Die Subjektivität der Wahrnehmung

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Der Fotograf Stefan Jammer stellt im Goethe Institut Bukarest aus

Ausgabe Nr. 2754

Unter dem Titel ,,OUTLINE THE OUTCOME – nothing is as it seems, nor is it otherwise“ wurde am 14. Januar d. J. im Goethe Institut Bukarest (Pavilion 31, Calea Dorobanților 32) eine Ausstellung mit Fotos von Stefan Jammer eröffnet, die daselbst bis zum 22. Februar d. J. zu besichtigen sein wird. Lesen Sie im Folgenden Auszüge aus dem von Heidrun König verfassten Text des Booklets zur Ausstellung:

Das fotografische Oeuvre von Stefan Jammer verlässt die historische Rolle der Fotografie in ihrem Replizieren einer ausgewählten, gerne idealen Wirklichkeit: Seine Fotografie wird zum Instrument der Wahrnehmung und Reflexion.

Bei eingehendem Betrachten lassen die Bilder mehrere Bedeutungsebenen aufleuchten. Eine davon ist die Subjektivität der Wahrnehmung.

Inzwischen ist klar: Wahrnehmung wird konstruiert, aus Erfahrungen und Sinneswahrnehmungen. Genaues Hinsehen offenbart die Kluft zwischen der Interpretation unserer Seh-Erfahrung und dem nur allmählich sich erschließenden Sachverhalt.

Ein riesiges Landschaftspanorama zeigt das frühlingsgrüne bewaldete Ufer des Arieș; im Hintergrund erkennt man allmählich große Flächen angeschwemmten Mülls. Übertrumpft wird die Seherfahrung im Plakatbild, einer skulptural anmutenden Komposition, Stillleben genannt. Auf den zweiten Blick erweist sich das Stillleben als angeschwemmter unverweslicher Müll, der auf seine Weise einer Auflösung entgegensieht.

Eine Aufnahme aus dem historischen Zentrum von Bukarest zeigt eine altbekannte, ehemals intensiv belebte Straße, nun selbstvergessen, auf welcher der Wrack eines vormals unverzichtbaren Autos, ehemals Inbegriff der Freiheit und Lebensqualität, nun sich selbst überlassen, einen langsamen Tod stirbt.

In einem Durchgang zwischen Wohnblocks findet ein Hund schützende Unterkunft in einem entsorgten Karton; die wollene Handwebe seines Lagers deutet auf achtsame Zuwendung – und zugleich auf andere Dimensionen von Unbehaustsein.

Die langgestreckte organische Betonbau-Landschaft erinnert an ein Korallenriff (Concrete Constructions). Bei genauem Hinsehen erschließt sich der Bau als sich verselbständigt habende wuchernde Form der Landnahme, als vorbereitetes Behältnis, das stufenweise ‚belebt‘ werden soll –, oder von der Natur zurückerobert.

Die schimmernde Wasserfläche zeigt in tausend Reflexionen den Meeresboden, doch dessen eigentliche Beschaffenheit ist in Wirklichkeit nie zu sehen, der Anblick erschließt sich immer nur mittelbar und unbeständig.

Die sinnige Rasta Plant macht es vor: Werden und Vergehen zur gleichen Zeit, und das Vergehen feiern.

In all diesem reflektieren die Bilder das Wesen der Dinge: ihre Erscheinung und Manifestation in Raum und Zeit, und wiederum die Wirklichkeit des Augenblicks.

Als Triptychon inszeniert (unser Bild) werden die Dinge zu Kategorien: Das Fleisch, der Leib, Träger der Konkretion, der realen Welt – im Gegensatz zu der zarten Mohnblume, Inbegriff der Vergänglichkeit, im Augenblick wunderschön, entgegen der Seherfahrung ohne Gefäß – und der Melanchthon-Brief, die aufs Äußerste konzentrierte Botschaft steht für Humanismus und Aufklärung, als Träger unvollkommenen Wissens, durch die Reflexion als Täuschung weitergeführt. Leib, Geist, Natur, ihrerseits gespiegelt, werden in mehrfachem Sinn zum Objekt der Reflexion.

Heidrun KÖNIG

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Kunst.