Sammelband zum Thema Deportationen
Ausgabe Nr. 2735
Erinnerung ist Gegenwart, Erinnerung ist Zukunft. So geht ein Satz, der als Zuschreibung auch über dem Buch „Deportationen. Literarische Blickwinkel“ stehen sollte, das die früheren Mitglieder der Aktionsgruppe Banat, Albert Bohn und Anton Sterbling im Pop Verlag Ludwigsburg herausgegeben haben. Er regt zum Nachdenken an.
Es ist offensichtlich, dass die Erinnerung nur dort gedeiht, wo das Vergessen keinen Platz hat. Die moderne Zeit neigt zum Vergessen, zum Verdrängen, zum Beschönigen. Nicht zuletzt, weil die unmittelbaren Zeitzeugen versterben, jene, die Zeugnis von den Schrecken des Krieges und den darauf folgenden Deportationen ablegen könnten. Die Geschichte und mit ihr die Geschichten bleiben auf der Strecke. Albert Bohns Mutter sagt es im vorliegenden Band mit eigenen Worten: „Was wir in der Deportation erleben mussten, war erschütternd. Jahrzehntelang konnten wir nur mit Familienangehörigen und Freunden darüber sprechen. Und später? Die alten Geschichten. Wer wollte sie schon hören?“
Umso verdienstvoller ist die Herausgabe des Bandes „Deportationen“ mit dem Untertitel „Literarische Blickwinkel“ durch Albert Bohn und Anton Sterbling.
Obgleich sich inzwischen zahlreiche rumäniendeutsche Autoren dem Thema Deportation gewidmet haben und Herta Müllers „Atemschaukel“ sogar Weltruhm erlangt hat, kommt man an diesem Band nicht vorbei. Er besticht durch seinen Umfang und die Vielschichtigkeit seiner Perspektiven. Kein Wunder, wenn 14 Autoren, allesamt aus der ehemaligen „Aktionsgruppe Banat“ und deren Umkreis sich dem Thema widmen. Hier wird nichts tabuisiert, nichts verschwiegen. Neben den Herausgebern haben sich renommierte Autoren (Johann Lippet, Horst Samson, Hellmut Seiler, Richard Wagner, Balthasar Waitz, Ilse Hehn) aber auch weniger bekannte Autoren mit erschütternden, wie einfühlsamen Texten zu Wort gemeldet. Und das, auch mal mit Gedichten, wie im Fall des früh verstorbenen Rolf Bossert oder mit Bildern Ilse Hehns.
Einige Geschichten sind bereits bekannt, aber es braucht nicht viel Zeit, um sich in die Geschichten einzulesen. Einmal begonnen, lässt der Stoff nicht mehr los. Schnell werden wieder die Bilder wach, die die Zivildeportierten auf dem Weg in die russischen Weiten im Winter 1945 oder in die Bărăgansteppe im Frühsommer 1951 begleiteten. Und die sie auch Jahrzehnte später noch in der real sozialistischen Tristesse der Heimat verfolgten.
Es sind tragische und nachdenkliche Berichte über das Ausgeliefertsein der kleinen Leute, die sich nicht wehren und ihrem Schicksal stellen. Und doch auch manchmal ausbrechen, weil ihnen Gott oder nur ein Gerücht über eine bevorstehende Freilassung Kraft gibt. Trotzdem bleibt bis zum Schluss der Lektüre die Frage: Wie haben es Menschen in all den Jahren der Not, des Hungers, der Verzweiflung oder des täglichen Sterbens ausgehalten? Und das, fern der Heimat.
Das Buch gibt viele Antworten. Und es lädt ein zum Erinnern, zum Nachfühlen, zum Nachdenken. Ein bemerkenswertes Buch, dem man viele Leser wünscht.
Andreas H. APELT
Anmerkung der Redaktion: Albert Bohn und Anton Sterbling haben gemeinsam mit Werner Kremm, Peter-Dietmar Leber und Walter Tonţa auch den Band ,,Die Verschleppung der Deutschen aus dem Banat in die Sowjetunion aus der Sicht ihrer Kinder. Erzählberichte“ herausgegegen, der in der Schriftenreihe Banater Bibliothek 20 in München erschienen ist. Als Beitrag zur Erinnerungskultur dokumentiert der Band über 110 Erzählberichte von Kindern von deportierten Deutschen aus dem Banat in die Sowjetunion, ergänzt durch Analysen von Anton Sterbling und William Totok und statistische Materialien von Ovidiu Laurenţiu Roşu.