Die Synagoge als Subjekt und Muse

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Die US-Amerikanerin Sarah Brown auf theatralischer Spurensuche in Hermannstadt

Ausgabe Nr. 2773

Probenfoto mit Antonia Dobocan, Cristina Ghinieș und Patricia Buraga (v. l. n. r.). Foto: die Verfasserin

,,Geh auf sie zu, wenn du das sagst”, erklingt es von der Bimah im Zentrum des Raums. An der Stelle, wo die Torah vom Rabbi vorgelesen würde, steht jetzt Sarah Brown, ebenfalls mit Skript in der Hand. Die amerikanische Professorin, Theaterautorin, Regisseurin und Darstellerin jüdischer Herkunft kennt den Text am besten. Sie hat das Drehbuch verfasst, spezifisch für die Synagoge. Ihr Stück „A Secret About Joy“ (deutsch: Ein Geheimnis über die Freude) wird im diesjährigen Hermannstädter Internationalen Theaterfestival in der Synagoge gezeigt. Nachdem sie drei Monate mit dem Schreiben verbrachte – „ein neuer Rekord für mich“, so Brown – hat sie die Proben im Mai begonnen. Brown korrigiert die Aussprache der Darstellerinnen – die englische Sprache sei eine weitere Herausforderung – und gibt zusätzliche Hinweise. Die Schauspielerinnen setzen sie um, bevor Brown zur Pause aufruft. „Ihr habt hart gearbeitet“, meint sie begeistert.

„Eine der Schwierigkeiten bisher war die Proben zu planen, sodass alle dabei sind“, sagt Brown. Halb scherzhaft fügt sie hinzu: „Ich glaube, an der Premiere werden sich alle zum ersten Mal treffen.“ Hier zu arbeiten und an der Lucian Blaga-Universität zu unterrichten habe ihr beigebracht, mit einem Maß von Wildheit und Spontaneität umzugehen. Sie beschreibt dies als Geschenk und Fluch: „Ich habe hier ein kreatives Umfeld für mich gefunden.“ Brown freut sich besonders über die Zusammenarbeit mit Constantin Chiriac, Direktor des Radu Stanca-Nationaltheaters (TNRS) und des FITS, der ihre Ideen unterstützt. „Er hat mir so oft ein Ja gegeben. Das ist für mich als Künstlerin magisch.“

Brown hat ein Fulbright-Stipendium vom US-amerikanischen Staat erhalten – pro Jahr wird ein solches an 800 Personen vergeben. Die Professorin an der Universität von Memphis war 2010/11 als Fulbright-Stipendiatin in Israel. „Dort habe ich gelernt, ortsspezifische Darstellungen zu kreieren. Das ist hier nicht üblich.“ Ortsspezifische Stücke ehren den Standort, der selbst fantastisches Theater entstehen lässt und das Theater des täglichen Lebens offenlegt, so Brown. „Der Ort ist der Protagonist und wird durch Darstellende zum Leben erweckt.“ Sie fügt mit einem Lachen hinzu: „Als Autorin ist es angenehm, da der Ort als Subjekt und Muse zugleich zeigt, was man schreiben muss.“

Um die Synagoge zum Leben zu erwecken, hat Brown 27 Mitwirkende engagiert – fünf ihrer Master-, zwei Bachelor-Studierende, sechs Schauspielerinnen und Schauspieler des TNRS, zehn Chorsingende sowie vier Musizierende. „Ich bin froh, mit Profis zu arbeiten. Dann bin ich in meinem Element.“ Unter den Mitwirkenden sind keine Jüdinnen oder Juden, berichtet Brown. „Besser als das kommt es nicht“, meint sie, „weil es eine liebevolle Geste ist, sich in die Schuhe einer anderen Person zu versetzen.“ Die Darstellenden würden die jüdische Gemeinschaft mit Sorgfalt und Respekt verkörpern. Brown prognostiziert, dass die gefühlvollen Darbietungen auch das Publikum bewegen und ihnen einen andernfalls verwehrten Einblick bieten werden.

„A Secret About Joy“ spielt im Jahr 1927. „Ich will, dass die Leute in die Synagoge kommen, wo sie möglicherweise noch nicht waren und näher an die Herzen und Seelen der damaligen jüdischen Gemeinschaft kommen.“ Das Stück will auf eine fröhliche Art zum Verständnis des jüdischen Geistes und der Kultur inspirieren. „Ich möchte den Zuschauenden zeigen, dass die Kongregation den gleichen Schmerz, Freude, Trauer, Hoffnung und Träume in ihre Synagoge gebracht hat, wie sie in ihre Gotteshäuser.“ Was sie ihrem Publikum verständlich machen will, erklärt sie weiter: „Ich kann Nähe zu jüdischen Menschen verspüren; das hier ist nicht bloß ein Museumsstück.“ Für die Vorführungen verspricht sie berührende und humorvolle Momente.

Browns Stück wird am 24. und 25. Juni um 16 respektive 18 Uhr in der Synagoge gezeigt. Tickets sind bei vollem Preis für 60 Lei und bei reduziertem für 40 Lei auf der Website des Festivals unter https://www.sibfest.ro/en//events/a-secret-about-joy erhältlich. Den letzten Proben zwischen 20. und 23. Juni kann ohne Eintrittsgebühr beigewohnt werden. Interessierte können sich per E-Mail (sarah.brown@ulbsi biu.ro) an Sarah Brown wenden. „Kommt in dieses historische Gebäude, das das Leben einer verlorenen und wunderschönen Gemeinschaft repräsentiert, die auf eine Art zurückgebracht werden wird, wie man es noch nie erlebt hat“, lädt sie ein. Jetzt geht es erstmal zurück zu den Proben. Nach der Pause treten die Schauspielerinnen ein, schnappen sich die Skripte und arbeiten weiter an ihrer Darbietung.

Carla HONOLD

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Theater.