Online-Lesung mit Thomas Perle in der Münchner Stadtbibliothek
Ausgabe Nr. 2703

Thomas Perle gewann u. a. den Retzhofer Dramapreis 2019. Wie das Drama Forum uniT in Graz mitteilt, wurde er für sein Stück ,,karpatenflecken“ ausgezeichnet. Der Preis ist mit 5.000 Euro dotiert und verbunden mit einer Uraufführung am Wiener Burgtheater. Foto: Nikola MILATOVIC
In der Münchner Stadtbibliothek hat am vergangenen Dienstag, den 8. Dezember d. J., eine Online-Lesung mit Thomas Perle stattgefunden. Im Rahmen des EU-Kulturprogramms war die Lesung Teil der bundesweiten Veranstaltungsreihe „Shared Heritage – Gemeinsames Erbe“. Der rumäniendeutsche Autor gab Texte aus seinem Sammelband „wir gingen weil alle gingen.“ zum besten.
Zudem präsentierte er einen bisher unveröffentlichten Text aus seiner Zeit als Katzendorfer Dorfschreiber.
Schnell sprach die Moderatorin, Enikő Dacz, das Thema Identität an. Zieht sie sich doch wie ein roter Faden durch Perles Arbeit. Nicht nur seine eigene Identität, sondern auch die anderer Kulturen, anderer Ethnien, anderer Menschen.
Thomas Perle wurde 1987 in Oberwischau/Vişeu de Sus geboren. 1991 wanderte er gemeinsam mit seiner Familie in die Bundesrepublik Deutschland aus. Nach seinem Volontariat am Staatstheater Nürnberg studierte er Theater-, Film und Medienwissenschaften an der Universität Wien.
„Ich habe mich immer gefragt: Wo gehöre ich hin?“ Man steckt Menschen ja gerne in Schubladen; so galt Perle in Deutschland stets als Rumäne und in Rumänien als Deutscher. Dreisprachig aufgewachsen, mit Verwandten und Bekannten in Maramureș und in Bayern, zwischen zwei Welten. Da habe er sich schließlich selbst in die Schublade des Rumäniendeutschen gesteckt.
Bekanntheit erlangte Perle mit seinem Kurzprosatext „wir gingen weil alle gingen.“, für den er 2013 mit dem exil-Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Der gleichnamige Sammelband mit Erzählungen erschien 2018.
„Man fühlt sich in der Zeit zurückversetzt“, kommentierte Uwe Leonhardt, während der Autor aus seinem Buch vorlas. Aus verschiedenen Erzählperspektiven betrachtet Perle in seinen prosaischen Geschichten neben aktuellen rumänischen Themen, wie der systematischen Homophobie, auch den Umbruch infolge des Zerfalls der Sowjetunion sowie Exilanten auf ihrer Suche nach der eigenen Identität.
Nach seinem Umzug nach Wien habe Perle gelernt, dass er durch „sein Aufwachsen in Nürnberg doch sehr ,,deutsch“ sei. Doch selbst im deutschsprachigen Ausland fiel das Ankommen schwer: „Wenn der österreichische Bundeskanzler seine Österreicherinnen und Österreicher anspricht, fühle ich mich nicht angesprochen, weil ich eben kein Österreicher bin. Ich habe keinen Pass. Ich lebe in dem Land, und ich freue mich, dass ich auf Bezirksebene wählen kann. Aber wenn der Bundeskanzler eine solche Ansprache hält, bin ich eben der Auslandsdeutsche, der in Wien lebt.“ Mit seinen zwei Staatsbürgerschaften sei er aber ebenso Auslandsrumäne.
Unsere Nationalität aber ist nur ein Aspekt unserer Identität, der stets genauer betrachtet werden muss. Thomas Perles neustes Theaterstück „Karpatenflecken“ beschäftigt sich mit genau dieser Frage: Woher in Europa kommen wir eigentlich? „Der immer stärker werdende Nationalismus den wir gerade in Europa erleben, da knüpfe ich in Karpatenflecken an“, sagte Perle im Interview. Das Stück sollte ein Zeichen gegen Rechtspopulismus setzen und dazu anregen, die eigene Nationalität nicht bloß am Geburtsort festzumachen.
„karpatenflecken“ erzählt „europäische Geschichte anhand einer Familiengeschichte“. Die Handlung erstreckt sich über 250 Jahre und folgt drei Frauen aus drei Generationen – von der Kolonialisierung des heutigen Maramureș-Kreises bis in die Moderne. Natürlich steckten auch Teile aus Perles eigener Familiengeschichte in „Karpatenflecken“; so stammen seine Vorfahren ebenso wie die erste Generation im Stück aus Österreich. Jedoch hat er auch Anekdoten anderer in dem Werk verarbeitet. Besonders wichtig sei es ihm gewesen, dass „alles in dem Stück auf tatsächlichen Begebenheiten basiert“. „Karpatenflecken“ hätte heuer am Wiener Burgtheater Premiere feiern sollen. Aufgrund der immer noch anhaltenden Pandemie bleibt sie bis auf weiteres verschoben.
Ebenso davon betroffen war Thomas Perles Jahr als Dorfschreiber von Katzendorf. Ein Jahr lang konnte er in das Dorf zurückkehren, in der Dichterklause residieren und Eindrücke für ein neues Werk sammeln. Nur wenige Male war es ihm möglich, den Ort zu besuchen. Einen bisher unveröffentlichten Text, zu dem Katzendorf ihn inspirierte, präsentierte er zum Abschluss der Lesung: „Hinter spitzen Siebenbürgen“ ergründet, wie sich Heimat für die Siebenbürger Sachsen anfühlt, die nicht ausgewandert sind. Gekonnt vermischt Perle in der Erzählung seine prägnante Sprache mit der Siebenbürgisch-Sächsischen Mundart und erzählt von einer alten Siebenbürger Sächsin, die zurückblieb und wie sie die Veränderungen ihrer Heimat wahrnimmt.
Wer sich die Lesung gerne anschauen bzw. anhören möchte findet eine Aufzeichnung unter: https://www.youtube.com/watch?v=2lnvA3y5TPs
Tobias LEISER