Gelungene Online-Jahrestagung der Hermannstädter Germanistik
Ausgabe Nr. 2748
Es stellt sich schon lange nicht mehr die Frage, ob und wann, sondern nur wie die alljährliche Fachtagung der Hermannstädter Germanistik stattfindet. Es ist immer November, doch in diesem Jahr ausnahmsweise nicht Ende, sondern Anfang November, und zwar nur eintägig am 5. November 2021, weil pandemiebedingt die virtuelle Form der Begegnung gewählt wurde. Dennoch konnte die Tagung unter dem Titel „Deutsches literarisches und kulturelles Erbe im südosteuropäischen Raum“ rund dreißig Vortragende aus Rumänien, Deutschland, Polen, dem Kosovo und der Türkei und noch zahlreiche weitere Gäste als Zuhörer verzeichnen.
Den Anfang machten der Prorektor der Lucian Blaga-Universität, Andrei Terian, der Dekan der Fakultät für Philologie und Bühnenkünste, Dragoș Varga, und der Leiter des Departements für anglo-amerikanische und germanistische Studien, Ovidiu Matiu, die jeweils ein Grußwort an die Tagungsteilnehmenden richteten, in dem sie auf die Erfolge der Hermannstädter Germanistik im abgelaufenen Jahr und nicht nur in diesem Pandemiejahr hinwiesen, so die erfolgreiche Akkreditierung der Lizenz- und Masterstudiengänge, die dabei erfolgte Höchsteinstufung der „Germanistischen Beiträge“, die im In- und Ausland veröffentlichten Beiträge und Anthologien u. a.
Danach würdigte Maria Sass in einem ausführlichen Plenarvortrag den im Sommer dieses Jahres verstorbenen langjährigen Lehrstuhlleiter, Literaturwissenschaftler, -historiker und Übersetzer, Dr. Horst Schuller, der als Doktorvater viele der heute in Hermannstadt wirkenden Germanistinnen und Germanisten durch die Promotionsarbeit begleitet hat.
Im Anschluss an diesen Moment des Gedenkens ging es in zwei Sektionen, und zwar im Bereich der Literaturwissenschaft einerseits, im Bereich der Sprach- und Kultur-, bzw. der Übersetzungswissenschaft von Deutsch als Fremd- und/oder Wissenschaftssprache andererseits weiter. Alle Teilnehmenden hatten im Vorfeld die Zugangslinks zu beiden Sektionen erhalten, so dass sie je nach Interessenlage durchaus die Sektion wechseln konnten.
Die Beiträge folgten im großen Ganzen den vom Tagungstitel vorgegebenen Koordinaten. In der Sektion Literaturwissenschaft ging es um „deutsches Kulturerbe im ungarischen Resonanzraum“, um die literarische Moderne, bzw. die Postmoderne im Banat mit der Schwerpunktsetzung auf Franz Xaver Kappus, bzw. Herta Müller, um siebenbürgische Literatur, namentlich von Eginald Schlattner und Maria Haydl. Ein Vortrag galt der mythischen Erzählwelt des Wassertales in Nordsiebenbürgen, zwei weitere bezogen sich auf jüdische Autoren aus dem Buchenland, bzw. auf Alfred Kittner und die Lyrikerin Klara Blum, deren bewegte Lebensgeschichte und deren Werk noch weitgehend unbekannt und wenig erforscht sind. Thematisiert wurden auch Werke, die von aus Rumänien ausgewanderten, heute im deutschsprachigen Raum lebenden Autorinnen verfasst wurden, die aber rumänische Motive verarbeiten.
In der zweiten Sektion ging es thematisch etwas bunter zu. Vom „Deutsch im mittelalterlichen Krakau“ zur modernen Nutzung der Sprache auf dem „Siebenbürger“-Profil auf Instagram, von Leihwörtern in den siebenbürgisch-sächsischen Mundarten zum Phänomen der Mehrsprachigkeit im siebenbürgischen Städtchen Mediasch und bis hin zum „Wortuntergang im Rumäniendeutschen“ gab es vielerlei Ansätze, das kulturelle Erbe im südosteuropäischen Raum auch im sprachlichen Bereich zu untersuchen. Ebenso wurden die Schwierigkeiten des Übersetzens und das Balancieren des Übersetzers zwischen „Kompetenz und Identität“, bzw. „kulturellem Einklang und Verfremdung der Konventionen“ angesprochen.
Weitere Vorträge dieser Sektion befassten sich mit Deutsch als Fremdsprache bzw. als Wissenschaftssprache. Es ging dabei um hochaktuelle Themen wie die „Möglichkeiten und Beschränkungen im Online-Fremdsprachenunterricht“, um „interkulturelle Kompetenz als Schlüsselkompetenz“ des Fremdsprachenunterrichts und nicht zuletzt um „praxisorientierte Überlegungen zur wissenschaftlichen Textproduktion“.
Das vollständige Programm der Tagung kann auf der Webseite der Lucian Blaga-Universität (unter http://site.conferences.ulbsibiu.ro/interkslaaa/de/tagungsprogramm.php) abgerufen werden, die Beiträge werden 2022 im nächsten Band der in Hermannstadt herausgegebenen „Germanistischen Beiträge“ erscheinen und daraufhin auch im Internet (unter http://uniblaga.eu/ro/germanistische-beitrage/) frei abrufbar sein. Wer also neugierig geworden ist, kann im nächsten Frühsommer darauf zugreifen.
Trotz des virtuellen Austragungsmodus ließen es sich die Gastgeberinnen nicht nehmen, auch diese Tagung mit einer Lesung abzuschließen. Der Hermannstädter Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Joachim Wittstock hatte dafür das Thema „Faszinosum alte deutsche Sprache“ gewählt. Einführend sprach Wittstock darüber, dass die kräftige Sprache Luthers, jene der deutschen Volksbücher bis hin zur deutschen Sprache des Barocks eine unerschöpfliche Quelle der Anregung seien. Folgerichtig las er danach aus seinen Werken „Karussellpolka“ (1978), in dem es unter anderem auch um den Barockdichter Martin Opitz geht, der von 1622 bis 1623 in Siebenbürgen weilte, und aus „Herr Gryphius und der gefangene Dichter“ (1994). Dank Internet konnte auch eine größere Anzahl von Studierenden an der Lesung teilnehmen. Eine Online-Tagung muss also nicht zwangsläufig als Notlösung verstanden werden.
Mit herzlichen Grüßen aus Konya, Kielcach und Prishtina, aus Berlin und Würzburg, aus Baia Mare (Frauenbach), Klausenburg, Temeswar, Kronstadt, Jassy, Bukarest und natürlich Hermannstadt verabschiedete man sich bis zur nächsten Tagung, bei der sich alle hoffentlich gesund wiedersehen werden.
Sunhild GALTER