Musikalische Dampfwalze wird 25

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Fanfare Ciocărlia feiert Jubiläum mit neuer CD

Ausgabe Nr. 2738

Erstmalig sah der Verfasser die Fanfare Ciocărlia im Frühjahr 1997 im Malzhaus Plauen. Dort entstand am Pfingstmontag 2010 auch diese Aufnahme. Foto: Roland BARWINSKY

Der Anlass ist ganz bestimmt bewundernswert. Die musikalische Dampfwalze vom Balkan feiert hoffentlich recht lautstark. Das Jubiläums-Album (,,It wasn`t hard to love you”, Kontakt: www.asphalt-tango.de und records@asphalt-tango.de) liefert ganz fristgerecht anlässlich der ,,Silberhochzeit“ das ultimative Kulturprogramm für den tönenden Heißhunger der Fans. Fanfare Ciocărlia ist längst weithin bekannt und zwar weltweit. Ob dieser Erfolg vor Urzeiten so beabsichtigt war, ist eher unwahrscheinlich.

Rückblick: Wir reisen zurück in die zweite Hälfte der 1990er Jahre. Auf einem Faltblatt dieser bewegenden Zeit ist Nachfolgendes gut leserlich festgezurrt: „Der Nordosten Rumäniens ist bekannt für die Abgeschiedenheit, Unwegsamkeit und die eigensinnige Poesie seiner Bewohner…“. Liebenswerte, extrem romantische Worte, welche die damalige Situation des genannten Landes als eine von der restlichen Welt weitestgehend vergessene und unentdeckte Wohlfühloase beschrieben. Erlebnishungrige erkannten durchaus surreale Töne in dieser scharfzüngigen Analyse. Kehrseite: Nach dem Zusammenbruch der Ceaușescu-Familiendiktatur ging es in diesem Teil Osteuropas erst einmal drunter und drüber. Alte Wirtschafts – und Gesellschaftsstrukturen zerbersteten. Alte Seilschaften dagegen retteten sich zumeist unbeschadet an neue Ufer. Inflation zerlegte zudem die Landeswährung fast im Monatstakt. Korruption knabberte außerdem kräftig am Nervenkostüm. Neues im positiven Sinn fand selbst der aufmerksam Beobachtende fast nirgendwo. Nichts zählte mehr. Überall fehlte das Geld. Das galt auch für die Bezahlung des früher fast obligatorischen musikalischen Begleitschutzes bei vielen Feierlichkeiten. Fast niemand lud in der soeben klassifizierten Dekade der Desillusionierung sowie qualvollen Neuorientierung noch virtuose Roma-Blaskapellen ein.

Exakt in dieser Umbruchphase voller Unstetigkeit stolperte ein Rastloser bis kurz vor die moldawische Grenze. In dem Dorf „Zece Prăjini“ (Zehn Felder) entdeckte der spontan Suchende Henry Ernst   fast im Vorbeigehen musizierende Männer vom Romastamm der Ursari (Bärentreiber). Was für ein Moment im Dasein des Reisenden, der vorab vielleicht sehr die Einsamkeit liebte!

Archaische Schlichtheit mit belebenden Akkorden und ohne irgendwelche Notenkenntnisse der handelnden Akteure berührten einfach die Seele. Zündende Ideen entstanden sofort im Kopf des von ganz anderswo her Gekommenen. Im Frühjahr 1997 folgte die erste Tournee mit der gerade eben für die Öffentlichkeit freigelegten sowie frisch zusammen gezimmerten kulturellen Schatztruhe. Zehn Konzerte in vierzig Tagen. Dabeigewesene zeigten sich überall wo diese künstlerische Entdeckung gastierte elektrisiert. Klarinetten, Trompeten, Bariton, Tenor, Flügelhorn, Pauke, Tuba – es war einfach nur genial. Überall testeten extrem feurig blasende Roma die sich als wenig sinnvoll erweisenden Geschwindkeitsbegrenzungen unserer bisherigen musikalischen Vorstellungswelten. Klar, Fans stampften heftig, hüpften manchmal meterhoch, jubelten immer frenetisch, forderten konsequent und kraftvoll Nachschlag ein und verlangten wohlwollend nach viel mehr solcherart Balsam. Nur Buchhalter zitterten anfangs. Ökonomisch blieb trotz einer durchweg begeistert aufgenommenen Ouvertüre nichts in der Kasse übrig. Zufall oder nicht: Für ein Weltmusikfestival buchte ein Radiosender kurz danach dieses wunderbar druckvolle Notenpaket. Es war der Durchbruch und der Auftakt für eine vorab nicht planbare Sensation. Innerhalb weniger Jahre enterten nun ein Dutzend Leute vom Rande des Balkans und einem Dorf, wo selbst der Bummelzug eigentlich nie so richtig hielt, viele große Bühnen. In Europa, in Amerika, in Australien, in Japan…

Ihr flächendeckend massentauglich gewordener Stil, traf brachial die Herzkammern des internationalen Publikumsgeschmacks. Klar, der Sound veränderte sich in dem Vierteljahrhundert stetig. Obwohl vielschichtige Wurzeln des Gesamtkunstwerkes stets spürbar blieben und eigentlich niemals verleugnet wurden. Frischluft-Moderne freundete sich mit dem pittoresken Sammelsurium  traditioneller Melodien an. Die lebten bereits vorab weiter. Seit Generationen funktionierte dies vorzüglich.

Auch deswegen bildet die Fanfare Ciocărlia  heutzutage so vieles ab. Allerfeinste Blasmusik aus der Abgeschiedenheit verbindet sich schon nach wenigen Takten mit der ungezügelten Amüsierfreude der jeweiligen Konsumenten und den dabei aufbrechenden Anspruchsdenken eingefleischter Jazzer, Rapper oder Weltmusikfreaks. Die Vortragenden vergessen live oder im Studio oftmals den Boden unter sich und landen flugs in anderen Sphären.

Genauso ist auch das neue Album der Langzeit-Überflieger konzipiert. Mehrere Sprachen, ein reichhaltiges Instrumentarium, massive plus abrupte Geschwindigkeitswechsel, dynamische Übergänge, frohlockende Gesänge liefern unerbittlich immer wieder andere, aber durchweg extrem belebende Klangbilder. Kurzum: Reichliches Notenfutter für grenzenlose sowie pralle Genuss- und Daseinsfreude. Die uns allen im Alltag leider viel zu oft abhanden kommt.

Roland BARWINSKY

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Musik.