Schwer aber sinnvoll

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Ein Wort aus Michelsberg zum 2. Advent

Ausgabe Nr. 2701

Der Adventskranz vom vergangenen Jahr, als im Spiegelsaal des Forums eine Adventsfeier stattfand. Foto: Beatrice UNGAR

Jesus erzählte ein Gleichnis: ,,Seht euch den Feigenbaum an. Sobald ihr seht, dass er Blätter treibt, wisst ihr, dass der Sommer da ist. Genauso sollt ihr erkennen – wenn das alles geschieht – dass das Reich Gottes nahe ist!“ (Lukas 21, 29-31)

Wie leicht!

Eins plus eins ist die einfachste Rechenaufgabe des menschlichen Denkens. Und doch ist es nicht leicht „Eins und eins zusammenzuzählen“. Dort, wo es eine reine arithmetische  Aufgabe bleibt, da sind wir lächelnde Meister, die damit Kindergartenkinder foppen wollen. Dort, wo es allerdings mit unsrer Existenz verknüpft ist, stolpern wir und sind wie mit Blindheit geschlagen. Sonntag ist der Nikolaustag: Irgendwann werden die Kleinen „Eins und eins zusammenzählen“ und sagen: Papa Du bist der Nikolaus! Du legst doch die Schokolade in die Schuhe!“ Halb stolz ob deren Altklugheit, halb traurig, dass die Mythen der Kindheit sich auflösen, bekennen wir uns zu der Täterschaft.  Wir akzeptieren, dass sie jetzt eins und eins zusammenzählen können. Es war ja eigentlich schon an der Zeit.

Wie schwer!

Aber können wir Erwachsenen das denn? Haben wir nicht den Sommer gelebt, als ob der dumme Virus schon längst aus und am Ende sei? Dabei waren die Zeichen klar, dass er noch sehr lebendig ist und der nächste Winter kam gewiss. Gehen wir nicht mit der Umwelt um, als ob sie noch ganz frisch und ungestört sei? Obwohl die Zeichen klar sind, dass es eigentlich so nicht weiter geht. Wir sagen „eigentlich“ und schieben diese Gedanken zurück in die Pandorabüchse der unliebsamen Tatsachen. Wir können seit eh und je eins und eins zusammenzählen, aber wir wollen es nicht. Das Leben jetzt, im Moment, funktioniert gerade akzeptabel. Warum dann etwas daran verändern? Wir wollen es nicht wahrhaben, dass diese Welt so nicht weiter funktionieren kann. Wir wollen es nicht wahrhaben, dass wir selber etwas an uns verändern müssen und lassen den anderen Menschen – 7.830.772.352  – den Vortritt.

Wie sinnvoll!

Der zweite Advent ist in der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien sinnigerweise auch der landeskirchliche Bußtag. Er ruft seit Ende des Ersten Weltkriegs dazu auf, die Worte der Schrift auch für das eigene Leben ernst zu nehmen. Er weiß auch davon,  dass wir regelmäßig erst im Nachhinein festgestellt haben, dass wir eigentlich eins plus eins zusammen gezählt haben sollten. Unsere Großeltern hätten auch in der völkischen Zeit eins und eins zusammenzählen können, wenn sie es denn gewollt hätten. Unsere Eltern hätten auch bei der großen Auswanderung eins und eins zusammenzählen können. Und wir könnten es heute. Aber eben alles im Konjunktiv. Die direkten und verschlüsselten Aufforderungen des Messias, endlich ernst zu machen mit der Gottes- und Nächstenliebe, motivieren uns zwar, Feste zu gestalten, aber weniger dazu, unsere Lebensweise zu verändern. Also, eine Sackgasse? Eindeutig! Wenn es nach uns ginge, auf alle Fälle. Aber als Unterton des Bußtages schwingt immer auch Lukas 18,27 mit: „Jesus sprach: Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich!“ Darauf bauen wir.

Dr. Stefan COSOROABĂ,

Michelsberg/München

 

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Kirche.