Theaterstücke von Friedrich Schuller im Ludwigsburger Pop-Verlag erschienen
Ausgabe Nr. 2694
Egal was andere in die Securitate-Akte „Otto Stein“ hineininterpretieren mögen, Frieder Schuller hält zu seinem Freund und Kollegen Oskar „Ossi“ Pastior. Nach Pastiors Tod, am 4. Oktober 2006, kamen im Jahre 2010 Vorwürfe auf, der Dichter hätte in den 60er Jahren unter dem Decknamen „Otto Stein“ für den damaligen rumänischen Geheimdienst gearbeitet und seine eigenen Freunde ausspioniert. Die Literaturwelt begann, den Poeten zu kritisieren und selbst sein künstlerisches Erbe in Frage zu stellen. Schuller wagte eine etwas andere Annäherung an Pastiors Geheimdienstvergangenheit. Das daraus entstandene Theaterstück ,,Ossis Stein oder Der werfe das erste Buch“ sowie das Stück ,,Tanz mit der Stille“ sind vor kurzem in einem Band erschienen.
Das Stück „Ossis Stein oder Der werfe das erste Buch“ feierte 2012 seine Premiere auf der Bühne des Radu-Stanca-Nationaltheaters in Hermannstadt. In diesem Jahr erschien das Drehbuch gemeinsam mit dem Stück „Tanz mit der Stille“ in Buchform.
„Ossis Stein“ beginnt mit einer Verballhornung des rumänischen Volksgedichts „Mioriţa/Das Lämmchen“, an dessen Ende Ossi von dem Securitate-Genossen Dan und seinem Handlanger Paul zusammengeschlagen wird. Dann erst beginnt die eigentliche Handlung.
Paul ist dabei, Ossis Gedenktafel an dessen Haus zu entfernen. Er diskutiert mit dem Flittchen Poesie Silvia über die Securitate-Vergangenheit des Poeten, während Ossi – es scheint, als spreche er aus dem Jenseits – versucht, sich und sein Handeln zu verteidigen. Gemeinsam mit Silvia erinnert sich Ossi an seine Zeit im Arbeitslager, an seine ersten Gedichte und die erste Liebe.
Zurück in der Heimat tritt der Genosse Dan an ihn heran und fordert patriotische Gedichte für die Propagandamaschinerie im „Neuen Weg“. Doch dabei soll es nicht bleiben; schon bald wird er zum Rundfunkreporter „befördert“ und damit beauftragt, seinen Teil zur sozialistischen Aufbauarbeit zu leisten. Der Genosse merkt noch an, das Tongerät könne „auch nebenbei Gesagtes gut vertragen“. Ossi versucht zu verweigern und droht, er ließe die Tonbänder verstauben, doch Dan macht ihm klar, dass selbst die Putzfrauen ein Auge auf ihn hätten. Immer wieder macht der Genosse Anspielungen auf Ossis homosexuelle Orientierung, und es wird klar: Er hat gar keine andere Wahl, als klein beizugeben.
Ossi wird also Reporter und wird regelmäßig ins Securitate-Büro zitiert, um Bericht zu erstatten; wenn er nicht bereit ist, die Berichte zu unterschreiben, halten ihn der Genosse und sein Handlanger fest und führen den Stift in seiner Hand, während das Flittchen Poesie Silvia draußen an die Türe klopft und um ihren Poeten trauert. In den Gesprächen zwischen Ossi und Silvia wird das moralische Dilemma des Dichters, seine Verzweiflung und seine Angst deutlich. Mit Rat und Tat versucht sie, ihm beizustehen, doch am Ende wird die Poesie vor Ossis Augen vom Genossen Dan „professionell und genussvoll vergewaltigt“; der Handlanger Paul hält dem Dichter eine Zeitung vors Gesicht und macht ihn so mundtot.
Das zweite Stück, „Tanz mit der Stille“, folgt Agnes von Waldhütten und ihrem Gatten Jean. Beide sind erst vor kurzem aus Siebenbürgen ausgewandert und befinden sich nun in einer kleinen Pension in München. Jean entpuppt sich als Säufer, der Agnes, eine ehemalige Schauspielerin auf Hermannstadts Bühnen, und ihre Geschichten vermarkten will, um sich die nächste Flasche Schnaps kaufen zu können. Im Zimmer steht ein Stativ mit einem Mikrofon, angeschlossen an ein Tongerät, auf dem Agnes‘ Memoiren aufgenommen werden sollen. Der Säufer hält sie an, von Folter, Verfolgung und Vergewaltigung zu erzählen, denn das seien die Schlagzeilen, für die sich die Zeitungen interessierten; Agnes weigert sich, erinnert sich neben schönen Dingen allerdings auch an die Schattenseiten ihres Lebens wie den Verlust ihres Sohnes.
Die junge Reporterin Nicole, die einen Beitrag für das ,,Siebenbürgische Wurststudio“ über Agnes schreiben soll, besucht die beiden in der Pension, führt ein kurzes Interview, lädt sie zu einer Feier ihrer Eltern ein, bei der auch andere Aussiedler anwesend sein werden. Jean verkauft ihr ein signiertes Porträt von Agnes, nimmt das Geld und verschwindet, um Schnaps zu besorgen. Nachdem Nicole gegangen ist, versinkt Agnes in einem Monolog und kommt zu dem Schluss: „Nein, ich will nicht verraten, was nur mir gehört.“ Dann löscht sie alles Gesagte auf dem Tongerät und tanzt durch das stille Zimmer.
Beide Stücke sind in lyrischer Manier geschrieben. Die Figuren sprechen ausschließlich in Versen, meist in Reimen und erzählen so nicht nur von ihren eigenen Schicksalen, sondern vom Schicksal ganz Rumäniens: Ein Land unterdrückt und ausgebeutet – sowohl physisch als auch psychisch – erst von den russischen „Befreiern“, später von den Handlangern des Ceauşescu-Regimes; ein Volk dass sich in westlichen Ländern und in seiner Sprache verstecken und sich selbst verkaufen musste, um zu überleben.
Insbesondere das Verkaufen ihrer selbst bereitet Agnes in „Tanz mit der Stille“ große Qualen. Hinzu kommen die Bedenken, wie man in dem neuen Leben zurecht kommen könne ohne Arbeit, Geld oder Sicherheit. Agnes wird so zur Metapher für Millionen Rumänen, die ihre Heimat zwar verlassen haben, sie aber nie hinter sich lassen konnten und von einem Elend ins nächste flüchteten – reduziert auf ihre Geschichten.
„Ossis Stein“ ist nicht bloß ein lyrisch-dramatischer Kommentar, der versucht den Poeten Oskar Pastior in Schutz zu nehmen. Vielmehr will das Stück dem Leser (oder Zuschauer) vermitteln, dass nichts ist, wie es scheint – vor allem nicht in den Securitate-Akten. Das wirklich besondere an Ossis Geschichte aber ist, dass sie sich mit minimalen Änderungen in jedem Land (oder Teil eines Landes wie im Falle der DDR), das einst hinter dem Eisernen Vorhang lag, hätte zutragen können. Und denkt man beim Lesen an heutige Diktaturen, ist „Ossis Stein“ ein zeitloses Werk, das an uns appelliert, stets zu hinterfragen, statt schlichtweg zu glauben, was Regimes uns als Wahrheit verkaufen wollen.
Tobias LEISER