Neuer Roman von Dana Grigorcea im Penguin Verlag München erschienen
Ausgabe Nr. 2719
Was gruselt mehr, die Fiktion oder die Realität? Diese Frage stellt man sich beim Lesen des neuesten Romans der Autorin Dana Grigorcea „Die nicht sterben“, der Anfang des Jahres im Penguin Verlag erschienen ist. Eine Vampirgeschichte oder ein Gruselroman auf die postkommunistische rumänische Gesellschaft? Auf jeden Fall bietet der Roman passagenweise großen Unterhaltungswert.
Erzählt wird die Geschichte einer jungen Bukarester Malerin, die ins Dorf B., das an Transsilvanien grenzt und in dem sie ihre Kindheit verbracht hat, zurückkehrt. Im Haus ihrer Tante Margot – die sie liebevoll Mamargot nennt – ging die betuchte Bukarester Gesellschaft ein und aus.
Als Kind fand die Malerin Inspiration in der Schönheit der Natur. Als junge Frau sieht sie alles anders. Da ist kein kindliches Toben in den Feldern mehr, keine Freizeitvergnügungen der feinen Bukarester Gesellschaft in dem touristischen Ort. Sie entdeckt Müllhalden im Wald, illegale Abholzungen in Naturschutzgebieten, Bauruinen und Korruption auf allen Ebenen. Nach der Auswanderung der Jungen sind nur noch die Alten und die Profiteure im Dorf geblieben. Als einer von Margots Gäste auf tragische Weise stirbt, taucht ein weiterer Leichnam in der Familiengruft auf. Gefunden wird er von der Ich-Erzählerin: „Er lag auf dem Grabstein mit den beiden abgebildeten Hunden, aber als ich ihn anfasste und er sich automatisch wegdrehte, rann mir etwas über die Hand, und ich starrte in die ausgehöhlten Augen, aus denen mir Fliegen entgegenschwirrten. Aus dem Mund drang ein Schwall dunklen Bluts, während er die zerfledderten Lippen schürzte wie zu einem Kuss. Ich weiß noch, dass ich schnell die Leiter hinaufgestiegen bin und oben den später von allen Medien zitierten Satz gesagt habe: ‚Da ist jemand.‘“
Ob dieser Jemand der berühmte Vlad der Pfähler, alias Graf Dracula ist? Während der Bürgermeister das Geschäft seines Lebens und die Presse die heißeste Story des Jahres wittert, stellt die Künstlerin Nachforschungen an. Sie findet heraus, dass der Tote ihre Jugendliebschaft ist. Es folgt eine Art Transformation der Ich-Erzählerin in einen Vampir.
Manchmal ist es nicht leicht, der Geschichte zu folgen, denn die Reihenfolge der Geschehnisse ist nicht klar. Einen Abbruch schafft die Autorin durch mehrere Kapitel, die sie der Geschichte von Vlad Țepeș widmet, den sie als Helden und Retter des Abendlandes, ja sogar als einen Reformer des Landes und nicht als grausamen, blutrünstigen Fürsten darstellt. Nichtsdestotrotz wird im Roman das anatomische Vorgehen einer Pfählung, mit all seinen biologisch abstoßenden Auswirkungen, mehrfach beschrieben.
Die erste Hälfte des Romans liest sich wie ein Gesellschaftsroman Rumäniens nach der Wende, mit einigen Andeutungen auf Legenden und Traditionen mystischer Art. Die Dynamik der Erzählung gewinnt richtig Schwung nach der Entdeckung der Leiche. Das Ende verbirgt eine moralische Tat in der Art der Superhelden.
Dana Grigorcea, die selbst in Bukarest geboren wurde (1979) und nun in der Schweiz ihre Heimat gefunden hat, schrieb mit „Die nicht sterben“ einen Roman, der in keine bekannte Schublade passt. Man fragt sich bei dieser Geschichte vor allem: Was ist Traum, was Wirklichkeit, was Fantasie? Der Schreibstil ist dabei sehr intensiv, facettenreich und symbolträchtig. Anstelle einer typischen Vampirstory bekommt man zeitgenössische Blutsauger serviert. Gut und Böse verschwimmen.
Cynthia PINTER