Gedanken zu einem Buch von Matthias Buth
Ausgabe Nr. 2759
Aus dem Bergischen Land in die Welt ist kein Katzensprung. Die Welt hält sich in Grenzen, in den Osten Europas, România, das Land durch das die Römer zogen und den Namen fallen ließen, die Karpaten werden übersprungen und vor dem Schriftsteller und Lyriker Matthias Buth liegt diese Welt, liegen die Nester der einst Eingewanderten aus dem Moselland, den Sachsen in Siebenbürgen. Zu ihnen gelangt der Lyriker mental und nun auch dichterisch. Sein Buch ,,Der Schnee stellt seine Leiter an die Ringmauer“ (Pop-Verlag Ludwigsburg 2020) habe ich endlich gelesen und pflichte ihm bei:„Rumänien ist ein Herzstück Europas, ein Kulturland, das seine Grandezza aus zahlreichen Quellen entwickelt hat“.
Die Verse fliegen von Dorf zu Dorf, fliegen von Orgel zu Orgel. Schön und sehr bildhaft sind sie geformt, sind sie zu lesen. Ein poetischer Gedichtband durch die siebenbürgische Landschaft und die pannonische Tiefebene. Die unbekannte Karpatenlandschaft wird geöffnet, ebenso die nicht so gute Vergangenheit des Despoten Ceaușescu, ja, damals. Wir Leser dieser Lyrik lernen die Dörfer, die uralten, mittelalterlichen Dorfkirchen, die zu Wehrkirchen wurden, kennen und reisen oder fliegen gar mit jeder schönen Strophe einfach in den nächsten Ort, von Kirchenburg zu Kirchenburg, ruhen uns auf den heute leeren Bänken aus und hören Lieder auf verstimmten Orgeln.
Weggegangen sind fast alle deutschsprachigen Dorfbewohner, westlich sind sie gezogen, der eine hat die anderen mitgezogen nach der Revolution 1989. Liegengelassen haben sie in den Kirchen die Familiengeschichten von 800 Jahren, vergessen haben sie die bestickten Kissen, Bänder, Teppiche und Fahnen mit Taufgeschichten und wichtigen Todesnachrichten. Diese hängen einsam und traurig noch immer vom Kirchenhimmel herab und werden irgendwann den Ratten zum Fraß. Wunderschön sind die Gedichte zu lesen, klingen nach, werden nicht vergessen. Matthias Buth erzählt lyrisch von Kulturen und deren vergangener Geschichte, die man so nicht kennt.
Vor leeren Bänken wird gepredigt, Betende gibt es kaum noch. Der Pfarrer ist ein Fossil, ein Übriggebliebener aus einer anderen Welt. Romafamilien sind seine Nachbarn, wie eh und je gehören sie dazu. Die Lyrik preist Gott, den Gott… Die Organistin, die wichtige, ist geblieben, der Organist aus der Schwarzen Kirche ebenfalls. Sie verteidigen mit ihrer Musik die Heimatscholle.
„Wer Siebenbürgen klanglich erfahren will, muss dem Spiel Eckart Schlandts auf der Buchholz-Orgel zuhören; 1839 kam das königliche Instrument von Berlin nach Kronstadt. Wenn eine Toccata von Johann Sebastian Bach niedergeht, ja niedergeht wie eine Lawine, der man ausgeliefert ist und die hinausträgt aus der Welt, ist es, als säße der Kantor aus Leipzig am Spieltisch. Das sind Augenblicke, die Entfernungen aufheben…“
Paul Celan und Rose Ausländer führen uns in eine andere Welt, in die Bukowina, führen uns ins Todeslager Transnistrien in eine vergangene, furchtbare Zeit. Verstummt ist auch diese Welt des Todes.
„In Dörfern und Städten sprachen, sangen beteten sie deutsch.Da wie dort. Evangelisch und jüdisch aus den Psalmen Davids. Aber nicht in den Steinbrüchen um Moghilev-Podolski. Der Tod ist auch ein rumänischer Meister, 1941 und 1942 im Schnee. 400 000 Gräber in den Lüften, sie atmen immer noch, auch an den Ufern des Dnjestr. Im Schneefeld schlief das Getreide/schlief die Zeit /auf Schläfen. Rose Ausländers Gedicht spricht das Kaddisch über Transnistrien“.
Goethe schrieb seine ,,Römischen Elegien“, Matthias Buth dichtete seine ,,Balkanischen Elegien“.
Die Landschaften sind mit Schwere gefüllt, so manches Gedicht sagt das. Auch Heiteres geschieht in einer Gegend Europas, die genannt wird. Wo liegt diese Landschaft, wovon erzählen die lyrischen Strophen?
Dorthin führt uns der Titel „Der Schnee stellt seine Leiter an die Ringmauer“, führt uns weiter zu den sehr interessanten kurzen Geschichten und Mitteilungen für uns Unwissende. Mit juristischem und historischem Inhalt helfen sie zum Verstehen des Landes, über das gedichtet wird. Für den Fremden kaum Bekanntes, sehr Interessantes, zum Lesen, zum Überlegen und Nachdenken.
Christel WOLLMANN-FIEDLER
Nonantola bei Modena,
Februar 2022
Anm. der Red. Das unten stehende Gedicht hat Matthias Buth aus aktuellem Anlass verfasst:
Ausblicke
I.
Die Schuhsohlen sind Schnee
Sie liegen im Graben
Das Gewehr stirbt im Eis
Noch sind die Augen im
Fadenkreuz der Optik
Nebel eingedrungen an den
Beinen hoch an Bauch und
Armen
Die Fingerkuppen ausgedorrte
Zweige
Sie greifen in die
Luftspiegelung
II.
Die Ukraine weint
Weint nicht
Der Tod ist ein Zar aus
Russland
Eine Frau wiegt ein Kind im
Kopf
Im Keller des Kindergartens
Im Echo des Kirchenraums der
Kathedrale Maria Entschlafen
Gebete an erfrorenen Kerzen
Ein Engel geht durch die Bänke
Und findet keine Ruhe und
singt
Sei nicht ferne von mir
Denn die Angst ist nahe
Denn hier ist kein Helfer
III.
Im Fenster erblüht eine Rose
Zieht durch die Adern
Blatt für Blatt
Und behütet die Schlafenden
Unter Schnee und Wind
Matthias BUTH