Dr. Wolfgang Wünsch hat seine zweite Doktorarbeit veröffentlicht
Ausgabe Nr. 2710
Es ist schon etwas Besonderes, auf dem Titelblatt eines Buches zwei Namen zu lesen, den einen ganz groß: Hans Küng, und den anderen fast winzig klein: Wolfgang Wünsch. Der erste ist der Name eines weltbekannten Professors der berühmten Universität in Tübingen, der andere des Pfarrers einer kleinen evangelischen Dorfgemeinde in Siebenbürgen. Ein geistiger Riese der Eine, der Andere zwar nicht ein Zwerg, aber doch ein nur fern, irgendwo am weltvergessenen Rande lebender, aber selbstständig denkender, geistig sehr reger Seelenhirte.
Dr. Wolfgang Wünsch, evangelischer Pfarrer in Petersdorf/Petrești und Dechant des Mühlbacher Kirchenbezirks hat vor kurzem seine zweite Doktorarbeit unter dem Titel ,,Hans Küng in der Theologie der Religionen/Von der offenbarten dogmatischen Wahrheit zum Interreligiösen Synkretismus“ im Verlag Edition Hagia Sophia veröffentlicht.
Vor Jahren war er als Studierender aus Berlin nach Hermannstadt ans dortige Theologische Hochschulinstitut gekommen, hatte Land und Leute liebgewonnen, hier sein Studium und seine praktische Ausbildung abgeschlossen und ein Pfarramt übernommen, das er weiterhin führt. Früh schon hatte er sich auch eifrig mit orthodoxer Theologie beschäftigt und in diesem Zusammenhang eine Doktorarbeit über den rumänischen Theologen und Historiker Ioan Lupaș geschrieben, die er an der Berliner Humboldt-Universität verteidigt hat. Weitere Studien, die er neben den geistlichen und verwaltungsmäßigen Verpflichtungen, denen er gerade auch als Dechant oblag, führten dazu, dass er an der Theologischen Fakultät der Universität „1.Dezember 1918“ in Karlsburg/Alba Iulia auf deren Einladung hin eine zweite Doktor-Dissertation vorlegte. Sie trägt den Titel: „Hans Küng in der Theologie der Religionen. Von der geoffenbarten Wahrheit zum interreligiösen Synkretismus“, erschienen als über 340 Seiten umfassendes Buch in der „Edition Hagia Sophia“, Wachtendonk, Deutschland.
Es ist eine reichhaltige, gut fundierte Studie, die in das sehr umfassende Werk des Theologen Hans Küng einführt (in der Arbeit werden über sechzig seiner Bücher und Aufsätze genannt) und kritisch bewertet. Es ist bemerkenswert, dass hier ein evangelischer Doktor an einer orthodoxen Fakultät ein zweites Doktorat und zwar über einen katholischen Autor erwirbt, und zwar in einem hierzulande durchaus ökumenischen Geist. Sein Doktorvater, Prof. Dr. Ioan Emil Jurcan rühmt in einem einleitenden Vorwort, dass der Verfasser sich der besonderen Spiritualität, vornehmlich der orthodoxen Klöster, geöffnet habe. Tatsächlich nimmt er im Verlauf seiner Abhandlung über Küng des Öfteren den orthodoxen theologischen Standort ein, ohne freilich seine evangelische Identität aufzugeben.
Die Dissertation weist einen gut durchdachten Aufbau und eine geordnete Gliederung auf und ist klar, lebendig und fließend geschrieben. Ausführlich wird im ersten Teil die Biographie und die theologische Entwicklung von Hans Küng dargestellt: Von der Kindheit und Jugend in der Schweiz und seiner gründlichen philosophischen und theologischen Ausbildung in Rom, über die frühe Professur in Tübingen und seine besondere Stellung als theologischer Berater beim II. Vatikanischen Konzil bis hin zu seiner Weiterentwicklung als Reformtheologe und dem daraus folgenden Entzug seiner kirchlichen Lehrerlaubnis und erstrecht zu seinem aufsehenerregenden Weiterwirken als Anreger vieler Diskussionen.
Im zweiten Teil erörtert der Autor in gründlich dokumentierter Weise Küngs Auffassung vom Christentum und von der Kirche, wobei deutlich wird, dass Weltanschauung und Theologie in engem Zusammenhang mit dem Lebensweg stehen. Es ist eine weit ausholende geistige Welt, die sich hier auftut. Küng stellt sich den großen Herausforderungen des Glaubens durch die säkulare, kritische Philosophie, denen er mit allen Kräften vernünftigen Denkens begegnet und die aufbrechenden Widersprüche abklärt. In Anlehnung an das Konzept von Thomas S. Kuhn, das von weltanschaulichen „Paradigmen“ spricht, die sich im Verlauf der langen Geschichte der Menschheit jeweils ablösen, meint er die Zeitgebundenheit aller Anschauungen und Grundsätze, und damit auch aller Glaubensaussagen feststellen zu können. Von hier aus kommt Küng zu seinen radikal kritischen Äußerungen gegenüber seiner eigenen katholischen Kirche, zu der er zwar weiterhin als Priester gehört, die ihm aber die Lehrerlaubnis entzogen hat, da er eine Reihe ihrer fundamentalen Lehren in Frage stellt (z.B. die Unfehlbarkeit des Lehramtes, die neuen Mariendogmen, den Zölibat der Weltpriester, aber auch Grundaussagen der Konzilien).
Dem Thema der Dissertation entsprechend wird in ihrem dritten Teil die Auffassung der Weltreligionen bei Hans Küng behandelt. Von einer zur Menschwerdung gehörenden „Urreligion“ und den primitiven Stammesreligionen ausgehend, unterscheidet er drei große Religionstypen, die jeweils ihre eigene Herkunft und kulturelle Zugehörigkeit haben: Den semitischen Typus, der an bestimmte Prophetengestalten gebunden und für den ein personales Gegenüber von Gott und Mensch kennzeichnend ist (Judentum, Christentum, Islam). Der zweite Typus ist indischer Herkunft, bei dem geht es um Vereinigung und mystische Überwindung der Distanz zwischen dem Göttlichen und dem Menschen (die Religion der Upanischaden, Hinduismus und Buddhismus). Der dritte Typus aus dem fernöstlichen chinesischen Raum ist weisheitlicher Natur und steht im Zeichen des Einklangs, der auf klarer Lehre und Zustimmung zur Ordnung beruht (Konfuzianismus und Taoismus). Diese Religionen haben trotz ihrer Unterschiedlichkeit viel Gemeinsames, besonders in ethischer Hinsicht, und es kann bei ihrer Begegnung zu gegenseitiger Bereicherung kommen. Das zu entdecken, kann im Sinne von Hans Küng zu einer interreligiösen Verständigung, zur Erarbeitung eines alle Religionen einbeziehenden „Weltethos“ führen. Unter anderem auch dieses zu erarbeiten dient ein Ökumenisches Forschungsinstitut an der Universität in Tübingen und eine besondere Stiftung.
Das ist nach der Meinung des Verfassers zwar ein positives und begrüßenswertes Anliegen. Jedoch mündet es letztlich, und das wird im Schlussteil seiner Arbeit gezeigt, im Herausfinden eines Minimalkonsenses der Religionen, in dem das Eigentliche und Wesentliche des Glaubens, die geoffenbarte und unmittelbare Wahrheit relativiert wird. Das Religiöse wird aufs Ethische reduziert und damit entkernt und verfälscht. Das führt schließlich zu einer verwirrenden Vermischung und zu fragwürdigem Synkretismus. Darin wird die Mitte des Glaubens, die Gewissheit unserer schlechthinnigen Zugehörigkeit zu Gott an den Rand, ins Ethisch-Moralische verschoben. Es werden die Folgen dieser Zugehörigkeit zum Ausgangspunkt, das Zweite zum Ersten gemacht. Es wird Unvereinbares vermischt. Ein solcher Synkretismus mündet in der Verfälschung wahrer Religion und trägt kaum zur Bewältigung der Probleme der heutigen Welt bei. Sowohl von orthodoxer als auch von evangelischer Seite müssen Küngs große Entwürfe daher kritisch hinterfragt werden.
Die Anlage und Durchführung dieser Arbeit zeugt nicht nur von solidem Wissen, ausgiebigem Forschen und eigenständigem, freimütigen Urteilen, sie ist auch ein erheblicher Beitrag zur geistigen Zeitgeschichte im Ringen um die umstrittene Wahrheit des Glaubens und verdient somit uneingeschränkte Anerkennung. Der Name Dr. Wolfgang Wünsch könnte ruhig in größerem oder ganz großem Format in Erscheinung treten.
Hermann PITTERS