Sieglinde Bottesch in der Galerie des Theaters
Ausgabe Nr. 2700
Zum Beispiel der Busen. Natürlich heißt das Werk nicht so; das wäre ja genauso plump, als stellte es tatsächlich einen Busen dar. Nein, ,,Rendezvous“, das sind schlicht zwei Halbkugeln, die von der Wand in den Raum ragen, milchweiß schimmernde Zwillingskörper mit sanft gegeneinander verschobenen mattgrauen Kappen, und dort, wo ihre Rundungen zueinanderstreben, büscheln kleine Hanfschnurstücke kitzelig aus dem Rund. Abstrakt und gegenständlich zugleich, ernst und komisch, und wie alle Arbeiten Sieglinde Botteschs wundersam sinnlich ist das Werk, das entstand, wie ebenfalls alle ihre Werke entstehen.
Ohne Skizze, ohne Vorentwurf, rein mit Händen, Material (Gips) und jeder Menge Fantasie. Ausschließlich intuitiv vollzieht sich der Schaffensprozess der Künstlerin, und vielleicht ist es darum, dass ihre Zeichnungen und Objekte so intuitiv begriffen und genossen werden können.
Ja, sie ist ein Genuss, diese Schau in der Theatergalerie, die als städtische Hommage an Botteschs 80. Geburtstag beinah zwei Jahre zu spät kommt und doch, sagt die Künstlerin, als eine Art Retrospektive gesehen werden kann. Indes: Es sind überwiegend neue Arbeiten, die Bottesch zeigt, die meisten aus den letzten fünf Jahren, eine gute Anzahl gar aus diesem Jahr. Wie die Zeichnungen ,,Insekt“ und ,,Interaktion“: Zartester Tuschestrich, traumwandlerisch aufgesetzt und gefühlsgeführt, gebiert fragile Form, lichtes Gelb, blaues Grün akzentuieren hell und froh. Das ist neu; selten kommt überhaupt Farbe bei Botteschs Papierarbeiten zum Einsatz. Nur manchmal tupft sich ein wenig Blau in die Mitte einer ,,Frucht“ und ordnet mit seiner Existenz die abstrakten Linien zum Motiv einer sich öffnenden Vulva. Aber natürlich ist auch das nicht Gegenstand, allenfalls Assoziation, und womöglich nicht einmal die der Künstlerin selbst.
Die, geboren im siebenbürgischen Hermannstadt, ist geprägt von einer Kindheit, deren ersten Jahre sie in selbstverständlicher, bäuerlich geprägter Natur verbrachte, von Eindrücken aus Wiesen, Gärten, Märkten, von Früchten und Pflanzen, von Werden und Vergehen. Nicht zufällig steht dem Katalog zur Ausstellung, die ebenfalls nicht zufällig ,,Erd-Reich“ heißt, eine Erinnerung Botteschs voran: die an sich profane Reminiszenz an einen verletzten Kinderfingernagel und dessen Bluterguss. Wie der Schmerz als Pflaumenblau Farbe bekannte, sich danach zu Moosgrün und Lichtgelb wandelte – diese Tage dauernde ,,spektakuläre Verwandlung“ sollte sich als Trigger für die Fantasie und als Schlüsselerlebnis für die Kunst erweisen.
Denn das Organische und sein Wandel wurden Thema der akademischen Künstlerin Bottesch, die später als grandiose Zeichnerin meditativ Pflanzen und Früchte in ihrem Vergehen porträtierte und irgendwann auch mit den Mitteln des Objekts das Leben in den Fokus nahm. Kern und Eizelle, Frucht und Fleisch, Samen und Zitzen zitieren die meist aus Gips geschaffenen Objekte, tief und spielerisch zugleich. Sei es, dass wie bei ,,Artemis“ zwei Reihen praller kleiner Brüste rechts und links eines Wachszopfs baumeln, dass sich ein feucht schimmerndes ,,Wesen“ aus der es noch umgebenden Hülle zu schieben scheint (polierter Gips mit aufgefaserter Gipsbinde) oder mysteriöse papierne Hüllen wie Überbleibsel grad geschehener Häutungen in einem Kokon aus Sisalfaser fast verschwinden: Es geht um Wachstum, Wandel, Fruchtbarkeit, Befruchtung, es geht um Leben und um Tod. ,,Ich möchte im Kleinen das Große zeigen“, sagt Sieglinde Bottesch. In dieser Ausstellung, die sehr hell, sehr still, sehr atmend ist und in der sich eine konzentrierte Künstlerin noch einmal konzentrierter zeigt, ist ihr das gelungen.
Karin DERSTROFF
(Erschienen im Donaukurier Ingolstadt, Nr. 242, 17./18. Oktober 2020)