,,Vom Taumeln zwischen den Kulturen“

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Peter Biros Autobiographie über seine ,,Kindheit in Transsylvanien“

Ausgabe Nr. 2767

Peter Biro, Vom Taumeln zwischen den Kulturen. Eine Kindheit in Transsylvanien, Weber-Verlag Thun 2021, 348 Seiten, ISBN 978-3-03922-118-9, 26 Euro.

Der aus Rumänien gebürtige pensionierte Medizinprofessor und zuletzt als Leitender Arzt am Universitätsspital Zürich tätige Peter Biro hat in den letzten Jahren seine Liebe zum Schreiben entdeckt. So verfasste er zahlreiche Beiträge für die Klausenburger Online-Plattform „Baabel“ und publizierte außerdem im vergangenen Jahr im Bukarester UZP-Verlag unter dem Titel „Incredibila poveste a lui Jean-Jacques Récamier“ ein Buch mit fünfzig Kurzgeschichten, die von verschiedenen Übersetzern, darunter ihm selbst, aus dem Deutschen ins Rumänische übertragen wurden.

Der polyglotte Autor Peter Biro, der neben seiner Muttersprache, dem Ungarischen, auch das Rumänische, das Englische und seine Literatursprache, das Deutsche, perfekt beherrscht, hat nun im Schweizer Weber-Verlag seine Autobiographie veröffentlicht, die sich unter dem Titel „Vom Taumeln zwischen den Kulturen“ vornehmlich seiner Kindheit und Jugend im Kreischgebiet widmet.

Peter Biro wurde am letzten Tag des Jahres 1956 in Großwardein als Spross einer ungarisch-jüdischen Familie geboren, die väterlicherseits – wie das Epilog-Kapitel „Cherchez la famille“ eindrücklich schildert – über die ganze Welt verstreut wohnt, während die Mutter als Auschwitz-Überlebende nahezu sämtliche näheren Verwandten im Holocaust verlor.

Im Prolog zu seiner Autobiographie beschreibt Peter Biro die Region, in die er durch Geburt verschlagen wurde, als „geschichtsverschlissene Gegend“ (S. 9), in der die über Generationen tradierte Anpassungsfähigkeit in jenem geographisch und kulturell definierten Grenzbereich als conditio sine qua non gesellschaftlichen Bestehens betrachtet werden konnte. Peter Biro findet für dieses bewährte Identitätskonzept den Begriff „Chamäleonismus“, den er im Kapitel „Die hohe Kunst des angewandten Chamäleonismus“ ausgiebig auch auf sich selbst anwendet.

„Zunächst begann ich meine Laufbahn als städtisch-ungarisches Kleinkind.“ (S. 120) Bei Ferienaufenthalten im 50 km von Großwardein entfernten Răbăgani erwirbt Peter Biro zusätzlich eine dörflich-bäuerliche rumänische Identität, die dann im Kindergarten und vor allem in der Schule durch eine städtische rumänische Identität ergänzt wird. Im familiären Umfeld erfährt der Autobiograph außerdem „bruchstückweise, was es heißt, jüdisch zu sein, aber nicht im religiösen Sinne, sondern eher als Angehöriger einer ethnisch definierten Schicksalsgemeinschaft mit einem etwas zu schweren Gepäck voller Verfolgungserfahrungen.“ (S. 121)

Die chamäleonhafte Anpassungsfähigkeit verhindert allerdings gerade das „Taumeln“ zwischen den Kulturen, das der Titel der Autobiographie nahe legt, vielmehr erweist jene sich als kulturelle Grundkompetenz in einem multiethnischen Ambiente, die schon der kleine Peter perfekt verinnerlicht hat: „Ich hatte keine Mühe damit, meine Sprechweise übergangslos zwischen den Sprachen und Dialekten zu vollziehen, wenn es sein musste, sogar inmitten eines Satzes. Diese Gabe war auch vielen anderen Zeitgenossen gegeben, denn die Umstände machten es erforderlich.“ (S. 122)

Peter Biros Autobiographie umfasst insgesamt 48 Kapitel nebst einem Prolog und einem Epilog. Durch die kleinteilige Aufgliederung des umfangreichen Gesamttextes gewinnt das Buch an Lesbarkeit, die durch den besonderen Schreibstil des Autors zusätzlich an Flüssigkeit gewinnt. Humoristisches, ironisches, satirisches, anekdotisches und causeurhaftes Schildern amalgamieren sich zu einer Erzählhaltung, welche die Kindheit und die Jugend des Protagonisten durchweg aus der Perspektive des reifen Erwachsenen in Augenschein nimmt. Dem entspricht auch der ubiquitäre Gestus distanzierten Kommentierens, der die Fabulierlust des Autors, die er von seinem Vater geerbt hat, kongenial konterkariert.

Überall in Peter Biros Autobiographie ist auch der Wille spürbar, den Leser in die für diesen möglicherweise fremde Erzählwelt umfassend einzuführen: durch landeskundliche Erläuterungen, sprachliche Erklärungen, kulturelle Anmerkungen und nicht zuletzt durch zahlreiche Fußnoten, die etwaige Hindernisse für das Verstehen im Handumdrehen ausräumen. Auch die Aufnahmen von Großwardein und die vielen Familienfotos, jeweils in Schwarzweiß, die sämtlich aus dem Privatarchiv des Autors stammen, machen die Lektüre anschaulich und repräsentieren bildlich die Authentizität des Erzählten.

Der erste und umfangreichste Teil des Buches umfasst, neben der Vorgeschichte, die rumänischen Jahre des Autors von 1956 bis 1970 (Kapitel 1 bis 41). Die Emigration der Familie und die Zeit danach in der Bundesrepublik Deutschland (1970 bis 1976) sind Gegenstand der Kapitel 42 bis 45, woran sich dann für den Protagonisten der Autobiographie ein neuerliches rumänisches Intermezzo anschließt (Kapitel 46 und 47): der Beginn seines Medizinstudiums in Klausenburg im Jahre 1976, das Peter Biro im Jahr darauf in Frankfurt am Main fortsetzt (Kapitel 48). Der Epilog informiert dann über die weitere berufliche und persönliche Entwicklung des Autors, von der Approbation als Arzt 1983 über die Emigration in die Schweiz 1987 bis zur Gegenwart im 21. Jahrhundert.

Lebensfülle und Wirklichkeitshaltigkeit sind die Kennzeichen dieser Autobiographie, die nicht nur der eigenen Familie mit ihren jeweiligen Vorfahren, sondern auch dem Landkreis Bihor und insbesondere der Kreishauptstadt Großwardein ein Denkmal setzt: die Brücken über die Schnelle Kreisch, die erinnerungsträchtigen Straßen der Stadt, Architektur und Kultur Großwardeins sind der prägende Hintergrund für das Leben des Autors, in dem vor allem während der sechziger Jahre auch die Politik und die Gesellschaft Rumäniens eine beherrschende Rolle spielen. Wer dieses lesenswerte Buch zur Hand nimmt, wird darin zahlreichen Menschen und ihren besonderen Schicksalen begegnen und nicht zuletzt auch in Erfahrung bringen, warum der Autor im Grunde zwei Väter hat, die dazuhin ein und denselben Vornamen tragen.

Dr. Markus FISCHER

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Bücher.