Die unbekannte Seite von Oskar Pastior beim Erlanger Poetenfest 2021
Ausgabe Nr. 2738
Zwei Weggefährten von Oskar Pastior, der Dichter und Übersetzer Oswald Egger und der Herausgeber von Pastiors Werken Ernest Wichner, sprachen im Rahmen des 41. Erlanger Poetenfestes, am 29. August d. J., im Innenhof des Erlanger Stadtmuseums, über den Menschen Oskar Pastior und über sein zeichnerisches Werk mit Rike Felka, Bildwissenschaftlerin, Autorin und Übersetzerin. Dieses Podiumsgespräch unter dem Titel „Zeichengebilde und Wortgebilde“ wurde begleitend zu der Sonderausstellung „Aubergine mit Scheibenwischer“ geführt, die noch bis zum 19. September d. J. im Erlanger Stadtmuseum zu besichtigen ist. Der in der Ausstellung ausgesprochenen Aufforderung „Hören sie mal rein. Oskar Pastior in Erlangen“ kann man im Internet unter https://www.dichterlesen.net/personen/detail/oskar-pastior/ nachgehen.
Zur Einführung sprach Rike Felka über Anagramme und die 1984 entstanden ,,Anagramme in Rom“ von Oskar Pastior. Anagramme sind poetischer Buchstabenaustausch, sie sind Ausdruck einer geistlichen Bezugnahme, eine Aufwertung. Es stehen nur 26 Buchstaben für Anagramme zur Verfügung, so verdichten sich visuell und phonetisch die Buchstaben und die Wörter zu einer Wortmalerei. Hier griff Pastior auf seine Vielsprachigkeit zurück und auf seinen siebenbürgischen Dialekt. Und ihm gelingt etwas Einmaliges. Der „Römische Zeichenblock“ war für Oswald Egger auffallend. In erster Linie müsse man den Autor Pastior sehen, dann den Menschen. Pastior hatte Angst vor dem Aufenthalt in Rom in der Villa Massimo. „Was soll ich dort? Rom ist voller Hügel und Täler. Ein Auf und Ab: Wien dagegen ist ein Kreis und eben“, zitierte Egger Pastior. Pastior suchte nach Auswegen und Entschuldigungen. Er suchte sich Aufgaben, um nicht hin zu fahren und die Zeichnungen zu machen. Aber 1984 war es soweit. So entstanden die „urbanen kurvigen Zeichnungen“, die Rike Felka Topografie und Architekturen nennt.
Laut Egger war für Pastior die Aufhebung der Zeit sehr wichtig, und wie eins zum anderen kommt. Pastior brachte alles in einen Raum, wie z. B. den Leibniz- Keks und Mozarella. Er arbeitete immer aus der Misere und der Unkenntnis heraus. Die Gedankengänge von Pastior waren auf das Realistische gelenkt. Er kombiniert und reduziert, dreht das Wort im Kreis herum, verändert es und gibt ihm einen neuen Sinn. So wurde z. B. aus „überlisten“ das Wort „Listen“. Die Sprachwurzel der Wörter war ihm sehr wichtig. Oft arbeitete er auch aus diesem Sichtfeld heraus. Da kommt der Forscher aus ihm heraus, der Wissenschaftler, der Vieles hinterfragt. Zu dem Band „Krimgotischer Fächer“ sagte Egger, dass sich Pastior auf den Rheinischen Fächer bezogen hat, der das linguistische Übergangsgebiet vom Niederfränkischen über das Nordmittelfränkisch und Moselfränkische zum Rheinfränkischen ist. Bei dem Wort „Krimgotisch“ hat Pastior sich auf die Krimgotische Sprache bezogen, die auf der Krim-Halbinsel von den Krimgoten gesprochen wurde, einer kleinen Randbevölkerung, die Nachkommen der Ostgoten waren. Bei diesem Werk gehen Zeichnungen und Text ineinander über, und es sind verschiedene Sprachen enthalten.
Oswald Egger las daraus das Gedicht „Ballade vom defekten Kabel“ vor und kommentierte: „Auge und Ohr, das eine geht ohne das andere nicht bei Oskar Pastior“. Die Sprachwurzel und die Aufhebung der Zeit zeigen sich hier wieder. Die Geschichte der Linie ist die Abstraktion, das Gefächerte. Zeichnungen sind Gedichte, Gedichte sind Zeichnungen, das ergibt sich in der Sache selber, so Oswald Egger.
Der Begriff „am Rande“ hat für Oskar Pastior eine ganz persönliche Bedeutung. Er selbst befand sich in seinem Leben meistens „am Rande“. Und so begibt er sich schreibend in die Mehrheit vom Rande aus. So lag für ihn Siebenbürgen am Rande Europas, oder er war am Rande der Gesellschaft, denn seine Homosexualität konnte er nicht öffentlich machen. Versteckt in seinen Werken gibt es auch darauf Hinweise, wenn man den Menschen Oskar Pastior gut kennt. Schon als Kind hat Pastior gezeichnet, traute sich aber nie, seine Zeichnungen zu veröffentlichen, solange sein Vater lebte, denn sein Vater war Zeichenlehrer. Pastiors Text „Vater war Zeichenlehrer“, veröffentlicht in der Literaturzeitschrift Text + Kritik las Ernest Wichner vor.
Für Pastior bedeutet Isolation bei sich zu sein, also nicht isoliert und nicht allein, sondern beschäftigt mit den Gedanken zu verschiedenen Themen, hineintauchen in die Welt der Dichtung.
Zu dem Buch „Aubergine mit Scheibenwischer“ erklärte Oswald Egger wie es zu diesem Titel kam, was die Aubergine für Oskar Pastior war. Für Pastior war die Aubergine schön, weich, cremig. Sie muss erst zerstört werden, um hässlich zu sein. Wie kam Pastior auf diesen Titel? Indem er wieder wie so oft mit den Worten spielt. Im Wort „Zauberberg“ verbergen sich die Wörter „Aubergine“ und Berberitze“. Und „Scheibenwischer“? Da sind zwei Wörter in einem enthalten. Wie entstehen Scheiben? Da wären wir wieder beim Zerstören, Kombinieren und neu Zusammensetzen. Bezieht man dies auf Pastiors Leben, dann wurde oft etwas zerstört bei ihm und es wurde neu zusammengesetzt. Egger stellt fest: „Seine Gedichte, Zeichnungen, Anagramme, seine Zeichengebilde und Wortgebilde sagen etwas zu ihm selbst“, und zwar zitiert er Pastior „nicht von mir, sondern über mich das ich so nie erfahren hätte.“ „Der Text spricht mit Oskar Pastior“, sagt Ernest Wichner. Die Zeichnung zeigt eine Aubergine mit dem Scheibenwischer, ,,Kreuzvorgänge“ nennt Rika Felka dieses Bild.
Die Werke von Oskar Pastior zeigen viel von ihm selber, seinem Wesen, ohne dass sie sein Inneres entblößen. Eher regen sie dazu an, sich darüber Gedanken zu machen. Man bewundert ihn. „Es sind seine Rückzugsräume, seine Schutzräume“ sagte Felka.
Man darf die Gedichte von Oskar Pastior nicht verstehen wollen, sondern sollte sich spielerisch darauf einlassen. Seine Gedichte haben einen Rhythmus, der einem Spaß macht und ein Lächeln hervorlockt. Sein Findergeist für neue Wörter mit anderen Bedeutungen, seine Lust, mit der Sprache zu experimentieren, sie macht Laune. Oswald Egger sagt: „Es steht alles in den Worten, nicht zwischen den Zeilen.“
Malwine MARKEL