Hörspiel der deutschen Abteilung des Radu Stanca-Nationaltheaters ab Mai
Ausgabe Nr. 2719
Paul Celan, Eugène Ionesco, Max L. Blecher, Rose Ausländer, Gellu Naum, Herta Müller oder Urmuz. Das sind große Namen der deutsch-rumänischen Literatur der Avantgarde. Unter dem Titel „Zwischen der Welt und den Wänden. Eine Reise durch die ROavant:garDE“ läuft das neueste Projekt der deutschen Abteilung des Radu Stanca-Nationaltheaters in Hermannstadt, das im Monat Mai online auf der Plattform www.scena-digitala.ro vorgestellt wird. Es handelt sich um ein Hörspiel mit Gedichten der deutsch-rumänischen Avantgarde, das mit visuellen Effekten des Zeichners und Videokünstlers Dan Basu und der Musik von Vlad Robas und Marin Grigore vervollständigt wird. Es ist ein audio-visuelles Erlebnis der besonderen Art, das von Florian von Hoermann, Julia Schulz und Hunor von Horváth zusammengestellt wurde.
„Wirf deine Angst/in die Luft/Bald/ist deine Zeit um/ bald/wächst der Himmel/ unter dem Gras/fallen deine Träume/ins Nirgends/ Noch/duftet die Nelke/singt die Drossel/ noch darfst du lieben/Worte verschenken/noch bist du da/ Sei was du bist/Gib was du hast“. Mit Rose Ausländers Gedicht „Noch bist du da“ beginnt die Reise durch die Avantgarde. Vorgetragen wird das Gedicht vom Schauspieler Ali Deac. Auf dem Bildschirm ist ein dunkel gezeichneter Raum mit roten Fenstern zu sehen.
Es folgen weitere Gedichte, vorgetragen von Anca Cipariu, Emöke Boldizsár, Johanna Adam, Fabiola Petri, Daniel Plier, Daniel Bucher, Ali Deac und Yannick Becker. Die Bilder wechseln, der Atmosphäre der Texte entsprechend, mal befindet sich der Zuschauer in einem vollen Bus, mal in einem Industriegebiet, im Verkehr einer Großstadt, dann in einem Wald. Rot und schwarz und dann wieder hellblau und gelb sind die meisten Zeichnungen und Animationen von Dan Basu, der es versteht, die Erzählebene visuell wiederzugeben. Es entstehen assoziative Traumwelten, die den Zuschauer durch die ganze Geschichte begleiten.
Ausschnitte aus dem Roman „Walden“ von Henry David Thoreau dienen als Rahmen der Handlung innerhalb des Hörstückes. In „Walden“ beschreibt Thoreau seinen Weg zurück zur Natur. Der 28-jährige Thoreau machte ein Experiment und zog sich 1845 in die Wälder von Massachusetts am Walden-See zurück, fern aller Zivilisation in eine Blockhütte. Zwei Jahre, zwei Monate und zwei Tage lang lebte er hier und führte Tagebuch: „Ob wir aber wie Paviane oder wie Menschen leben sollen, ist nicht vollkommen sicher. Wenn wir anstatt Schwellen zu fabrizieren und Schienen bei Tag und bei Nacht zu schmieden, an unserem Leben herumhämmern, um das zu verbessern, wer wird dann Eisenbahnen bauen? Und wenn keine Eisenbahnen gebaut werden, wie wollen wir dann zur rechten Zeit in den Himmel kommen? Wenn wir aber zu Hause bleiben und nur das tun, was uns angeht: wer braucht da Eisenbahnen? Nicht wir fahren auf den Eisenbahnschienen; die Eisenbahn fährt auf uns.“
Beendet wird das Hörspiel passend mit einem Zitat aus dem Gedicht „Corona“ von Paul Celan: „Es ist Zeit, dass man weiß!/Es ist Zeit, dass der Stein sich zu blühen bequemt,/dass der Unrast ein Herz schlägt./Es ist Zeit, dass es Zeit wird./Es ist Zeit.“
Die Auswahl an Texten und Gedichten hat die Intention, verschiedene Perspektiven von Weltbetrachtung zuzulassen, eine sich ständig verändernde Welt literarisch vorzustellen. Entstanden ist ein audio-visuelles Experiment, eine Hörstück-Collage, die es schafft, den Zuschauer in ihren Bann zu ziehen und die auf jeden Fall sehenswert ist.
Cynthia PINTER