Ein Mandat der Fragen und Antworten

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Interview mit Emil Hurezeanu, der von der Botschaft in Berlin nach Wien wechselt

Ausgabe Nr. 2720

Bei seinem Deutschlandbesuch 2017 wurde Staatspräsident Klaus Johan- nis (links) auch in der Rumänischen Botschaft in Berlin empfangen. Bot- schafter Emil Hurezeanu (rechts) war damals schon im zweiten Jahr im Amt. Foto: Rumänische Botschaft Berlin

Der 1955 in Hermannstadt geborene Schriftsteller, Publizist und Politologe Emil Hurezeanu ist seit 2015 Botschafter Rumäniens in Berlin. Im Juni d. J. wechselt er als Botschafter Rumäniens nach Wien. Über seine Amtszeit in Berlin und seine Pläne für die neue Stelle aber auch über seine literarische Tätigkeit gibt Hurezeanu Auskunft in dem folgenden Interview mit der HZ-Chefredakteurin Beatrice U n g a r. 

 

In dem Buch ,,So is(s)t Hermannstadt” erwähnen Sie im Gespräch mit der Autorin, Dagmar Dusil, die in der Welt der Diplomatie kursierende witzige Bemerkung, ,,dass du im Namen deines Vaterlandes für jede Form von Magenverstimmung vorbereitet sein musst“. Sie waren von 2015 bis Anfang 2021 Botschafter Rumäniens in der Bundesrepublik Deutschland. Was hat Ihnen während ihrer Amtszeit in Berlin auf den Magen geschlagen?

Bei meiner Behauptung in dem Buch der geschätzten Dichterin Dagmar Dusil, der ich sehr dankbar bin für den ausgezeichneten Band, den sie 2017 Hermannstadt gewidmet hat und der inzwischen auch in der rumänischen Fassung erschienen ist, handelt es sich um eine geläufige geistreiche Bemerkung aus der sprachlich-sentimentalen Requisite der operativen Diplomatie. Eine erste, wortwörtliche Auslegung: Ein Diplomat muss im wahrsten Sinn des Wortes ständig an Cocktails, Empfängen, Diners und Mittagessen und anderen ,,Kost-Proben“ teilnehmen, die oft von Vertretern anderer Kulturen geboten werden, die ihm nicht vertraut, ja, die sogar exotisch sind. Jedes Mal muss er, um seiner patriotischen Pflicht nachzukommen, das gastronomische Angebot annehmen, mit einem Lächeln auf den Lippen, egal wie wenig es ihm zusagt oder ihm bekommt usw.

Eine zweite, interessantere Auslegung: In diplomatischen Beziehungen erzählen dir die Vertreter des Gastlandes – Minister, Parlamentarier, Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft, einfache Bürgerinnen und Bürger – alles Mögliche über dein Land. Manchmal haben sie recht, manchmal irren sie sich. Das Leben ist aber auch in diesem Fall etwas komplizierter: Deine Gesprächspartner können Recht haben und zugleich falsch liegen, teilweise oder vollkommen, sie mögen falsch oder unzureichend informiert sein, sie mögen übertreiben, sie mögen böswillig sein usw. Im schlimmsten Fall sind sie gleichgültig oder sie übernehmen unbesehen Klischees, Vorurteile, alternative Wahrheiten oder gar Fake News, die sie dir dann unverdaut mitteilen. Vor allem in diesem Fall musst du erklären, musst du ruhig bleiben, deine Kopfschmerzen oder deine Verdauungsprobleme kaschieren. Als Belohnung kannst du Klärung schaffen, Nuancen hervorheben, die gegnerische Meinung in guten Willen umwandeln. Den Preis dafür zu zahlen lohnt sich.

Welche war die größte Herausforderung in dieser Zeit?

Es waren interessante Jahre, doch nicht im chinesischen sondern im deutschen und im rumänischen Sinn. Es waren Jahre großer politischer, gesellschaftlicher und psychologischer Transformationen in dem bedeutendesten Land Europas, infolge der Flüchtlingskrise 2015, der Spaltungen innerhalb der EU und in den Beziehungen zu Russland, der Türkei oder sogar zur USA. Eine neue politische Partei, die AfD, tauchte auf, die als antidemokratische Partei eingestuft wird, der Antisemitismus flammte wieder auf.

Vor diesem Hintergrund betrachtete der deutsche Partner  auch die Entwicklungen in Rumänien aufmerksamer und anspruchsvoller.

Insofern war mein Mandat bestimmt von Fragen und Antworten, die unter dem Zeichen des Notstands und der Krise standen. Angefangen von der korrekten Information an die deutschen Partner in den Ländern und auf Bundesebene, über die rumänische EU-Ratspräsidentschaft und dann, ein Jahr danach, die deutsche, bis hin zu den globalen Entwicklungen im Bewusstmachen der dramatischen Folgen der Klimakatastrophe, der informellen Manipulation und Selbstmanipulation, der Rückkehr zur Geopolitik der Gewalt und des Gleichgewichts der Mächte, des Verzichts auf die Vielseitigkeit und schließlich der Pandemie mit ihren Haupt- und Nebeneffekten, die noch nicht ausgestanden sind. Alle diese Elemente hatten und haben einen starken Impakt, der, da dessen Folgen weitgehend unbekannt  sind, als Bedrohung angesehen wird. Als Bedrohung für die innere Demokratie, die internationalen Beziehungen und unser Leben im allgemeinen.

Welche waren die wichtigsten Ereignisse? Hatten Sie auch Erfolgserlebnisse?

Ich habe stets versucht, das historisch gewachsene interkulturelle Potenzial der rumänisch-deutschen Beziehungen sichtbar zu machen, das vor allem in sensiblen Momenten unser Hauptvorteil ist. Ich meine die Anwesenheit der deutschen Minderheit in Rumänien in den letzten fast 900 Jahren und ihre Rolle bei der Modernisierung Rumäniens, die Anwesenheit einer äußerst dynamischen rumänischen Diaspora in Deutschland, die heute ihren Beitrag zum wirtschaftlichen Fortschritt Deutschlands leistet. Desgleichen erinnere ich an die tief verwurzelten Beziehungen von rumänischen Politikern und Kulturschaffenden zu Deutschland in den  letzten 200 Jahren. Von Kogălniceanu, dem Schüler von Humboldt in Berlin, über Eminescu, Maiorescu, Caragiale, Iorga, Xenopol und PP Carp bis hin zu  Herta Müller, Stefan Hell oder Peter Maffay.

Es gibt unverwüstbare tief  miteinander verwobene zwischenmenschliche rumänisch-deutsche Beziehungen. Diese habe ich zu aktualisieren versucht durch den Kirchenburgen der Siebenbürger Sachsen gewidmete Veranstaltungen aber auch durch die Vermittlung der Teilnahme  großer deutscher Kulturschaffenden u. a. an dem George Enescu-Festival, an dem Hermannstädter Internationalen Theaterfestival. Ebenso durfte ich die regelrechte Offensive rumänischer Autorinnen und Autoren bei der Leipziger Buchmesse unterstützen, die 2019 Rumänien als Gastland eingeladen hatte. Damals wurden zahlenmäßig gleich viele dieser Schriftsteller ins Deutsche übersetzt wie z. B. ihre Kolleginnen und Kollegen aus Frankreich und Italien.

Besonders bemüht habe ich mich um eine Einladung rumänischer Musikerinnen und Musiker als Ehrengäste unter meiner Schirmherrschaft an dem Bachfestival in Lepizig. Dort, in der Thomaskirche, der Wirkstätte des ehemaligen Kantors Johann Sebastian Bach, habe ich vor 2000 Anwesenden über die beiden Bachchöre in Siebenbürgen, in Hermannstadt und in Kronstadt, gesprochen, über den Komponisten und Dirigenten Franz Xaver Dressler, der nach dem Ersten Weltkrieg aus Böhmen kam und sein Wirken in Rumänien vorrangig dem großen Bach gewidmet hat – eine Tradition, die auch im Kommunismus weitergeführt worden ist, während in der DDR dieselben Werte aus der Öffentlichkeit ausgeklammert wurden. Erstaunt waren der Leipziger Bürgermeister und die Würdenträger der Stadt, als sie erfuhren, auch Dank einer ausgezeichneten Ausstellung, die von dem Historischen Museum der Stadt Bukarest im Gebäude des Alten Rathauses in Leipzig organisiert   worden ist, dass es in Südrumänien, außer der bekannten Lipscani-Straße (Leipziger Straße) in Bukarest wenigstens in acht Ortschaften – u. a. in Bals und Slatina – schon seit dem Mittelalter die Haupthandelsstraße ,,Lipscani“ heißt. Wir kennen einander schon seit langer Zeit. Wir müssen uns aber auch gegenseitig anerkennen.

Soweit zur Kultur aus der historischen Perspektive, die immer wieder aktualisiert und erneuert werden muss im Interesse der Gegenwart. Darüber hinaus muss auch der spektakuläre Aufschwung der Wirtschaftsbeziehungen hervorgehoben werden. 2015 belief sich das Jahresvolumen der rumänisch-deutschen Handelsbeziehungen auf 15 Milliarden Euro. Heute, trotz Pandemie, sind es fast 40 Milliarden Euro.

2017 waren es 50 Jahre seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien, damals im Kontext des Kalten Krieges ein Schritt vorwärts, ohne die damit verbundenen Probleme und Unterschiede auszublenden. Im gleichen Jahr haben wir 25 Jahre seit der am 21. April 1992 erfolgten Unterzeichnung des „Vertrags über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien“ gefeiert, die Grundlage unserer bis heute andauernden ausgezeichneten bilateralen Beziehungen, die von beiden Seiten als solche bezeichnet und anerkannt werden.

Aufgrund dieses Vertrags wurde auch die gemischte rumänisch-deutsche Regierungskommission für die Angelegenheiten der deutschen Minderheit in Rumänien gegründet, die seit mehr als einem Vierteljahrhundert mit offenen Karten jährlich tagt, turnusmäßig in Deutschland und in Rumänien.  Desgleichen war dieser Vertrag auch ein erster ausschlaggebender Vektor für die euro-atlantische Orientierung Rumäniens, bei der Deutschland, durch den Bundeskanzler Helmut Kohl, den Bundesverteidigungsminister Volker Rühe und den NATO-Generalsekretär Manfred Wörner eine entscheidende Rolle gespielt hat.

Wichtig war für mich auch, dass während meiner Amtszeit die Jahrhundertfeier des modernen Rumänien, 2018, gefeiert wurde. In diesem Zusammenhang erinnere ich daran, dass 1919 die deutsche Minderheit die erste war, die sich für die Vereinigung Siebenbürgens mit Rumänien ausgesprochen hat.

Sie sind Schriftsteller und Journalist. Gibt es da Schnittpunkte mit der Diplomatie?

Zwischen den beiden Berufen oder Beschäftigungen gibt es viele Ähnlichkeiten aber auch genügend Unterschiede.

Sowohl der Diplomat als auch der Journalist muss gut informiert sein, bevor er andere informiert. Er muss glaubwürdig sein, verantwortungsvoll, Vertrauen genießen oder dieses gewinnen bzw. wieder gewinnen, selbst wenn er Mitteilungen vermitteln oder interpretieren muss, die für den Empfänger unangenehm sind. Die intellektuelle Neugier, die kommunikative Anstrengung, die Fähigkeit, Sympathie zu wecken bzw. zu irritieren zählen zu den Ähnlichkeiten.

Gott sei Dank gibt es auch Unterschiede. Der Journalist setzt im besten Fall bloß sein eigenes Gewissen und seine eigene Verantwortung aufs Spiel, wenn er etwas behauptet oder verneint, wenn er erklärt, lobt oder widerspricht.

Der Diplomat ist dazu verpflichtet, in erster Linie die Skala der geschriebenen oder ungeschriebenen Werte der nationalen Interessen seines Landes zu respektieren. Diesen Werten muss er unentwegt dienen und dabei auch die Interessen des Gastlandes gut kennen und respektieren. Dabei muss er darauf achten, die Wahrheit des Anderen, die ihm nicht gelegen kommt, nicht zu umgehen. Zugleich darf er aber auch die ,,patriotisch“ servierte Lüge weder weiterleiten oder unverdaut schlucken.

Es ist oft ein schwieriger Drahtseilakt, vor allem für jemand der sich vorher als Journalist unterschiedlicher Kommunikationsformen bediente. Die guten Engländer pflegen zu sagen: ,,my country, good or bad“, das heißt soviel wie: Mein Land geht vor, egal ob es gut oder schlecht ist. Damit bin ich einverstanden aber dein Land selbst, eigentlich alle Länder, haben auch nüchterne Analysen nötig, die manchmal mit den Konventionen brechen. Diese nüchternen Analysen  sollten sicherlich vertraulich mitgeteilt werden, zuweilen auch unter dem Siegel eines Staatsgeheimnisses. Die Ergebnisse werden den Ländern zu einer bestimmten Zeit dienlicher sein als die Versuche, die Wahrheit zu beschönigen oder unangenehme Tatsachen zu stilisieren.

Vor kurzem wurden Sie zum Botschafter Rumäniens in Wien ernannt? Was bringt diese Ernennung mit sich? Und was bedeutet sie für Sie persönlich?

Auch in Wien werde ich versuchen, die bedeutende historische und kulturelle Tradition der Beziehungen zwischen Österreich und Rumänien zum Nutzen unserer bilateralen Gegenwart einzusetzen. Österreich ist für Rumänien ein vertrauter und langjähriger Gesprächspartner, mit dem wir sowohl spannungsgeladene Zeiten und Konflikte erlebt haben aber auch Zeiten des historischen Fortschritts in Mitteleuropa. Österreich ist nach Deutschland der zweitwichtigste Investor in Rumänien und in Österreich stellen die Rumänen nach den Deutschen die zweitstärkste Gemeinschaft aus einem EU-Staat.

Das sind ermutigende Voraussetzungen für  mich, auch als Hermannstädter. In meiner Geburtsstadt befand sich mein Elternhaus in einem früher Josephinum genannten Stadtviertel und ich habe meine Kindheit in einem Stadtviertel verbracht das seit eh und je Theresianum genannt wurde.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Emil Hurezeanu: Zärtlichkeit, Routine/Tandrețe, rutină. Gedichte eines Knauserers/Poemele unui parcimonios 1979-2019. Aus dem Rumänischen von Georg Aescht, Reihe LYRIK Bd. 145, Pop Verlag, Ludwigsburg, 2020, 342 Seiten, ISBN 978-3-86356-203-8.

 

Emil HUREZEANU

Imperiale für Kinderchor

O, die Toten von Torida, ob auch ihnen kalt ist vor Tod

Euch verschattete den purpurn geröteten Leib

Nicht der Lorbeerzweig, obwohl es sich so gehört hätte

Jetzt häufte sich nur Tau, der euch an anderen Morgen versagt bleibt

 Glitzernd als Schnee

Ohne die Liebe dessen, dem sie liebend erfüllt wird:

,,Öffne mir, Weib, Teure, Täubchen, du Unbefleckte,

Denn mein Kopf ist nass von Tau

Meine Locken sind nass von den Tropfen der Nacht.“

Vielleicht nahte die Jahreszeit mit vielen Insekten

Sie fressen weiße Blüten und liegen dann auf dem Rücken

So haben sie euch mit ihrem Blütentod geködert.

Wie im Wald nach dem Regen noch das Wasser zu hören ist,

 das, zerschnitten

Von Baumstämmen und großen Blättern, weiter den Regen nachbildet

Obwohl der das draußen nicht mehr ist, nur noch

Diese Hitze, vergessen und spät wiedergefunden

In der Stunde zur Anatomie meiner Stirn

Als ich mir einbildete, so halte die Braue den Staub ab

Und die feuchten Tropfen der Angst wie junge Hecken

Doch Tränen im Gesicht bedeuten nur, dass

Mein Wasser aus der Tiefe von den Wimpern zerschnitten wird

Wohl gibt es reinere Klingen, aber

Zwei Schwertern gleich sind nur die Brauen.

Die Haut, verletzt und dann von einem anderen Blut versengt

Wie ähnlich sieht sie doch dem weichen Fell des Leoparden

Und alle Toten von Torida halten sich immer noch für Leopardenjunge.

Seltsam sind jene Krusten, die sie

Langsam mit der kleinen Zunge lösen und liebkosen

Als Kunde von der Wunde des Vaters

Aber erst die Krankheit, die auch sie übermannt

Wenn sie zum Spiel mit den Nägeln ihren Körper häuten

Und darunter weitere Krankheitskeime hervorkratzen.

Wie ich doch staunte in der Stunde zur Anatomie eines Kindes,

O, wie ich staunte bei diesem Gedanken.

Auch die Wunde speist sich aus uns

Sie selbst schafft die Hitze des Todes

Wie unter der Linse ein Tropfen weißer Impfflüssigkeit

Sachte in die Innenhaut sickert.

Ich will deine Hitze kühlen, wenn sie dich umfängt.

,,Denn mich hat die Sonne angesehen

Die Söhne meiner Mutter haben mit wutenbrannt

Zur Hüterin der Weinberge bestellt

Aber den Weinberg meiner Schönheit habe ich nicht gehütet.“

An der Schläfe, gerade erspäht, kringelte sich die Blutlocke

Ein Stromschlag im Grollen des Schnees, ins Rollen gebracht

Von der zum Himmel gefahrenen Kindheit

Was nicht mehr ist, o, das ist nicht mehr

Als die reglose Krönung in einem Kristall

Ihr, Söhne von Torida, ganz und gar von Gold

Seid gesegnet.

Aus dem Rumänischen von Georg AESCHT

Anmerkung der Redaktion: Dieses Gedicht ist den Opfern des Lawinenunglücks vom 17. April 1977 am Bulea-See gewidmet. Hurezeanu hatte es nach eigener Aussage wenige Tage nach dem Unglück verfasst und es wurde erstmals im Frühjahr 1977 in der Klausenburger Zeitschrift Echinox veröffentlicht.

 

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Persönlichkeiten.