Innovation war und bleibt Familientradition

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Wie die Optiker-Familie Kovats von Hermannstadt nach Baden kam

Ausgabe Nr. 2768

Carlo Kovats in seiner Werkstatt in der Heltauergasse Nr. 2 kurz vor seiner Auswanderung nach Deutschland, die 1969 erfolgte.

„Kovats – seit 1870“ ist auf dem Schild an einer Hausfassade im Schweizer Städtchen Baden zu lesen. An der „Weiten Gasse“ in der Altstadt betreibt die Familie Kovats ihren Laden. Seit mehreren Generationen gibt es ihr Optik- und Fotofachgeschäft in der heute knapp 20.000-Seelen-Stadt. Im Inneren des Betriebs blicken die Ahnen der Familie von Porträts auf ihre Nachfahren und deren Kundschaft. Eröffnet wurde das Badener Geschäft 1935, der Anfang der Familiengeschichte spielte sich jedoch weit entfernt von der Stadt und der Schweiz ab. Die ersten Generationen der Kovats-Optikspezialisten wirkten während beinahe 100 Jahren in Hermannstadt.

Der gelernte Feinmechaniker Karoly Kovats, dessen Bild ebenfalls im Badener Betrieb hängt, hat 1870, wie Imre Kovats im zum 150. Jubiläum verfassten Buch über die Familiengeschichte schreibt, sein eigenes Optikgeschäft in Hermannstadt gegründet. An der heutigen Heltauergasse/Str. Nicolae Bălcescu Nr. 25 oder 27 legte der gebürtige Budapester den Grundstein für die Familien-
tradition. Er bestritt seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf und der Reparatur von mechanischen Uhren, Fotoapparaten, mechanischen Schreib- und Rechenmaschinen und bildete sich autodidaktisch zum ersten Optiker in der Familie weiter, so Imre Kovats.

Werkstatt in Hermannstadt um 1910, bereits elektrifiziert.

Nach dem frühen Tod von Karoly Kovats 1888 übernahm seine Ehefrau Catharina Zacharides, eine Siebenbürger Sächsin, die Geschäftsführung – „was damals sehr ungewöhnlich war“. Zu dieser Zeit seien neben dem Fachbereich der Optik hauptsächlich mechanische Spielwaren feilgeboten worden. Sohn Guido Kovats entwickelte das Geschäft nach und nach zu einem augenoptischen Fachgeschäft und betrieb es nach dem Tod seiner Mutter 1913.

Ingo Kovats, Cousin von Imre Kovats und gebürtiger Hermannstädter, weiß: „Guidos Geschäftsauffassung bestand darin, nicht nur Waren an Kunden zu verkaufen, sondern gleichzeitig insbesondere im Brillenbereich, sicherzustellen, dass die Auswahl kompromisslos richtig war.“ Durch die langen Beratungen, mehrfache Probesitzungen und enge Zusammenarbeit mit Augenärzten habe das Geschäft einen Bekanntheitsgrad über Hermannstadt hinaus erlangt. „Noch heute finden sich in alten Haushalten Thermometer mit dem Stempel ,Guido Kovats – Optiker, Hermannstadt‘.“

Der Laden von Guido Kovats, der Enkel des Firmengründers Karoly Kovats, um 1935 in der Heltauergasse Nr. 21.Fotos: Familienarchiv Kovats

Auf Inseraten für den Familienbetrieb warb Guido Kovats später mit seinem Sohn Carlo, der die Ausbildung zum Optiker an der „ersten Fachschule des Kontinents“ im deutschen Jena absolviert hatte. Carlos Bruder Harry schloss zwei Jahre später, wie sein Sohn Imre Kovats in der Familienhistorie beschreibt, ebenfalls diese Schule ab. Dort legten sich die Weichen für Harry Kovats‘ Weg in die Schweiz. Der Vater eines Mitstudenten war gestorben, und Harry habe mit dessen Sohn vereinbart, das Familiengeschäft im Schweizer Kanton St. Gallen bis zu seinem Studienabschluss zu führen.

Während seiner Zeit in der Ostschweiz lernte Harry Kovats, wie im Jubiläumsbuch steht, seine zukünftige Ehefrau Berthe Ackermann kennen. Später zogen die beiden nach Baden, wo sie 1935 das erste Kovats-Geschäft in der Schweiz eröffneten. Im heimischen Hermannstadt übernahm Carlo Kovats das Geschäft seines Vaters 1937, berichtet sein Sohn Ingo Kovats. Seit der Studien- und Militärzeit arbeitete Carlo im elterlichen Betrieb. Der unerwartete und plötzliche Tod von Guido Kovats acht Jahre später, habe eine tiefe Zäsur in die Geschichte der Firma gebracht. „Carlo musste von einem Tag auf den anderen das Geschäft alleine weiterführen“, schreibt Ingo Kovats dazu.

Erster Laden in Baden.

Während der Betrieb in Baden florierte, kamen Schwierigkeiten in Hermannstadt auf. Carlo Kovats wurde gedrängt, der staatlichen Firma „Centrofarm“ beizutreten und das eigene Geschäft durch Auflösung zu schließen. Ingo Kovats erklärt: „Nicht zuletzt war das repräsentative Ladenlokal des Optikers Kovats den kommunistischen Lokalpolitikern ein Dorn im Auge.“ 1950 wurde das Familienunternehmen von „Centrofarm“ übernommen und Carlo Kovats arbeitete als Angestellter im vormals eigenen Geschäft.

Eineinhalb Jahre später wagte er den Schritt zurück in die Selbstständigkeit. „Es sollte ein dorniger Weg gegen den Widerstand der Parteifunktionäre werden“, so Ingo Kovats. Unter den Betroffenen der bürokratischen Hürden sei eine Solidarität entstanden. Im Alltag hätten sie als hilfreiches Mittel die Mehrsprachigkeit in Siebenbürgen verwendet. „Es wurde auf Deutsch oder Ungarisch kommuniziert.“ Damit konnten die staatlichen Vertreter umgangen werden.

Wie Ingo Kovats schreibt, ließ die Quittung dafür nicht lange auf sich warten. Carlo Kovats musste sein Geschäft in der Heltauergasse Nr. 21, wohin Vater Guido das Geschäft 1906 verlegt hatte, aufgeben und ins Obergeschoss der Nr. 31 ziehen. Das Wohnzimmer in der Altbauwohnung im Hinterhof musste er sich mit einem Uhrenmacher teilen. „Der Druck zur Aufgabe der Selbstständigkeit wurde mit allen Mitteln weitergeführt“, berichtet Ingo Kovats. Er schreibt z. B. von häufigen Abgabeerhöhungen, unangekündigten Finanzkontrollen und stundenlangen Besuchen von Partei- und Stadtverwaltungsvertretern.

Vierte und fünfte Generation Kovats vor ihrem Laden in Baden: Nicolas, Gabor, Manuel und Imre Kovats (v. l. n. r.).

Ende der 50er-Jahre wurde beschlossen, dass kleine Unternehmen, wie das Optikergeschäft Kovats, die weniger als drei Mitarbeitende beschäftigten, in der Genossenschaft „Tehnica Nouă“ zusammengeführt werden sollten. „Ein Name wie ein Hohn“, so Ingo Kovats. Durch den Beitritt zur Genossenschaft konnte Carlo Kovats sein Geschäft im Ladenlokal in der Heltauergasse Nr. 35 betreiben. Obwohl der Name Kovats von dem Firmenschild verschwand, blieb er im Gedächtnis der Kundschaft erhalten: „Nach wie vor stand der Name Kovats in ganz Siebenbürgen für ‚Gutes Sehen‘.“

1968 zog das Optikergeschäft erneut um, dieses Mal in die Heltauergasse Nr. 2. Ein Jahr danach wurde Carlo Kovats der Optikertitel aberkannt. Er wurde „Brillenreparateur“. Ingo Kovats erzählt: „Die neue berufliche Einstufung sollte ihn nicht nur demütigen, sondern gleichzeitig seine Gehaltseinstufung, nach der die zukünftige Rente berechnet werden sollte, möglichst niedrig ansetzen.“ Unter diesen Umständen beschloss Carlo Kovats, sich der Auswanderung der Siebenbürger Sachsen nach Deutschland anzuschließen. Mit seinem letzten Arbeitstag fand das Geschäft in Hermannstadt nach fast 100 Jahren sein Ende.

Ingo Kovats erinnert sich: „Ich selbst habe die letzten Geschäftsjahre meines Vaters nicht mittelbar miterlebt, denn ich war in der Zeit zum Studium in Bukarest.“ In seiner Kindheit und bis zu seiner Zeit am Brukenthal-Gymnasium habe er gerne und viel Zeit bei seinem Vater im Geschäft verbracht und mit Interesse die Reparaturarbeiten in der Werkstatt verfolgt. Als es auf seinen Schulabschluss zuging, habe sich die Frage nach der Berufswahl bald erledigt. „Mein Vater sah aufgrund der Erfahrungen, die er seit etwa 1950 machen musste, keine Zukunft für den Beruf eines Optikers im kommunistischen Rumänien.“

Auch der Wunsch nach einem Studium der Wirtschaftswissenschaften blieb ihm verwehrt. „Als es zu den Aufnahmeprüfungen kam, wurde mir unmissverständlich klar gemacht, dass es hoffnungslos sei, als Sohn siebenbürgisch-sächsischer Eltern, einem Vater, der im ‚Privatsektor‘ sein Geld verdient und keine Parteizugehörigkeit nachweisen konnte, einen Studienplatz zu erhalten.“ Ingo Kovats studierte Germanistik und Anglistik.

Aktuelle Außenansicht in Baden.

Seinen beruflichen Anfang machte er in Bukarest, bevor er sich 1974 mittels einer Besuchserlaubnis bei seinen Eltern in Aachen nach Deutschland absetzte. Er arbeitete bis zu seiner Pensionierung schwerpunktmäßig im Bereich Deutsch als Fremdsprache und als Übersetzer. Heute lebt er mit seiner Frau in Nairobi. Zu Hermannstadt meint Ingo Kovats: „Für mich ist die Stadt ‚Sibiu‘ geworden.“ Neben der Lektüre der HZ und dem Überweisen der Taxen an die evangelische Kirche für die Gräber der Familie, verbinde ihn jedoch noch der rege Kontakt zu Zahnarzt Ioan Lupu, der im Haus seiner Kindheit eine Praxis betreibt, mit der Heimatstadt seines Vaters.

Seit der Eröffnung des Familienbetriebs im schweizerischen Baden hat auch das dortige Optik- und Fotografiefachgeschäft einige Umzüge erlebt, die Imre Kovats im 150-Jahr-Jubiläumsbuch beschreibt. Nach der Pensionierung von Berthe und Harry Kovats, der laut seinem Sohn bis zum Tod eine Mischung aus Schriftdeutsch, siebenbürgisch-sächsischer Mundart und Schweizerdeutsch sprach, übernahmen die Kinder Ilona, Marika, Nicolas und Imre die mittlerweile zwei Betriebe in Baden.

Imre Kovats erinnert sich an seinen ersten Besuch in Hermannstadt 1999: „Vieles ist mir von den Geschichten meines Vaters bekannt vorgekommen.“ Die Stadt und die herzlichen Leute hätten ihn auch bei seinem zweiten Besuch mit seinen Geschwistern und Cousin Ingo 2012 begeistert. Trotzdem sei es ein zwiespältiges Verhältnis. „Einerseits besteht ein Heimatgefühl, andererseits verließ mein Vater die Stadt früh und wir haben keine Verwandten mehr dort.“ Das Verfassen des Jubiläumsbuches, das fast zwei Jahre in Anspruch nahm, hätte ihm vieles erklärt, worauf er sonst nicht gestoßen wäre. Der vierfache Vater und fünffache Großvater weiß: „Für uns ist die Leidenschaft für neue Entwicklung und innovative Optik Familientradition und die wurde von Generation zu Generation weitergegeben.“

In der Schweiz genießt das Geschäft der Familie Kovats, wie früher jenes in Hermannstadt, Bekanntheit weit über die Grenzen der Stadt. Zum einen ist der Betrieb für seine ausgefallenen Schaufenster und die Präsentation der Brillen in der Region berühmt. Unter der fünften Kovats-Generation mit Cousins Manuel und Gabor wurden die zwei Geschäfte 2018 wieder zu einem zusammengeführt. Seither ist die Kovats Optik AG an der Weiten Gasse zu finden. Insgesamt 12 Mitarbeitende kümmern sich dort um die Bedürfnisse ihrer Kundinnen und Kunden. Neben den Porträts der Familienvorfahren hängen im Geschäft auch Bilder der weiteren Generationen und deren Nachfahren, die das Geschäft zukünftig weiterführen könnten.

Carla HONOLD

 

Mehr dazu im Buch zum 150. Familienjubiläum, das als E-Book zu finden ist unter: https://kovats.ch/2020/06/26/150-jahre-kovats-optik/

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Allgemein.