Gespräch mit Götz Teutsch, Solocellist der Berliner Philharmoniker i. R.
Ausgabe Nr. 2767
„Die Musik sollte einen Mittelpunkt haben“: Aus dieser Idee entwickelte der am 14. Juli 1941 in Hermannstadt geborene Cellist Götz Teutsch eine Konzertreihe, die seit 22 Jahren den Spielplan der Berliner Philharmoniker bereichert. Der „Philharmonische Salon“ zieht jedes Mal ein zahlreiches Publikum an mit seiner eigenen Atmosphäre aus Wort und Ton, aus Literatur, Weltbildern und Musik. Aus aktuellem Anlass – Rumäniens Staatspräsident hat Götz Teutsch, Solo-Cellist der Berliner Philarmoniker i. R. den Nationalen Kulturverdienstorden im Rang eines Offiziers verliehen, Rumäniens Botschafter in Wien, S. E. Emil Hurezeanu wird diese Auszeichnung am Montag, dem 2. Mai, in der Rumänischen Boschaft in Wien an den Gewürdigten, der heute in Salzburg lebt, überreichen – lesen Sie im Folgenden Ausschnitte aus einem Interview, das die Berliner HZ-Korrespondentin Christel W o l l m a n n-F i e d l e r im November 2017 in Berlin im Anschluss an den Kammermusikabend ,,Czernowitz is gewen an alte, jidische Schtot“ mit dem Initiator des ,,Philharmonischen Salons“ geführt hat.
Sie sind in Hermannstadt in Siebenbürgen, inmitten der Karpaten, im Zweiten Weltkrieg geboren …
Geboren bin ich in Hermannstadt, meine Familie, die Familie Teutsch, sind Urhermannstädter. Der Bischof Georg Daniel Teutsch (1817-1893) war mein Urgroßvater, der andere Bischof, Friedrich Teutsch (1852-1933), war mein Großonkel. Als ich ganz, ganz klein war, ist mein Vater, noch vor meiner Kindergartenzeit, nach Reps versetzt worden. Er ist als Arzt dorthin bestellt worden und die ganze Familie ist nachgezogen. Für uns Kinder war das ein Segen, in dem Ort gab es kein Auto, keine asphaltierte Straße, man konnte herrlich spielen und Gärten gab es rundherum. Für uns Kinder war es schön, doch für die Eltern ein Alptraum. Wir hatten Schweine, Hühner und Misthaufen, alles, was den Leuten heute abgeht.
Wo haben Sie Cello studiert?
Na, ja, das ist eine ganz lustige Geschichte. Mein Vater war Arzt. Er hatte einen Patienten, der nicht bezahlen konnte. Mein Vater hat immer gesagt, wenn die Patienten gefragt haben, was sie zu zahlen hätten: „Werd‘ gesund, das ist das Beste!“ Die Mutter hat dann hinten herum für das Geld gesorgt, soweit es ging. Ein Patient war sehr betrübt, weil er nicht zahlen konnte und er hat meinem Vater ein furchtbares Cello geschenkt. Wirklich, ein handgemachtes Cello, selbst gebaut, aber es war ein Cello. In Reps gab es einen Apotheker, den Mederus. Dieser Apotheker hatte in Wien Pharmazie und Klavier studiert. Im Hinterzimmer der Apotheke stand ein Flügel und ich war sein Klavierschüler, dann auch sein Celloschüler, weil er der einzige war, der Unterricht geben konnte. Obwohl er nicht Cello spielen konnte, war er einer meiner besten Lehrer. Mederus gab mir das Cello in die Hand und eine „Schulung für Selbstunterricht“ in der ersten Cellostunde. So bin ich bei ihm in die Lehre gegangen und das war großartig, weil er Klavier gespielt hat und ich mit ihm gemeinsam musiziert habe. So bin ich aufgewachsen mit einer ganz natürlichen Art, Cello zu spielen, ohne Zwänge und ohne Regeln, wie ich die Hände zu halten habe, und, und, und… Das wurde dann bei mir immer intensiver, so dass ich das Gymnasium in Schäßburg kaum noch ertragen konnte, außer den Deutschlehrer und den Musiklehrer, die fand ich toll. Dann sagte mir der Musiklehrer eines Tages: „Du hast hier am Gymnasium nichts verloren, Du musst nach Bukarest in die Musikschule gehen“. Dort habe ich dann die Aufnahmeprüfung gemacht. In dem Musikgymnasium sind sie fast in Ohnmacht gefallen. Ich musste die Aufnahmeprüfung zweimal spielen, weil sämtliche Lehrer der Schule zusammengetrommelt wurden, um sich ,,dieses Kind, das aus den tiefsten Karpaten kommt“, anzuhören. Man nahm mich auf und in meiner Klasse war der Edy Weissmann. Seine Familie war vor den Sowjets nach dem 2. Weltkrieg nach Bukarest zum Onkel geflohen. Ich konnte nur gebrochen Rumänisch und war selig, dass ich mit jemandem Deutsch sprechen konnte. Der Unterricht war Rumänisch, doch nach einem Viertel Jahr konnte ich fließend Rumänisch, das war dann überhaupt kein Problem mehr. Aber mit Edi habe ich immer Deutsch gesprochen, auch mit seiner Mutter. So sind wir uns nahe gekommen. Ich hatte aber von Czernowitz gar keine Ahnung. Dann kam hinzu, dass wir beide, Edy und ich in Berlin gelandet sind.
Haben Sie in Schäßburg die Bergschule besucht?
Natürlich, es war ein deutschsprachiges Gymnasium. In der Schule war ich zwei Jahre, achte und neunte Klasse, dann in der neunten Klasse bin ich nach Bukarest übersiedelt und kam in die 10. Klasse des Musikgymnasiums Nr. 1.
Nach dem Studium gingen Sie dann in den Westen, wieso und warum, so einfach war das damals ja nicht?
Nein, einfach war es überhaupt nicht. Ich bin nicht in Rumänien geblieben, weil meine Eltern als Deutsche einen Ausreiseantrag für die gesamte Familie gestellt haben. Ich durfte vorher nicht aus dem Land heraus, ich durfte zu keinem Wettbewerb, ich durfte zu keinem Meisterkurs. Das ist für junge Menschen die Katastrophe auf dieser Erde. Ich habe mich sehr, sehr wohl gefühlt in Rumänien, ich liebe die Rumänen. Viele Züge von ihnen, die ich erlebt habe, finde ich fantastisch. Meine erste Frau war Rumänin, die ist leider gestorben. Sie, die Rumänen, waren nicht der Grund, nur diese furchtbare Diktatur, die dort herrschte, die die jungen Leute eingekerkert hat und man sich nicht nach außen bewegen konnte. Damals kamen die bekanntesten Cellisten aus westlichen Ländern nach Bukarest, und ich spielte ihnen vor und sie sagten, komm doch zu mir, du bekommst ein Stipendium und mehr. Doch die Regierung hat mich nicht gelassen.
Es war der reinste Terror in dem Land, mein Vater hat immer gesagt: „Ich weiß nicht, ob ich morgen früh wieder dort aufwache, wo ich heute Abend eingeschlafen bin. Jeden Moment konnte man einkassiert werden und ins Gefängnis gesteckt werden, ohne Prozess, ohne gar nichts. Wir haben trotzdem gelernt, mit diesen verschiedensten Ebenen zurechtzukommen. Wir hatten in Reps natürlich die Deutschen, wir hatten die Rumänen, wir hatten die Juden, wir hatten die Ungarn und hatten die „Zigeuner“. Wir mussten mit allen irgendwie gut zurechtkommen. Das lernt man halt in dieser plurikulturellen Welt.
Die Eltern haben den Ausreiseantrag gestellt und sind mit nach Deutschland gekommen, sind sie auch mit nach Berlin gegangen?
Nein, nein, die sind in München geblieben. Mein Vater hat in München noch eine recht gutgehende Praxis gehabt. Wir sind zwischen 1968 und 69 nach München gekommen mit meiner damaligen Frau. Ich habe dann 1969 hier in Berlin Probe gespielt und 1970 meine Stelle bei den Philharmonikern angetreten. Mir wurde auch immer gesagt, dass ich in München nichts zu suchen hätte, ich müsse nach Berlin, das ist das Beste, was es gibt. Herbert von Karajan und die Philharmoniker haben mich Gott sei Dank genommen, und ich bin hier hängen geblieben.
Sie haben eine Familie gegründet fern der Karpatenwelt…
Ich hatte mit meiner ersten Frau zwei Söhne, die sind jetzt um die vierzig. Meine Frau starb hier in Berlin an einer unheilbaren Krankheit, und ich habe dann wieder geheiratet.
Und dann haben Sie auch Edy Weissmann aus den Augen verloren?
Lange Zeit wusste ich gar nicht, wo er ist. Dann erfuhr ich, dass er in West Berlin beim Radio Orchester gelandet ist, dem heutigen Deutschen Symphonie-Orchester und ich bin bei den Berliner Philharmonikern angekommen. Immer wieder habe ich ihn im Stimmzimmer der Philharmonie getroffen. Wir haben uns jedes Mal wahnsinnig nett unterhalten, doch mehr war damals nicht. Ich hatte zwei Kinder und eine ständig kranke Frau, er war auch beschäftigt mit seinem Alltag. Das ist nun mal so, man verliert sich aus den Augen. Dann kam das Erlebnis beim Geburtstag meiner Cousine, wo ich das Czernowitz-Buch auf dem Tisch liegen sah. Ich hatte schon im Hinterkopf, dass ich etwas über Czernowitz machen möchte. Dieser Paul Celan ist für mich wirklich einer der ganz Großen. Dann fragte ich meine Cousine, wer sich denn in Berlin in Czernowitz auskennt. Sie nannte Edy Weissmann. Ich rief ihn an und ging mit meiner Frau zu ihm. Er hat mir einen ganzen Tisch mit Büchern ausgebreitet, die Titel hat meine Frau ganz brav abgeschrieben. Die habe ich dann alle bestellt. Meine Czernowitzbibliothek ist sehr, sehr umfangreich. Dann begann ich mich einzulesen. Das zweite war, dass ich immer mit Edy Zwiespache gehalten habe. Er hat mir immer noch einen Tipp nach rechts und nach links gegeben. Das habe ich in mich aufgenommen, dann hatte ich das ganz große Glück, dass ich Noah Bendix-Balgley als ersten Konzertmeister bei den Philharmonikern habe, der Jude ist und seit seiner Kindheit Klezmermusik macht, zusammen mit Alan Bern. Noah habe ich von meinem Projekt erzählt, er war sofort Feuer und Flamme und hat mir sein jüdisches Musikrepertoire gegeben. Ich hörte mir alles an und zusammen haben wir die Auswahl getroffen. Es ist ja nicht so, dass alles auf meinem Mist gewachsen ist.
Reisen Sie manchmal nach Siebenbürgen?
Ja sicher, in den letzten zwei Jahren war ich nicht da, weil ich einen ganz schweren Unfall hatte. Ich bin vom Berg gestürzt und habe mir die Wirbelsäule gebrochen, war monatelang im Krankenhaus. Es war sehr hart, und ich musste zwangsweise pausieren. Wenn ich in einem Monat nach Berlin zurückkomme, wird der Dorfschreiber von Katzendorf hier sein. Er wird in Katzendorf ein Festival machen und möchte, dass ich im nächsten Sommer dorthin komme. Ich habe viel gespielt bei der Musica Coronensis in Kronstadt, dann bei der Kronstädter Philharmonie, bei der Hermannstädter Philharmonie, bei der Klausenburger Philharmonie. Da war ich immer als Solist in den letzten Jahren. Mit einem Jahr Pause.
Ich habe in Kronstadt mit dem Organisten und Kantor der Schwarzen Kirche Eckart Schlandt vor Jahren ein Gespräch geführt…
Mit dem Ecki war ich gemeinsam an der Hochschule in Bukarest, sein Sohn Steffen ist so alt wie meine Söhne.
Ich las, dass Sie 36 Jahre bei den Berliner Philharmonikern spielten und bereits Jahre vor der Pensionierung erster Cellist wurden…
36 Jahre war ich bei den Philharmonikern. Ja, das ist so. Ich kam 1970 als Tuttist, als Tuttispieler, zu den Philharmonikern, nach ungefähr vier Jahren wurde die Solostelle frei. Ich musste mich erneut bewerben und auch vorspielen, bekam die Stelle und hatte sie über zwanzig Jahre. Immer wieder sagte ich mir, wie kann ich die für mich lebenswichtige Aktivität Lesen, d. h. Bücher mit meiner Musik verbinden. Ich hatte Glück, denn manchmal wurde ich vom Rundfunk gebeten, hin und wieder zu Texten Musik auszusuchen. Dabei merkte ich, dass ich dafür ein ganz gutes Händchen habe. Ich ging zum Intendanten der Philharmoniker und habe ihm diesen Vorschlag unterbreitet, dass ich ein auf ein ganz bestimmtes Ziel ausgerichtetes Programm entwerfe, egal, ob es aus der Musik oder der Literatur kommt und dieses Programm mit Texten und Musik auf dieses eine Thema bezogen, umgarne.
So haben Sie dann den ,,Philharmonischen Salon“ gegründet…
Ja, das erste Programm war gleich ausverkauft, dabei ging es um Fanny Mendelssohn, Dietrich Fischer-Dieskau sollte lesen. Das war vor 22 Jahren, seitdem mache ich das. Zunächst habe ich das dreimal in der Saison gemacht. Doch wurde es mir zu viel, dann habe ich es auf zweimal reduziert, seit 15 Jahren, seitdem ich pensioniert bin, mache ich es wieder dreimal. Drei Programme, jeweils zweimal.
Herzlichen Dank für das Gespräch.