Vorpremiere mit offenem Ende zum Welttheatertag am Radu Stanca-Nationaltheater
Ausgabe Nr. 2764
Zum Welttheatertag am Sonntag, dem 27. März, wurde am Hermannstädter Radu-Stanca-Nationaltheater die Vorpremiere des Stückes „Echilibru fragil“ (A Delicate Balance) von Edward Albee, unter der Regie von Mariana Cămărășan gezeigt. Der Autor ist den Hermannstädtern nicht unbekannt, hat er doch auch „Who’s Afraid of Virginia Woolf?“ (Wer hat Angst vor Virginia Woolf?) geschrieben, das zum Repertoire des TNRS gehört und u. a. am Samstag, den 2. April, 19 Uhr, in der rumänischen Fassung unter dem Titel ,,Cui i-e frică de Virginia Woolf?“ (Regie Andrei und Andreea Grosu) auf der Hermannstädter Bühne zu sehen ist. Das Besondere an der Vorpremiere am Sonntag war, dass das Publikum gebeten wurde, nach der Vorstellung im Saal zu bleiben, um das Ende des Stücks zu entscheiden.
Auf eine mit alkoholischen Getränken aller Art voll bepackte Bühne treten die Schauspielerinnen und Schauspieler der rumänischen Abteilung des Radu-Stanca-Theaters am Sonntagabend. Bei einem Glas Cognac äußert Agnes ihre Angst davor, wahnsinnig zu werden. Tobias redet beruhigend auf sie ein. Große Unruhe bringt ihre Schwester Claire in die Gemeinschaft, eine Alkoholikerin, die mit Agnes im Dauer-Streit lebt. Telefonisch kündigt Julia, die Tochter von Agnes und Tobias, ihre Rückkehr ins Elternhaus an, nachdem ihre vierte Ehe in die Brüche gegangen ist.
Das gutsituierte ältere Ehepaar Agnes und Tobias sowie Agnes Schwester Claire, eine Trinkerin, die leugnet, eine zu sein, wohnen unter einem Dach und teilen Streitigkeiten, an die sie sich durch lange Jahre der Übung gut gewöhnt zu haben scheinen. Gerade mussten sie erfahren, dass ihr unbequemes Dreiecksverhältnis – zum wiederholten Mal – gestört werden wird: von der Heimkehr Julias, der erwachsenen Tochter des Hauses. Als sei dies nicht genug, begehren kurz darauf Edna und Harry Einlass, Tobias und Agnes „besten Freunde von der ganzen Welt“. Sie verkünden, ein namenloses Grauen habe sie zu Hause überkommen. Nun suchen sie Unterkunft. Als am nächsten Vormittag Tochter Julia tatsächlich heimkehrt und ihr Zimmer von Edna und Harry besetzt findet, beginnt eine Serie verbaler Kampfhandlungen um Rechte und Pflichten von und gegenüber Freunden und Verwandten. Ob nach dem Streit Edna und Harry wieder ausziehen oder nicht, bleibt offen und sollte das Publikum zum Schluss im Gespräch mit der Regisseurin und den Schauspielern entschieden werden.
Die Hauptrollen Agnes und Tobias wurden doppelt besetzt durch Mariana Mihu-Plier und Serenela Mureşan als Agnes bzw. Mihai Coman und Florin Coşuleţ als Tobias. Auch in die Rolle der Tochter Julia schlüpften die zwei Darstellerinnen Veronica Arizancu und Ioana Cosma. Ein besonderes Lob gebührt der Schauspielerin Diana Fufezan, die eine sehr rastlose Claire verkörperte, die kein Blatt vor den Mund nahm und sorglos und tanzend über die Bühne lief. Ganz im Gegenteil zu der sehr ernst wirkenden weiblichen Hauptperson Agnes, die alle Entscheidungen im Haus auf sich nahm, damit das „empfindliche Gleichgewicht“ in der Familie wieder hergestellt werden konnte. Arina Ioana Trif und Vlad Robaș schlüpften in die Rollen von Edna und Harry.
Wie auch schon in seinem preisgekrönten Werk „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ zeigt Edward Albee in „Empfindliches Gleichgewicht“ sein Gespür für den Abgrund, der in jedem Menschen zu finden ist. Seine schlagfertigen Dialoge und absurd-witzigen Situationen offenbaren, wie die Menschen versuchen, mit ihren eigenen Ängsten und persönlichen Verlusten umzugehen. Das 1966 verfasste und mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Stück „Echilibru fragil“, im Original „A Delicate Balance“ ist eine ausgewogene Melange aus Komik und Ernsthaftigkeit, die den Zuschauer durch die Höhen und Tiefen der menschlichen Emotionen führt.
Cynthia PINTER