, um reich zu werden, sondern zum Erleben und Lernen. Ich reise für drei Jahre und einen Tag. In dieser Zeit darf ich meiner Heimat nicht auf fünfzig Kilometer nah kommen. Ich darf nicht länger als vier Monate in einem Ort bleiben, wir dürfen kein Handy haben, wir dürfen für Transport nicht bezahlen, sodass wir trampen oder laufen müssen. Und wir dürfen nicht für Unterkunft bezahlen. Und so laufen oder trampen wir von Stadt zu Stadt und arbeiten hier und dort.

Maurer-Wandergeselle Jens. Foto: Annika KÖNNTGEN

Das sind ganz schön viele Regeln. Warum nehmt ihr das in Kauf?

Wir machen das aus zwei großen Gründen. Ein Ding ist natürlich die handwerkliche Weiterbildung. Wenn du in unterschiedlichen Projekten und Ländern arbeitest, lernst du immer dazu. In Hermannstadt haben die Zimmerleute zum Beispiel zum ersten Mal eine Fledermausgaube gemacht. Außerdem lernst du viel über die Kultur. Wenn du trampst, redest du die ganze Zeit mit unterschiedlichen Menschen und manchmal sagt auch jemand ,,Ach komm, schlaf auf meinem Sofa”. So bist du immer in Kontakt mit der Bevölkerung vor Ort.

Wie sah deine Reise bisher aus?

Ich habe in Dänemark, Deutschland und Polen gearbeitet. Ich bin durch Ungarn, die Slowakei und Tschechien gereist und ich war kurz in Frankreich, in der Schweiz und in Österreich.

Das sind ganz schön viele Orte.

Ja, man kommt ein bisschen rum. Aber irgendwas muss man ja machen. Das ist immer schön, wenn man jung ist. Wenn ich mich mit Leuten unterhalte, die ein bisschen älter sind oder Kinder haben, sagen viele zu mir: ,,Ich wäre gerne ein bisschen mehr gereist, als ich noch jung war”. Und wenn du das die ganze Zeit hörst, musst du das auch ernst nehmen. Mit der Wanderschaft habe ich die Möglichkeit zu reisen, ich bin wirklich frei, aber ich steige auch bei meinem Handwerk auf und bin wirklich stolz darauf, was ich gelernt habe. Darum wird die Liste immer größer und größer.

An welchen Projekten hast du unterwegs schon gearbeitet?

Das ist unterschiedlich. Meine längste Arbeitszeit waren dreieinhalb Monate. Ich habe probiert, Öfen zu bauen. Einmal einen Pizzaofen, das hätte ich zuhause nicht gemacht. Drei oder vier Badezimmer haben wir in den letzten zwei Jahren gemacht, ein paar Schornsteine verputzt. Alle möglichen Sachen. Viel gelernt und einfach eine schöne Zeit gehabt.

Gibt es Momente, Orte, Projekte, die dir besonders in Erinnerung geblieben sind?

Jedes Erlebnis ist besonders und hat was Gutes. Ich finde es schwer zu sagen, was am besten war. Alles zusammen ergibt das Bild. Ohne dieses Erlebnis oder diese Arbeit, wo ich diese Eindrücke hatte und das gelernt habe, wäre das nächste Erlebnis vielleicht nicht das Gleiche. Alles zusammen macht mich zu dem Menschen, der ich heute bin. Für mich ist jede Arbeit besonders wichtig.

Wie bist du nach Hermannstadt gekommen?

Letztes Jahr habe ich mit jemandem geredet, der nicht zum ersten Mal hier war. Er hat gesagt, sie brauchen Maurer nächstes Jahr in Hermannstadt für das Projekt und gefragt, ob ich mitkommen möchte. Für mich ist das ein neues Erlebnis, weil ich hier mit sechs Leuten zusammen arbeite und wohne. Nach der Arbeit können wir einfach reden, das macht es interessanter. Und hier gibt es das Projekt, eine sichere Anlaufstelle für uns, wenn wir reisen. Das funktioniert aber nur, wenn immer jemand herkommt und für das Projekt arbeitet.

Hast du an den anderen Orten nicht mit anderen Wandergesellen zusammengearbeitet?

Nein. Es gibt auch andere Projekte hier und dort, aber das hätte niemals in meine Planung gepasst. Hier habe ich das zum ersten Mal probiert und bin sehr zufrieden.

Hast du schon Pläne für die Zeit nach Hermannstadt?

Wir sagen gerne: ,,Wer Pläne macht, wird ausgelacht”. Aber ich habe einen groben Plan. Ich möchte gerne in die Türkei trampen, vielleicht durch den Iran und runter nach Indien. Aber wer weiß, was passiert? Vielleicht kommt irgendwann noch eine andere Möglichkeit, an die ich noch nie gedacht habe.

Danke für das Gespräch.

 

Anmerkung der Redaktion: Bis zum 3. September gibt es vor der Gesellenherberge am Huetplatz Workshops für Kinder.

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Im Jahreslauf.