,,Er besteht nur aus Essenz“

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Dr. Hans Peter Türk nahm die Honterus-Medaille 2020 entgegen

Ausgabe Nr. 2732

Dem Komponisten und Musikwissenschaftler Dr. Hans-Peter Türk (Bildmitte) überreichten im Rahmen einer eindrücklichen Feierstunde am Montag im Spiegelsaal des Forumshauses der DFDS-Vorsitzende Martin Bottesch (links) und Bischof Reinhart Guib die Honterus-Medaille, die seit 2013 das Siebenbürgenforum gemeinsam mit der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien verleiht. Die musikalische Umrahmung gestalteten Ursula und Kurt Philippi, die auch die Laudatio auf den geehrten hielten. Foto: Beatrice UNGAR

Ein Oratorium zum Gedenken an die Russlanddeportation im Januar 1945, an dem er seit mehr als 20 Jahren gearbeitet hat, habe er nun fertiggestellt, sagte Dr. Hans Peter Türk in seiner Dankesrede.  Der am 27. März 1940 in Hermannstadt geborene Musikwissenschaftler und Komponist, der nach seinem Musikstudium in Klausenburg ein neues Zuhause gefunden hat,  wurde nämlich am Montag im Rahmen einer Feierstunde mit der Honterus-Medaille, die vom Demokratischen Forum der Deutschen in Siebenbürgen und der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien für besondere Verdienste für die Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen verliehen wird, ausgezeichnet. Ursprünglich sollte die Medaille beim Sachsentreffen 2020 überreicht werden, da diese Veranstaltung aber abgesagt werden musste und schließlich im online-Format stattgefunden hat, musste ein anderer Termin gefunden werden.

Das Musikerehepaar Ursula und Kurt Philippi hielt dabei eine eindrückliche zweiteilige Laudatio auf den Geehrten. Lesen Sie im Folgenden die beiden Teile:

 

Kurt PHILIPPI: Unsere Eltern und Großeltern hatten das große Glück, einen Komponisten unter sich zu haben, der alle, die es wollten, mit guter Musik versorgt hat. Von der Miniatur für Anfänger über die Klavierlieder und die Kammermusik bis hin zur groß angelegten Symphonie hat Paul Richter fast alle Genres der Musik gepflegt. Mit dem Wirken und Schaffen Paul Richters erreichte die bürgerliche Musikpflege der Siebenbürger Sachsen vor dem Zweiten Weltkrieg ihren Höhepunkt. Wie in vielen anderen Bereichen, war davon nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch ein Schutthaufen übriggeblieben.

Ursula Philippi (Klavier) und Kurt Philippi (Cello) spielten zum Auftakt der Feierstunde eine ,,Miniatur für Cello und Klavier“ von Paul Richter und zum Abschluss  von Hans Peter Türk ,,Im Frieden dein, o Herre mein, Choralvariation für Cello und Orgel/Klavier.       Foto: Beatrice UNGAR

Aber auch auf einem Schutthaufen wachsen Blumen, Sträucher und sogar Bäume. So geschah es, dass der musikalische Grundwasserspiegel schon zehn Jahre nach dem Krieg soweit gestiegen war, dass man wieder von einem Musikleben der Siebenbürger Sachsen sprechen konnte: Viele Kinder lernten ein Instrument, viele Jugendliche studierten Musik und wurden Berufsmusiker, es gab einige couragierte Initiativen im Bereich Chor und Orchester, wir hatten begabte Chor- und Orchesterdirigenten – und es gab auch wieder einen akademisch ausgebildeten Komponisten. Er lebte nicht in Hermannstadt, auch nicht in Kronstadt, er wohnte in Klausenburg, in zwei kleinen Zimmern einer Blockwohnung, in die es manchmal auch hineinregnete. Hier saß Hans Peter Türk an seinem Schreibtisch, komponierte in aller Stille, arbeitete an seinen musikwissenschaftlichen Arbeiten.

Bald sprach es sich unter uns, den ausübenden Musikern, herum, dass man bei diesem Komponisten Musik für den eigenen Gebrauch „in Auftrag geben“ kann: Musik für einzelne Instrumente, Kammermusik für verschiedene Besetzungen, Chormusik auf vorgegebene Texte oder Melodien.

Das klang dann in etwa so: „Lieber Hans Peter, würdest du nicht für meinen Chor ein Stück in dem und dem Schwierigkeitsgrad schreiben?“ oder „Stimate maestre / dragă Domnule profesor, tare am dori să ne scrieți un cvartet de coarde!“.

Eines schönen Tages schneite dann ein Briefumschlag ins Haus mit der Handschrift einer neuen Komposition, die dem „Auftraggeber“ – Laie oder Berufsmusiker – quasi auf den Leib geschnitten war. Das Einstudieren dieser Kompositionen glich jedes Mal einer Entdeckungsreise in unbekannte Gefilde, deren Schönheiten sich nicht immer auf den ersten Blick offenbarten. Aber je länger man das Werk verinnerlichte, desto größer wurde die Freude, einen Schatz entdeckt zu haben.

Hans Peter Türk: Siebenbürgisch-sächsische Volkslieder, Kleiner Chor des Honterus-Lyzeums Kronstadt, Gesamtleitung: Kurt Philippi. 2012, CD-Überspielung der Schallplatte aus dem Jahr 1981.

Als solche, die immer wieder bei dir, lieber Hans Peter, bestellen konnten, möchten wir heute stellvertretend für alle danken, die du mit Werken beschenkt hast. Damit sind zunächst die Interpreten gemeint, dann aber auch die Zuhörenden, die an deiner Musik Gefallen fanden. Für beide, Ausführende wie auch Zuhörende, war es jedes Mal eine Bereicherung.

Lieber Hans Peter, sicher hast du als Komponist noch einige eigene Eisen im Feuer. Wir wünschen dir und uns, dass du sie alle zu Ende führen kannst, zu deiner Zufriedenheit und zu unserer Freude.

Ursula PHILIPPI: Fragt man ihn, welches sein formschönstes Werk sei, könnte es sein, dass der Komponist Hans Peter Türk sagt: Die ,,Variationen über eine Ode des siebenbürgischen Reformators Johannes Honterus für Orgel“. Heute erhält er nun selbst die Honterus-Medaille, benannt nach einem universell gebildeten Mann der Renaissance, der unter anderem auch Musiker war.

Das Siebenbürgenforum und die evangelische Kirche ehren damit einen Stillen im Lande, einen Künstler und Wissenschaftler, der „nur aus Essenz besteht“, wie ein Kollege ihn bewundernd charakterisierte. Und einen Unbequemen. Er schwimmt nicht mit im Mainstream und trägt die Folgen: was er in der Musik zu sagen hat, erschließt sich nicht sofort. Wie ein Schleier umhüllt Melancholie viele seiner Werke. Sensibel, oft knapp und kurzgefasst, ist seine Tonsprache an den Großen der modernen Musik geschult: Bartók, Messiaen, Penderecki.

Frühe Erinnerungen sind mit der Deportation des Vaters im Januar 1945 verbunden. Er sollte nicht wiederkehren. Die musikalische Begabung des Jungen wurde von Victor Bickerich, dem Kantor und Organisten der Schwarzen Kirche in Kronstadt, intensiv gefördert. Bei der Aufnahme an die Musikhochschule Klausenburg soll Rektor Sigismund Toduță ihn ohne weitere Prüfung angenommen haben, als Schüler eines so eminenten Musikers.

Hans Peter Türk: Siebenbürgische Passionsmusik für den Karfreitag nach dem Evangelisten Matthäus für Chor, Solisten und Orgel, Ausführende: Meißner Kantorei, Leitung Christfried Brödel. Aufgenommen in der Stadtkirche Burgstädt mit Ursula Philippi an der Orgel Musikproduktion  Dabringhaus und Grimm, Detmold, 2009.

Das Musikerdasein im Kommunismus gestaltete sich nicht einfach. Wer nicht in die Partei eintrat, wurde nicht gefördert. So erwischte die Wende 89-90 den Doktor der Musikwissenschaft – er hatte mit einer grundlegenden Forschung zu Mozarts Harmonik promoviert – und den bereits preisgekrönten Komponisten als einfachen Lektor an seiner Hochschule. Dann aber gehörte er zu den Menschen der ersten Stunde: Hans Peter Türk, als einer der wenigen aufrecht Gebliebenen, kam in leitende Stellung und erwarb sich große Verdienste. An dieser Stelle sei nur die Internationale Bachakademie genannt, die er nach Klausenburg bringen konnte.

Was hat er komponiert? Die Palette ist bunt, sie reicht von Solostücken und Kammermusik über Chöre auf weltliche und geistliche Texte bis hin zu großen Orchesterwerken, ja sogar Filmmusik. Gern schreibt Türk auf Bestellung und hat sie alle bedient: berühmte und weniger bekannte Musiker oder Ensembles, Laien wie Berufsmusiker.

Erwähnt seien hier die siebenbürgisch-sächsischen Volkslieder für Chor und allerlei Instrumente, unter anderem Orff’sches Schlagwerk, und Jahrzehnte später die Siebenbürgische Passionsmusik für Soli, Chor und Orgel, komponiert für das Jahr 2007 in Hermannstadt. Beide Werke erregten Aufsehen zu ihrer Zeit, wurden auf Tonträger aufgenommen, die Passionsmusik sogar mit einem internationalen Preis geehrt.

Was hat er NICHT geschrieben? Eine Symphonie, eine Oper, aber erstaunlicher Weise auch keine Sololieder.

Er hat eine grundlegende Monografie über Paul Richter (1875-1950) geschrieben, den er für den begabtesten aller siebenbürgischen Musiker hält. Das Werk dieses leider nicht gebührend Geschätzten beschäftigt ihn über die Jahrzehnte. Es sei nur an seinen Beitrag erinnert, der vor einigen Monaten in der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien erschien und eine Neubewertung der sechsten Symphonie Richters enthält. Besonders schätzt er Paul Richters Lieder: Sie seien denen von Richard Strauß oder Hugo Wolf mindestens ebenbürtig.

Die andere Monografie Türks hat Gabriel Reilich (1643-1677), den im 17. Jahrhundert aus der Zips eingewanderten Organisten, zum Thema. Sie erschien im Kriterion-Verlag noch zu kommunistischen Zeiten und war damals eine Sensation, allein schon durch den Titel: ,,Geistlich-musikalischer Blum- und Rosenwald. Anderer Theil“. Der rumänische Titel lautete ,,Pădure spiritual-muzicală de flori și trandafiri“. Es ist Reilichs opus ultimus aus dem Jahr 1677. Dem eigentlichen Werk hat Reilich damals ein Vorwort beigegeben. Daraus darf ich Ihnen vorlesen:

„Was ein Componist sey?

Derweilen nicht einem jeden gemeinen Mann bekannt/was eines Componisten Thun und Profession ist/und was Derselbe sey/habe ich diese Vorrede zur Nachricht hierher setzen wollen.

Ein Componist ist nichts anderes/als der da allein von Musicalischen Consonantz und Dissonantien nach gewissen Regeln einen schönen Gesang/und liebliche Harmoni zusammen setzet; Der da ueber allerley Psalmen und Lieder Melodeyen machet; Der nicht allein allerley Mottet und Concerten aufzusetzen weiß/sondern auch von allerlei Musicalischen Instrumenten/wie dieselbigen beschaffen/gewisse Nachricht und Wissenschaft haben muss…

Ein Componist ist ein solcher Musicus, der sich durch seine Kunst unsterblich machen kann/wobei mit eines anderen Musici Todt/er sey auff mancherley Instrumenten so erfahren und künstlich gewesen/als er immer wollen/alles aus ist. Eines Componisten Sache aber bleibet den Nachkömmlingen noch vill hundert Jahre zugute/Gottes Lob damit zu rühmen und zu preisen.“

 

 

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Musik, Persönlichkeiten.