Wunderbar fordernde Art

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Ein neuer Roman von Eginald Schlattner: ,,Drachenköpfe“

Ausgabe Nr. 2744

Eginald Schlattner: Drachenköpfe. Roman. Pop-Verlag Ludwigsburg, 2021, 189 Seiten, ISBN  978-386-356-308-0

,,Drachenköpfe“, erschienen 2021 im Ludwigsburger Pop-Verlag,  ist ein Roman von Eginald Schlattner, der siebenbürgische Schriftsteller vor Ort, „wo die Bäume ihn kennen“, so sieht er sich selbst. Schlattner wurde am 13. September 1933 in Arad geboren, ist seit 1978 evangelischer Pfarrer in Rothberg und seit 1991 Gefängnispfarrer der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien. Bis in die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts blieb Schlattner, der 1957 von der Securitate, die rumänische Geheimpolizei, verhaftet wurde, einer breiteren Öffentlichkeit eher unbekannt.

 

Erst der 1998 vom Wiener Zsolnay-Verlag herausgebrachte Roman „Der geköpfte Hahn“ erregte große Aufmerksamkeit und machte ihn einem breiten literarischen Publikum bekannt, seine Aufmerksamkeit richtete sich auf das Leben und die Erfahrungen der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft während der Zeit des Nationalsozialismus. Es folgten die Romane „Rote Handschuhe“ (2001) und „Das Klavier im Nebel“ (2005). In den genannten Büchern setzte sich Schlattner mit seinen Erlebnissen und seinem Erleben in den Händen der Securitate, sowie auch mit den Repressionen, der Kollektivierung und deren Konsequenzen für die Menschen in Rumänien auseinander.

So ist der Roman „Drachenköpfe“ im eigentlichen Sinn die Fortsetzung der drei großartigen genannten Romane  mit dem Erleben der mitunter tragischen Geschichte und Erfahrungen der siebenbürgischen Gemeinschaft. Aber eben auch eine Auseinandersetzung Eginald Schlattners mit der nicht erfüllten Liebesgeschichte mit der Pfarrerstochter Anita Mirjam Zeidner, die er nach Jahren, Ostern 1978, auf dem Pfarrhof in Semlak wieder getroffen hat. Anita  war auf Grund eines tragischen Unfalls, der sich am Halben Stein in Michelsberg ereignete, an den Rollstuhl gefesselt.  Der Ich-Erzähler wagte es nicht, ihr gegenüber zu treten. Zitat: „Stellst Du Dich Deiner Vergangenheit nicht, stellt die Vergangenheit Dich“, und heimgesucht von versunkenen Bildern der Erinnerung sind diese Bilder behaftet mit Schuld ohne Sühne, gezeichnet von Versäumnissen, ja, von Vergessen!

Anitas Abschiedsworte: „Du bist für das Anlitz des anderen verantwortlich“ durchziehen wie ein roter Faden den Roman „Drachenköpfe“, vielschichtige Handlungsstränge und miteinander verstrickte Figurenkonstellationen halten die Erzählung, die auf mehreren unterschiedlichen Zeitebenen stattfindet, zusammen. Es gelingt Eginald Schlattner, in die Handlungsstränge eine (seine) Liebesgeschichte zur Pfarrerstochter Anita Mirjam Zeidner klug einzubinden.

Dafür nutzt er Iris Wolffs „Drachenhaus“ als Brückenpfeiler, um seine persönlichen Erinnerungen in die Gegenwart zu transportieren. Immer wieder  bilden markante Textstellen in der fünf Monate dauernden Erzählerzeit um den viel länger dauernden Erinnerungszeitraum – nämlich von Ende der 1950er Jahre über die 1960er Jahre im Drachenhaus in Kronstadt, der Zeit 1978 in Semlak und Engelsbrunn, die unerwartete Begegnung 2001 mit der Jugendliebe Anita Zeidner bis zum Totengedenktag seiner Ehefrau im Sommer 2019 – die Grundpfeiler des Romans! Den eigenen Lebensweg  verbindet Schlattner in seinem (autobiographischen) Roman mit der allgegenwärtigen Sinnsuche  bis zu Dorothee Sölles „Mystik des Todes“. In der Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben und dem eigenen Tod zitiert er im Diarium am 23. Mai 2019 Dorothee Sölle: „Ich muss sterben, aber das ist auch schon alles, was ich für den Tod tun werde“! Das Wissen um das  unweigerlich auf alle Menschen zukommende Ende und dabei die Tatsache seines eigenen Todes verarbeitet der Autor auf Seite 150 dann so: „Wie alle werden wir unseren Tod bestehen“, Selig sterben, glaube ich: „wenn Dein letzter Blick auf Menschen fällt, die Dich lieben, die Du liebst“, Zitatende.

In der unerfüllten Liebes-Leidens-Lebensgeschichte besticht der Autor den Leser immer wieder mit dem Hereinweben von Personen, wie die jüdische Harfenspielerin Svetlana Aurica Himmelfarb, die über Elie Wiesels Roman: „Die Nacht zu begraben, Elischa“  über die Zeit und Ereignisse im Konzentrationslager Theresienstadt und Buchenwald sprechen kann und dabei erstmals wieder Gefühle erfährt.

Die fingierte ,,Beerdigung“ eines im Drachenhaus versteckten  SS-Offiziers durch die Bojarin Anastasia sowie die Erkundung eines unterirdischen Geheimganges zum Drachenhaus durch den Securitate Major Blau bilden den verdichtenden Teil des Romans, der dem Leser ein Gefühl für die düstere und im wahrsten Sinne der Worte beklemmende Zeit in den gar nicht tollen frühen 1960er Jahren in Siebenbürgen gibt.

Eginald Schlattner gelingt es in dem Buch „Drachenköpfe“ seine „Sinnsuche“, die er mit der Frage ,,Hätte ich es verhindern sollen, dass sich mein Weg von dem der Anita Miryam Zeidner trennte“ beginnt, gut nachvollziehbar für den Leser, unter zur Hilfenahme von Iris Wolffs Roman ,,Drachenhaus“ und Dorothee Sölles „Mystik des Todes“ in einen großartigen und höchst interessanten Roman mit autobiographischen Zügen  münden zu lassen. Die wunderbar fordernde Art zu schreiben ist und bleibt das Markenzeichen von Eginald Schlattner.

Lothar SCHELENZ

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Bücher.