…und dann sauste ich über die Ziellinie

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Persönliche Erfahrungen beim Internationalen Hermannstädter Benefizmarathon

Ausgabe Nr. 2773

Freudensprung:  Hurra, es geht bergabwärts! Dies scheint dem Marathonläufer mit seinem Freudensprung ausdrücken zu wollen. Bei dem diesjährigen Benefizmarathon ging es mal hinauf mal hinunter auf unterschiedlichen Unterlagen, mal auf Asphalt, mal auf Kopfsteinpflaster usw.  Auf jeden Fall gaben die zahlreichen Fotografen den Teilnehmenden Aufwind. Für ein Foto setzen sie sich in Pose auch wenn sie nahezu erschöpft waren, das konnte man immer wieder feststellen.                                                                                                                                  Foto: Adrian LUCA

4.630 Läufer haben sich für die 11. Auflage des Internationalen Benefizmarathons der Hermannstädter Gemeinschaftsstiftung (Fundația Comunitară Sibiu) eingeschrieben und sich damit für eines der 34 Projekte eingesetzt. Das ist praktisch der größte Benefizlauf in Rumänien, wenn man die Anzahl der Bevölkerung und die Anzahl der Läufer betrachtet. Die Wettläufe der Erwachsenen haben am Samstag, dem 4. Juni stattgefunden, die Kinder sind am Sonntag, dem 5. Juni, gelaufen.

 

Seit Jahren kennt man als Hermannstädter das Event, man ist dafür vielleicht gelaufen, man hat Freunde, Verwandte oder Kollegen, die gelaufen sind, man hat für sie gespendet oder man hat sich geärgert, dass im Zentrum die Parkplätze für einige Stunden gesperrt wurden. Oder aber man hat für ein Projekt oder gar für die Gemeinschaftsstiftung gearbeitet. Seit Jahren werden die Medaillen und Trophäen für den Marathon in der Keramikwerkstatt des Hermannstädter Tonal-Vereins hergestellt. Als Mitarbeiter des Vereins hat man zwar Zugang zu den Medaillen, doch wenn man nicht dafür gelaufen ist, macht es keinen Spaß, diese zu behalten. Und das wollten wir – eine Gruppe mehr oder weniger sportlicher Menschen – ändern, dazu war ein gemeinsames Versprechen bereits im Januar, das wir uns bei einem der Läufe einschreiben.

Jede Läuferin und jeder Läufer erhielt beim Zieleinlauf eine Medaille aus Ton, hier ein Teilnehmer an dem 10-km-Lauf. Foto: Mugur FRĂȚILĂ

Doch… versprechen ist leicht, laufen nicht so sehr. Und wenn man seit dem Lyzeum maximal paar Meter einem Bus hinterher gelaufen ist, praktiziert man die Verschiebung doch lieber als Joggen.

Doch die sieben festen Mitarbeiter der Gemeinschaftsstiftung ließen sich nicht beirren und organisierten ihr größtes Event des Jahres. Erst trommelten sie alle Vereine und Privatpersonen zusammen, die ein Projekt finanzieren wollten. Dann halfen sie ihnen, die Projekte zu schreiben und vorzustellen, so dass sie möglichst viele Läufer und Unterstützer haben.

Und zwar mit Erfolg: 34 Projekte wurden dann dem Publikum vorgestellt, 4.630 Läufer – davon rund 1.100 Kinder – schrieben sich ein. Von der Anzahl der Teilnehmer war das – nach zwei Pandemiejahren – das zweitbeste Jahr bisher. 2019 haben rund 5.500 Personen  mitgemacht, in den folgenden Jahren ist die Zahl dramatisch gefallen. Zur Überraschung der Organisatoren kam mit dem Abebben der Pandemie auch die Lauffreude zurück.

Die Läufe blieben gleich: Visma-Cross (5 km), Wenglor 10k (10 km), Elrond-Halbmarathon (21 km), Continental-Marathon (42 km), Marquardt-TeamRun (4×5,3 km), Squad Race by Joyson (3 km für Kinder zwischen 13 und 17) und die Decathlon-Kinderwettläufe (4-12 Jahre).

In unserer Gruppe gab es dann auch hitzige Diskussionen, wen man unterstützen soll, denn die Auswahl war wirklich groß. Wir einigten uns mit einer Ausnahme auf das Projekt des Vereins „Freunde der Störche“, der sich dieses Jahr für verletzte Wildtiere – auch Rehe – einsetzen will.

Die Verfasserin – die stellvertretende Chefredakteurin der HZ, Ruxandra Stănescu (2. v. r. vorne), – beim Zieleinlauf auf dem Großen Ring.                                                    Foto: Mugur FRĂȚILĂ

Bis auf einen von uns, der leider den Anmeldetermin – das war der 10. Mai – verpasste, sahen wir plötzlich ein, dass das Laufen langsam unvermeidlich wurde. Manche aus unserer Gruppe, die schon seit einiger Zeit aus freiem Willen joggen, trainierten fleißig und versuchten die Faulsten der Gruppe zum Laufen zu bewegen – mich inklusive. Und wenn ich seit dem Lyzeum nie wieder richtig gelaufen bin (und da war ich recht gut!) muss ich zugeben, dass ich auch seit den damaligen Jahren nicht mehr so bemüht war, Ausreden zu finden: es regnet, es ist sonnig, es ist kalt, es ist heiß, ich habe zu tun, ich habe keine Laufschuhe (die Schwester sprang prompt ein und brachte ein neues Paar mit), mein Hund hat die neuen Laufschuhe gefressen (hat er nicht!), da half alles nichts, der 4. Juni rückte näher und näher.

Knapp zwei Wochen vor dem Cross begannen auch wir zu trainieren, allerdings nicht im überfüllten Erlenpark, wo man in den letzten Monaten vor lauter Läufer kaum noch die Bäume sehen konnte. Die Anzahl der Läufer nimmt übrigens vor dem Benefizlauf dramatisch zu, um abrupt gleich danach wieder zu fallen.

Nach meinen ersten 2-3 Trainingseinheiten (keine länger als 2,5 Kilometer) war es für mich klar: ich laufe nicht gerne, ich fühle mich danach sehr, sehr gut, in den einigen Laufminuten nehme ich sicher kein Gramm ab und ich spüre einen unglaublichen Drang wirklich allen Bekannten und Unbekannten zu erzählen, dass ich laufe. Als ob ich jeden Tag einen Halbmarathon laufen würde, so stolz war und bin ich auf jeden mickrigen gelaufenen Meter.

Wir trainierten also mehr oder weniger fleißig, denn manche von uns trauten sich (und schafften auch) die längeren Strecken – 10k und Halbmarathon. Wir, die anderen, nannten uns aber gegenseitig weiterhin Rehe (Reh ist Reh, egal mit welcher „Polsterung“ man ausgestattet ist und wie elegant man läuft) und waren mehr oder weniger sicher, dass wir die 5 Kilometer in unter 60 Minuten schaffen. Was allerdings uns allen Sorgen bereitete war die Laufstrecke, die für alle Kategorien gleich ist: die ersten (für den Cross einzigen) 5 Kilometer, die rauf und runter in der Altstadt auf Pflastersteine gehen. Wenn die Crossläufer danach durchs Ziel laufen, müssen die anderen Kategorien dann Richtung Erlenpark und noch schlimmer (Rășinari und Poplaca) laufen.

Die Trophäe des Benefizmarathons ist ein 25 cm hoher Teelichthalter. Foto: Mugur FRĂȚILĂ

Ich trainierte jeden Tag, schaffte es, schneller zu laufen und die Strecke auf 3,5 km zu erhöhen und meiner ganze Familie und allen Freunden zig mal zu erzählen, dass ich laufe. Ja, ich laufe. Das hatte auch eine gute Seite, denn man läuft für einen guten Zweck. Für jeden Läufer kann man nämlich spenden – es ist ja ein Benefizlauf. Und wir in unserer Gruppe begannen unseren zweiten internen Kampf, nach dem, wer härter und besser trainiert: Wer mehr Geld einsammelt. Ja, das Geld geht zwar direkt zur Gemeinschaftsstiftung und dann zum jeweiligen Verein, wir haben uns aber über jede Spende so gefreut, als ob wir das Geld für die eigenen Laufschuhe ausgeben würden. Ich war zwar die erste in der Gruppe, die eine Spende erhielt, doch blieb nicht lange allein und bin jetzt nicht an der Spitze. Der Kampf geht aber weiter, denn spenden kann man bis zum 30. Juni, eine Minute vor Mitternacht. Und bis dann werden wir fleißig auf den Sozialplattformen unsere Einschreibenummer posten (ich hatte https://maratonsibiu.ro/inscriere-sustinator/?alergator=10898) und freudig auf die Ergebnisse  warten. Erst dann wissen wir, wer „gewonnen“ hat, auch wenn wir täglich fiebernd nachschauen auf die Internetseite des Marathonlaufes (https://maratonsibiu.ro). Und eigentlich hoffen wir, dass der Verein und auch die anderen Projekte ihre Gelder einsammeln werden. Die Gemeinschaftsstiftung passt übrigens auf, dass das Geld richtig eingesetzt wird.

Und auch daraus habe ich was gelernt: Ich habe mich für die Geste gefreut, auch 20 gespendete Lei sind schon toll und noch wichtiger: Ich würde mich freuen, wenn die Spender mit ihrem Namen oder zumindest Spitznamen spenden würden, und nicht anonym. Ich würde mich gerne bei den Spendern bedanken.

Während wir trainierten, ging das Leben weiter, die Medaillen wurden nach den Wünschen der Auftraggeber hergestellt und glasiert, dann kam es an die Zeit, die Trophäen herzustellen – „die Schönsten bisher!“, so die Organisatoren, die sich in diesem Bereich eher überraschen ließen – und plötzlich war es der 4. Juni und wir gingen zusammen mit über 3.000 Läufer auf dem Großen Ring und spürten plötzlich, dass sich die ganze Mühe gelohnt hat.

Erst starteten die Läufer der langen Strecken, dann kamen wir mit unserem Cross an der Reihe, bei dem über 2.000 Läufer eingeschrieben waren und deswegen in zwei Gruppen starten müssen. Ich war in der 2. Gruppe und hatte so die Chance, meine Leidenskollegen starten zu sehen. Dann stellten wir uns mehr als 1.000 Leute an die Startlinie und es ging und lief bergauf, bergrunter, durch die schöne Altstadt, doch wer hatte dafür Augen. Mich überholten die ganze Zeit Läufer von links und rechts, ich musste regelmäßig zurückschauen, ob ich doch nicht die Letzte geblieben bin. War nicht de Fall, ich bin nicht mal im letzten Viertel angekommen (verschönert gesagt), das hat sich aber so angefühlt.

Begleitet wurden die Läufer auf der ganzen Strecke von insgesamt 520 Volontären, die pfiffen, riefen, fotografierten und auf den langen Strecken Wasser und Stärkungen verteilten. Auch in diesem Bereich freut sich die Hermannstädter Gemeinschaftsstiftung über eine große Unterstützung – ein weiterer Erfolg dieses Events, das die Gemeinschaft stärkt.

Und dann bin ich durch die Ziellinie gesaust. Übrigens, seit dieser genauen Sekunde erzähle ich nicht mehr, dass ich laufe, sondern dass ich beim Cross gelaufen bin. Und ich erhielt die viel begehrte Medaille, die ich mir all diese Jahre gewünscht habe, aber zu faul dafür war.

Und dann wurden wir, die Läufer, mit Leckereien von den vielen Sponsoren des Benefizlaufes belohnt, Früchte, Burger, Eis, Bier, Süßigkeiten und Wasser. Egal, ob wir drei oder 42 Kilometer gelaufen sind, waren wir in dem freudigen Event vereint und stolz brachten wir unsere Medaillen und manche ihre Trophäen nach Hause. Meine persönliche Trophäe ist eigentlich meine Laufnummer (3856), die ich womöglich einrahmen werde. Und für die 12. Auflage am 27. Mai 2023 überlege ich mir, ob ich mich sogar auf die 10-km-Strecke traue.

Noch bin ich – knapp eine Woche nach dem Cross – nicht wieder gelaufen, doch ich glaube, dass ich es bald wieder machen werde. Versprechen kann ich allerdings nichts, denn es ist wieder warm, es regnet, es ist sonnig und heiß, der Hund hat meine…

Ruxandra STĂNESCU

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Sport.