Buch von Christoph Klein als Festgabe für Eginald Schlattner erschienen
Ausgabe Nr. 2753
Unter dem Titel ,,Grenzbeschreitung“ ist vor kurzem im Hamburger Dr. Kovač-Verlag ein Buch von Altbischof D. Dr. Christoph Klein erschienen. Es enthält, wie der Untertitel besagt, „Kulturtheologische Betrachtungen zu Texten Siebenbürgicher Autorinnen und Autoren“. Als Herausgeber zeichnet der Innsbrucker katholische Theologe und Komparatist Prof. Dr. Peter Tschuggnall. Der ebenfalls österreichische Ordensgeistliche und Lyriker Alfons Jestl hat dazu ein sehr freundliches, einladendes Geleitwort geschrieben. Wie Christoph Klein im Vorwort ausführt, lehnt sich der Titel des Buches an ein Wort des großen Theologen Paul Tillich an, der von der Grenze als vom „fruchtbarsten Ort der Erkenntnis“ spricht.
In der „Grenzbeschreitung“ innerhalb dieses Buches geht es um die Beziehung zwischen Literatur und Theologie, die jeweils ihre eigenen Schwerpunkte und Deutungsmuster haben, voneinander abgegrenzt sind, aber bei jenem, der sich mit beiden beschäftigt, zu tieferen Einsichten führen können, wobei ein geistiges Gebiet das andere erläutern kann. Der Autor sagt, dass seine Neigung zur Literatur und das Erlebnis der von ihr übermittelten Kultur ihn früh erkennen ließen, dass sie zur Klärung theologischer Fragen beitrage. Die 15 Rezensionen und Betrachtungen zu Werken siebenbürgischer Autoren wurden bereits anderweitig publiziert, sind hier aber zu einem Ganzen gruppiert, das in tiefere Zusammenhänge blicken lässt.
Alfons Festl schreibt in seinem Geleitwort, dass die im Buch behandelten Texte insgesamt „bedeutungsschwer und erfahrungsträchtig“ seien, in deren Kern „Weiterblühen“ keimt, das die „unscheinbare Schale sprengt“. Der Titel „Kulturtheologische Betrachtungen“ verheißt in sich, „es wird an etwas sehr weit herangegangen, woraus immer neue Überraschungen auftauchen, die Vergangenheit nicht als abgeschlossen und erledigt als Gestern einkerkern, sondern bereits die Gegenwart als mit Zukunft durchzogen erkennen lassen.“
Sehr ausführlich und aufschlussreich ist die Einleitung in das Buch (S. 18–78) von Peter Tschuggnall, eigentlich eine abgerundete wissenschaftliche Abhandlung, in der die von Christoph Klein besprochenen Texte in den großen Zusammenhang abendländischer Kultur gestellt werden, wobei der Verfasser weit über hundert Autoren mit ihren Zeugnissen heranzieht. In seine oft ganz überraschenden Ausführungen baut er auch drei eigenständige größere „Einschriften“ ein (eine Würdigung Christoph Kleins von Joachim Wittstock und Eginald Schlattners Essay „Kaleidoskop einer Freundschaft“). Es handelt sich in vieler Hinsicht um das, was unausgesprochen, „zwischen den Zeilen“ zu lesen ist, um das, was nicht mehr nach menschlichem Ermessen erfahrbar, sondern transzendent und dennoch wesentlich wirksam und bedeutungsvoll ist. Es ist das, was die siebenbürgisch-sächsische Seinsweise unverwechselbar macht, womit sie aber gleichzeitig in einen übergreifenden geistigen Zusammenhang kommt, an dem sie teilhat und ihm ihre Werte hinzufügt. Das Motto des Sachsentreffens aus dem Jahr 2017 in Hermannstadt „In der Welt zu Hause, in Siebenbürgen daheim“ wird aufgegriffen und unausgesprochen so gedeutet, dass das Siebenbürgische, bzw. der sich da aussprechende Geist in das Ganze eines sich andeutenden Weltgeistes einfügt. Die äußere Umschlaggestaltung des Buchesverwendet ein Gemälde von Joseph Maria Auchentaller „Meer mit Booten“ – ein treffendes Symbol für unendliche Weite, aber auch für Bedrohung und Herausforderung in der Ausschau nach einem möglichen Morgen.
Der Hauptteil des Buches besteht aus den 15 Abhandlungen über literarische bzw. künstlerische Werke von siebenbürgischen Autoren und ist in drei übersichtliche Abschnitte gegliedert. Im ersten stehen sechs Betrachtungen über die Romane „Das Jüngste Gericht in Altbirk“ von Erwin Wittstock, „Die Tatarenpredigt“ von Andreas Birkner und „Der Halbe Stein“ von Iris Wolff. Dazu kommt die Novelle „Karusselpolka“ von Joachim Wittstock und die kunst- und kulturgeschichtliche Studie „Kirchenburgen in Siebenbürgen“ von Hermann und Alida Fabini. Der zweite Abschnitt umfasst fünf Beiträge eher biographischer Art, in denen das Lebenswerk von Kulturschaffenden gewürdigt wird (Christl Schullerus, Gerhard Konnerth, Hans-Peter Türk, Walter Gottfried Seidner), dazu der Roman von Joachim Wittstock „Bestätigt und besiegelt“, in dem die abgründigen, am Rande auch paranormalen Geschehnisse des politischen Umschwungs nach 1945 dargestellt werden. Der dritte Abschnitt ist dann zur Gänze dem Autor Eginald Schlattner gewidmet. Ausgangspunkt ist die frühe, noch in der Studienzeit verfasste Erzählung „Der Odem“, in der sich bereits die erzählerische Begabung des Autors ankündigt, aber, schon gedruckt, von der Zensur zurückgenommen wurde, da der Autor in politische Haft kam. Im Buch folgt dann unter der Überschrift „Kein Kinderspiel“ die ausführliche Besprechung der beiden Romane „Der geköpfte Hahn“ und „Rote Handschuhe“, die gemeinsam zum großen Durchbruch und zum internationalen Bekanntwerden des Schriftstellers Eginald Schlattner geführt haben. In ihnen wird in tiefschürfender Weise die gesamte „Conditio humana“ dargestellt. Im Bild der selbsterlebten Geschehnisse in Siebenbürgen spiegeln sich die existenziellen Fragen menschlichen Daseins in fast kosmischer Weite. Vor allem Schlattners Schicksalsroman „Rote Handschuhe“ weist auf die Bedrohung des menschlichen Daseins durch Leere und Sinnlosigkeit. Die daraus wachsende Angst vor Schuld und Verdammung führt in abgründiges Leiden und Ertragen unsagbarer Belastungen bis zur endlichen Sinnfindung. Schlattners dritter großangelegter Roman „Das Klavier im Nebel“ bildet die Vollendung einer eindrucksvollen Trilogie, in der man, wie Christoph Klein zustimmend äußert, die Geschichte der Siebenbürger Sachsen im Hegelschen Sinne „aufgehoben“ sehen kann. – Zum Abschluss seiner Ausführungen über das schriftstellerische Werk Eginald Schlattners bespricht Christoph Klein dann dessen letzte große Veröffentlichung, das Prosawerk „Wasserzeichen“, in dem weitgehend der Geistliche und weniger der Schriftsteller im Vordergrund steht. Es ist die Auseinandersetzung mit der eigenen, erlebten Geschichte und zugleich mit der Vergangenheit der Kirche der Siebenbürger Sachsen mit ihrem geistlichen und kulturellen Erbe, das mit dem Exodus seiner Träger verschwunden ist und vor dem Vergessen bewahrt werden soll.
Am Ende des Buches ist als Anhang auf 40 Seiten eine Selbstbiographie von Eginald Schlattner mit dem Titel „Biographie der gewussten Wirklichkeit“ zu lesen, die sein Leben in wohlbemessenen Schritten offenlegt. Hier tritt der Theologe und Schriftsteller in Personalunion in beeindruckender Weise in Erscheinung und rundet das ganze Buch ab, das ihm als Festschrift zugeeignet ist.
Alle literarischen Texte, die in diesen „Grenzbeschreitungen“ besprochen werden, sind in den für die Siebenbürger Sachsen schicksalsschweren Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden. In diesem Schrifttum geht es weithin um die Bewältigung des auferlegten Geschickes, um Beschwörung des Geschehens, indem Gedenkzeichen gegen das Vergessen geschrieben wurden, bevor die eigenen geistigen Güter und Werte im Meer der Vergangenheit versinken. Damit taten die Autoren für die Nachwelt einen wichtigen Dienst, der über das Vergangene hinausweist, zur verantwortlichen Gestaltung der Gegenwart ermutigt und eine doch noch mögliche Zukunft erschließt. Paul Tillich, auf den sich Christoph Klein bei seinen Deutungen bezieht, hat geschrieben: „Wen das Schicksal an die Grenzen seines Seins geführt, ihn seiner selbst bewusst gemacht hat, der steht vor der Entscheidung, auf das, was er ist, zurückzufallen oder sich selbst zu überschreiten“. Und das gilt auch im Blick auf die Siebenbürger Sachsen, auf ihre Geschichte in Bezug auf Heimat und Fremdheit, auf Heimkehr und Auszug, auf Abbruch und neue Aufbrüche. Und das weist auch auf eine mögliche Ausschau auf ein Morgen.
Hermann PITTERS