100 Jahre seit der Gründung der Bläserkapelle der Brukenthalschule
Ausgabe Nr. 2718
„Musik wird oft als störend empfunden, weil stets sie mit Geräusch verbunden…“ so reimte einst Wilhelm Busch. Ein Enthusiast würde empört antworten: „Da hast du aber nie die Blasia gehört…“ Nun ja, wir waren nicht gerade die Berliner Philharmoniker, doch in der Begeisterung der Musikausübung standen wir ihnen wohl kaum nach. Mit wie viel Enthusiasmus sind wir durch die Stadt gezogen, mit klingendem Spiel, Tra-ra und blitzenden Instrumenten, keck aufgesetzten Studentenmützen, verfolgt von hübschen Mädchenaugen. Dieses Bild dürfte sich vielen Generationen von Spielern eingeprägt haben, denn die Blasia gehörte über Jahrzehnte zum traditionellen und beliebten Stadtbild der Hermannstädter Musikszene.
Entstanden ist diese Bläserkapelle der Brukenthalschule 1921, also vor genau 100 Jahren. Hans Scheerer, eines der Gründungsmitglieder und späterer Professor der Theologie, berichtet: „Eines Tages brachte einer meiner Freunde aus irgendeiner Adjuvantenstube einer Landgemeinde ein zerbeultes Blasinstrument mit. Mit Pech und Gummistreifen und sonstigen Mittelchen…wurde es funktionstüchtig gemacht“ (H. Seiwerth: Zur Musikpflege an der ältesten Hermannstädter Schule, 1985). Es ist die Geburtsstunde der Blasia, denn Schüler des Diasporaheims, dem Internat der ev. Landeskirche, gründen nun die „Diakapelle“, aus der ein Jahr später 1922 die „Coetuskapelle“ hervorgehen wird (wie übrigens ein weiteres Glanzlicht der Schule, der durch Franz Xaver Dressler gleichzeitig gegründete Brukenthalchor). War es nun Direktor Wilhelm Schiller (genannt Schiller-Tati), der sich als Förderer der neuen Formation zeigte, oder waren es die Blasisten selber, oder gar die begeisterten Zuhörer die den neuen Namen „Blasia“ fanden, wer weiß, jedenfalls der Name Blasia war nicht mehr aus der Welt zu schaffen und blieb ein Markenzeichen für viele Generationen. Das evangelische Gymnasium, das gerade in „Brukenthalschule“ umbenannt worden war, stellt nun einen Proberaum zur Verfügung. Dem Mangel an Instrumenten begegnet der Coetus der Schule eigeninitiativ. Karl Gustav Reich, ein weiteres Gründungsmitglied, bekannt als Mundartdichter, schildert anlässlich der 50-Jahrfeier humoristisch dichtend die Anfangsnöte: „mir borchten do, mir borchten hä, ous Källeng, Näpenderf, Grisä / mir borchten ohnen as ze schumen, wat mir brochten allent [Instrumente] zesummen…“ Mit dem Geld aus Spenden und freiwilligem Holztragen der Schüler werden erste Instrumente angekauft, als Ausbilder wird ein Regimentstambour eingestellt. Es ist der Neppendorfer Stabsfeldwebel Michael Gärtz, ein absoluter Glücksgriff für die junge Formation. Walter Piringer, auch ein Gründungsmitglied berichtet begeistert: „…er brachte uns nicht nur soldatische Disziplin und exaktes Können bei; aus dem Archiv des früheren 1. k. u. k. Infanterieregiments holte er eine Menge herrlichsten Notenmaterials, Märsche, Potpourris, Ouvertüren, die wir mit großem Animo übten…“. Kapellmeister Gärtz wird die Geschicke der Blasia mit hohen Ansprüchen an die Bläser über viele Jahre leiten (1922-1948 und 1966-1970). Erwin Kasper, der auch zu den ersten Jahrgängen der Blasia gehört, und später als Kassenamtsdirektor am Landeskonsistorium wirkte, schildert den Dirigenten liebevoll: „…Er war ein begnadeter Lehrmeister, der nicht ruhte, bis die Noten so gespielt wurden, wie geschrieben: punktiert, gebunden, staccato oder legato…wie konnte er die Augen verdrehen, wenn er eine liebliche Stelle vorsang …und wie schlug er mit dem Mundstück auf die Bank, um das richtige Tempo anzuzeigen…das es-ta, es-ta ist uns allen noch in den Ohren…wir haben ihn geschätzt, geehrt, geliebt…“
Im Coetus-Habit – weiße Hose mit Flaus und Studentenmütze – kann die Kapelle beim Maifest 1923 zum ersten Mal mit dem „Oberst Hettinger-Marsch“ ausrücken. …Der Jubel der Bevölkerung war unbeschreiblich…erinnert sich Piringer weiter. Der Auftritt der Blasia bei Maifesten, bei Schauturnen, auf dem Eislaufplatz, bei Ständchen für Professoren und den Angebeteten, oder bei den üblichen „Jahreskonzerten“ wird zur beliebten Tradition in Hermannstadt werden. Dabei hatte sich die Kapelle stets mit den rivalisierenden Seminaristen – nicht nur um die Gunst des Mädchenlyzeums – zu messen, die freilich den Vorteil hatten, als Internatsschüler mit ländlicher Adjuvantentradition, viel intensiver musizieren zu können. Bereits mit der ersten „Blasiareise“ 1929 – auf holprigen Lastautos quer durch Siebenbürgen (Erwin Kasper) – wird die Kapelle in vielen Gemeinden und Städten bekannt, die dem Hermannstädter Vorbild mit ähnlichen Schülerformationen nacheifern.
Die Zwischenkriegszeit war wohl die Glanzzeit deutschen Kulturlebens in Siebenbürgen. Der Krieg setzte auch der Blasia ein vorläufiges Ende. 1944 muss die Tätigkeit eingestellt werden, aber bereits 1946 gibt es einen Neuanfang. Wieder waren es Schüler – die damaligen Gymnasiasten Helmut Ernst und Richard Schuller – die die Blasia zu neuem Leben erweckten. Ernst erinnert sich: ,,…bereits im April 1946 kam mir der Gedanke, gemeinsam mit Richard Schuller die Blasia wieder ins Leben zu rufen, ein unmöglich erscheinendes Werk, waren damals doch von der alten Blasia nur noch die große Trommel nebst einer Klarinette übrig…“.
Aber dieser Wiederbelebungsversuch wird durch die Schulreform 1948 brutal abgebrochen. Das einst evangelische Gymnasium wird verstaatlicht und deutsche Kulturtraditionen in Frage gestellt. Ausgelagert in die „Şcoala normală Andrei Şaguna“ der Waisenhausgasse ersteht das Lyzeum erneut als „Mittelschule für Knaben Nr. 4“ mit deutscher Unterrichtssprache. Hier ereignet sich 1954 die zweite Neubelebung der Blasia. Wiederum ist es Richard Schuller, nunmehr junger Biologie-Professor der Schule, der die Initiative ergreift. 1955 kann das Gymnasium endlich wieder in sein angestammtes Gebäude gegenüber der ev. Stadtpfarrkirche einziehen, da wo sich seit 1380 eine der traditionsreichsten Bildungsstätten der Siebenbürger Sachsen, die Brukenthalschule, befindet. „Schuki“, wie der beliebte Biologielehrer Schuller allgemein genannt wird, ein Bergfreund und Musikfan, gelingt es die Herzen seiner jungen Schützlinge wieder für die Blasmusik zu begeistern. Unter seiner Leitung (1954-1960) wird die Blasia einen zweiten Höhenflug erleben.
Mir drückte er seine geliebte Klarinette in die Hand. Sie sollte mich durch die ganze Gymnasialzeit begleiten, bis ich sie schließlich mit dem Tambourstab als „Primus musicus“ (1959-60) eintauschen durfte. Es ist das Amt, das alljährlich von den Bläsern an einen ihrer fähigsten Mitspieler als Führungsfigur und Dirigentenvertreter vergeben wird. Das Spielniveau der Kapelle stieg erheblich, als das Lehrerseminar vorübergehend geschlossen wurde und ein ganzer Jahrgang von Seminaristen – hervorragende, in der dörflichen Adjuvantentradition gebildete Bläser – der Brukenthalschule angegliedert wurde. Und als schließlich auch die Klosterschüler zu uns stießen, waren wir eine stattliche Kapelle, die sich sehen und hören lassen konnte. Die Blasia blieb über lange Jahre, neben Kammerchor, Gitarren- und Tanzgruppe, neben Schulorchester und Popgruppe „Solaris“ immer einer der attraktivsten kulturellen Brennpunkte, ein beliebtes Aushängeschild der Schule, die mittlerweile „Lyzeum Nr. 2“, dann „Lyzeum für Mathematik-Physik Nr. 1“ hieß und seit 1956 auch für Mädchen zugängig war. Auf etliche Preise bei Schüler-Landeswettbewerben (1958, 1966, 1981, 1983, 1985) konnte die Schule stolz verweisen.
Wie nachhaltig die Liebe zur Musik durch diese Schülerkapelle geweckt worden war zeigte sich 1969, als ehemalige Mitglieder der Blasia sich zur „Seniorenblasia“ zusammenfanden. Spätestens beim stürmisch gefeierten Abschiedskonzert von Altmeister Michael Gärtz (1970) im 5 Mal vollgefüllten Independenţa-Saal, wie auch beim großen Jubiläumskonzert zum 50-jähren Bestehen der Blasia (1972) zeigte sich, welcher Beliebtheit sich die beiden, auch zusammen wirkenden Formationen, die Senioren- und die Juniorenblasia, beim Hermannstädter Publikum erfreuten. Bei beliebten Klängen wie dem Blasia- oder dem Schemua- oder auch Seminaristen-Marsch, gewürzt mit gereimten Anekdoten der Blasiadichter Karl G. Reich und Georg (Suk) Kraus konnte man dem tristen Alltag im kommunistischen Rumänien für ein Weilchen entfliehen und die Seele baumeln lassen.
Auf Schuki folgten weitere engagierte Ausbilder: Augustin Popa (1960-1966), dann wieder Michael Gärtz (1966-1970), Kurt Schuller (1970), Kurt Scheiner (1970-1980), Michael Gewölb (1980-1985), Wilhelm Stirner (1985-1990) Ortwin Roth (1990-1991). Schließlich musste Dietrich Galter (1991-1994) als letzter einer langen Reihe die Aktivität der Blasia einstellen. Nach der großen Auswanderungswelle der Siebenbürger Sachsen, zeigten die nun mehrheitlich rumänischen Schüler der Brukenthalschule nur noch geringes Interesse für die einst traditionelle Blasmusik.
Was verdanken wir der Blasia?
Für manche war sie ein erstes Treppchen einer späteren Berufskarriere als Musiker, so Kurt Mild (Organist, Dirigent und Komponist), der weltweit agierende Dirigent Erich Bergel, die beiden Hochschulprofessoren Dieter und Heinz Acker, und weitere Musiker und Musiklehrer wie etwa Martin Binder, Karl Fisi, Kurt Scheiner, Misch Nikolaus, Harald Melas oder Wilhelm Stirner u.a.m.
Für viele aber bleibt die Blasiazeit ein prägendes Erlebnis, das ihnen die Liebe zur Musik tief ins Herz versenkte, eine Lebensschulung die Tugenden wie Gemeinschaftssinn, Disziplin, Verantwortung und auch Freude am eigenen Tun vermittelte.
1979 gibt es ein letztes Aufflackern des Blasiageistes. Erwin Kasper, einstiger Primus Musicus (1928) hat die Veteranen zur 70-Jahresfeier der Blasia nach Waldkraiburg eingeladen. Gut 50 Ehemalige aus vielen Jahrgängen sind gekommen, aber zu einem eigenständigen Auftritt reicht es nicht mehr. Stellvertretend konzertiert die Münchner Blaskapelle. Beim abschließenden Blasia-Jubiläumsmarsch (H. Kotschick) übernimmt Erwin Kasper den Taktstock und einige ehemalige „Blasianer“ spielen sogar mutig mit. Auch wenn den meisten alten Herren die hohe Kunst des Blasens abhanden gekommen ist, die Liebe zu ihrer Blasia und zur Musik ist ihnen geblieben sowie die Erinnerung an eine klangvolle Vergangenheit.
Heinz ACKER