,,Vom Morden des reichen Mannes“

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Thomas Perle und sein Stück ,,ein jedermann“

Ausgabe Nr. 2755

Jedermann im siebenbürgischen Salzburg: Die Premiere des Stücks ,,ein jedermann“ (rum. ,,domnul iedeman”) von Thomas Perle hat am Donnerstag der Vorwoche an der deutschen Abteilung des Radu Stanca-Nationaltheaters stattgefunden und erntete Stehapplaus. Das Stück spielt in Salzburg/Ocna Sibiului bei Hermannstadt, wohin sich Jedermann, von den rumänischen Bediensteten ,,domnul iedeman“ genannt, mitsamt Familie und Belegschaft eingekauft hat und von einem Skigebiet ganz wie in Österreich träumt. Unser Bild (v. l. n. r.): Szenenfoto mit  den beiden Trobairitzen Theodora Sandu und Johanna Adam,  Fabiola Petri als ,,Frau Jedermann“, Ali Deac als Universalpriester und Benedikt Haefner als Jedermann.                                                             Foto: Dragoș DUMITRU

Nach der ausgezeichneten Produktion ,,LIVE“ (2020, Regie: Bobi Pricop) kehrte der aus Oberwischau in der Zips stammende und in Wien lebende Dramatiker Thomas Perle mit einer scharfen und auf den rumänischen Kontext abgestimmten Adaption eines der Referenztexte des österreichischen Theaters – „Jedermann“ (ein Text von Hugo von Hoffmannstahl aus dem Jahr 1911) – an die deutsche Abteilung des Radu Stanca-Nationaltheaters zurück. Das explizit gesellschaftskritisch und mit Lokakolorit versehene Stück „ein jedermann/domnul iedeman“ wurde von dem slowakischen Regisseur Dávid Paška inszeniert und hatte am 20. Januar Premiere im Rahmen eines Minifestivals der deutschen Abteilung. Im Vorfeld der Premiere sprach HZ-Redakteurin Beatrice U n g a r mit Thomas Perle.

 

Hugo von Hofmannsthals ,,Jedermann” wird seit 1920 regelmäßig bei den Salzburger Festspielen aufgeführt. Das Werk erlebte im Laufe der Jahre, Premiere hatte es 1911 in Berlin, unzählige Bearbeitungen, Adaptionen, Verfilmungen, Vertonungen usw. Sie haben nun ,,ein jedermann” geschrieben und den Handlungsort in den Badeort Salzburg/Ocna Sibiului bei Hermannstadt versetzt. Wie kam es dazu?

Als mich Hunor Horváth, der Leiter der deutschen Abteilung am Radu Stanca-Nationaltheater Hermannstadt gefragt hat, ob ich mir nicht vorstellen könnte, einen eigenen Jedermann zu schreiben, dachte ich im ersten Moment genau das: Es gibt doch bereits so viele Adaptionen und Bearbeitungen. Wozu also ein neuer Perle’scher Jedermann? Dieser Mythos, Heiligtum österreichischer Kulturnation, alljährlich in Salzburg gespielt. Ein Blick auf die rumänische Landkarte und der Ort, an dem das Stück spielen sollte, war sofort gefunden: das rumänische Salzburg – Ocna Sibiului. Vom Ort aus wurde das Werk weitergesponnen. Ich kannte den Badeort noch von meiner letzten Arbeit am TNRS.

Es ist Ihre zweite Zusammenarbeit mit dem TNRS, genauer mit dessen deutscher Abteilung nach ,,LIVE”, das am 24. Juli 2020 Premiere hatte. Waren die Proben auch diesmal ein Schaffensprozess?

Mir war von Anfang an klar, dass ich den Hofmannsthal’schen Jedermann nicht eins zu eins überschreiben will. Davon gibt es genügend gute Versionen. Ich wollte das Stück auf Thematiken durchforsten, die mir wichtig sind und eine Neuschreibung. Kein Mysterienspiel mit allegorischen Figuren. Konkreter wurde es, als ich mit dem Regisseur Dávid Paška gemeinsam denken durfte, ein intensiver Austausch. In der Zeit residierte ich gerade in Bulgarien, wo ein Präsidentschaftskandidat kurz zuvor in einen save space der LGBTIQ-Community eingebrochen ist und diesen gemeinsam mit ein paar Hooligans auseinandergenommen hat. Das ließ mich über die Akzeptanz nichtheterosexueller Beziehungen in Rumänien nachdenken. Mir wurde klar, dass solch eine Beziehung zentral sein wird im Stück, für die Sichtbarkeit gleichgeschlechtlicher Liebe auf der Bühne auf dem Balkan. Immer wiederkehrendes Motiv in meinen Arbeiten ist außerdem der Tod. Diesen wollte ich jedoch nicht wie im Originalstück als Figur auftreten lassen, sondern führte persönliche Gespräche mit dem Ensemble über eigene Erfahrungen mit den Themen Sterben und Tod. Ich war erschüttert von den ermordeten Förstern in den rumänischen Wäldern, die nur ihre Arbeit machten und dabei von der Holzmafia umgebracht wurden. Deren Geschichten werden in ,,ein jedermann” auch erzählt. Was vom Mittelalterspiel geblieben ist, sind die beiden Trobairitzen, die das Spiel rahmen und durch das Stück geistern.

Der Dramatiker Thomas Perle. Foto: Volker SCHMIDT

Was bedeutet für Sie persönlich der Mythos des ,,Jedermann”?

Während Hugo von Hofmannsthal ein ,,Spiel vom Sterben des reichen Mannes” geschrieben hat, schuf ich ein Werk ,,vom Morden des reichen Mannes”. Ich lese im Jedermann den puren Egoismus und die Rücksichtslosigkeit des Menschen.

In Ihrem ersten Interview mit der Hermannstädter Zeitung (Ausgabe Nr. 2682/24. Juli 2020) bezeichneten Sie sich als ,,Corona-Dorfschreiber”. Welche Rolle spielt die Pandemie in dem Stück ,,ein jedermann” und in ihrer Tätigkeit?

Ob man möchte oder nicht, die Pandemie spielt gerade immer eine große Rolle beim Arbeiten. Ob man reisen darf, ob gespielt werden kann, vor wie vielen Menschen gespielt werden darf, die Art des Probens. All dies wird bestimmt durch die derzeitige pandemische Lage. In dieser wurde die Kluft zwischen Arm und Reich so groß wie nie zuvor. Während Vermögende immer vermögender werden und sich Ausflüge in den Weltraum gönnen, wächst die Armut auf der Welt immer drastischer. Es traten dubiose Charaktere ins Licht, auch diverse Politikerinnen und Politiker, die die Lage für sich ausnutzen und sich bereichern. Dies alles floss in das Stück mit ein.

Ist Kritik an Raffgier und Rücksichtslosigkeit der kapitalistischen Gesellschaft unvermeidlich, notwendig aber nutzlos?

Am Anfang der Pandemie hatte ich trotz der beängstigenden Lage zum ersten Mal so etwas wie Hoffnung. Eine Hoffnung dieses kranke System des ständigen Wachstums und der Ausbeutung von Menschen und Ressourcen hinter uns lassen zu können. Fast zwei Jahre später nehme ich leider das Gegenteil wahr.

Kunst ist ein Korrektiv, eine Lupe. Sie muss auf Missstände reagieren, aufzeigen, ermahnen. Politik hinkt meistens gesellschaftlichem Wandel hinterher, dieser ist in der Kunst oft zuerst sichtbar. Ich hoffe durch meine Arbeit Menschen zum Nachdenken anzuregen und so einen Beitrag zu leisten, die Welt ein bisschen besser zu machen. Wenn ich daran nicht glauben würde, könnte ich das Schreiben gleich ganz sein lassen. Auch wenn ich in meinen Werken eher sparsam bin mit der Hoffnung, so hoffe ich doch immer, dass dieses bisschen eine Veränderung ins Positive bewirken kann.

Vielen Dank für das Gespräch.

 


Das „ein jedermann”-Team

Regie:

Dávid Paška

Regieassistenz:

Pia Carla Ionescu-Liehn

Bühnenbild:

Julius Leon Seiler

Kostüme:

Maria Lena Poindl

Musik:

Magor Bocsárdi

Rumänische Fassung:

Elise Wilk

Es spielen:

Fabiola Petri, Benedikt Häfner, Daniel Bucher, Emőke Boldizsár, Ali Deac, Yannick Becker, Ștefan Tunsoiu, Ioana Cosma, Theodora Sandu, Johanna Adam

 

 

 

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Theater.