Gespräch mit dem langjährigen Stolzenburger Schulleiter Giusseppe Bothar
Ausgabe Nr. 2689
Der am 24. Juli 1956 in Kronstadt geborene Geschichte- und Deutschlehrer Giusseppe Bothar ist seit 36 Jahren an der Stolzenburger Allgemeinschule tätig, seit 35 Jahren als Schulleiter. Ab 1985 war er stellvertretender Schulleiter und ab 1990 voller. Die Zügel übernommen hatte er von Günther Guni. Vor kurzem hat ihn der Gemeinderat von Stolzenburg zum Ehrenbürger der Ortschaft gekürt. Im Rahmen einer Feierlichkeit im kleinen Kreise im Innenhof des Rathauses in Stolzenburg überreichte ihm Bürgermeister Ioan Șurean am 29. Juli d. J. die entsprechenden Insignien.
Im Anschluss gewährte Giusseppe Bothar der HZ-Chefredakteurin Beatrice U n g a r das nachfolgende Interview:
Gab es 1984 eine deutsche Abteilung an der Schule?
Kurz gesagt: Am 1. September 1989 waren es zehn deutsche Klassen mit 168 Schülern und am 1. September 1990 waren es nur noch fünf Schüler. Januar, Februar, März, April war diese Massenpsychose der Auswanderung.
Wie hast du das empfunden?
Sehr sehr negativ, negativ sowohl was die Schule als auch was die Leute in Stolzenburg betrifft. Es gab so dicke Freundschaften zwischen Sachsen und Rumänen, dass dadurch ein Vakuum entstanden ist, das man vielleicht nicht direkt gespürt hat, aber in den Jahren immer mehr.
Du bist auch jetzt noch sehr emotional, wenn du daran denkst.
Ja, mir hat das sehr sehr weh getan und es hat mir leid getan, dass nicht mehr Sachsen zurückgekommen sind, obwohl sie es konnten, aber wahrscheinlich aus einem Schamgefühl heraus haben die meisten das nicht getan. In Stolzenburg meine ich. Viele ältere Leute wollten zurückkommen, weil sie die zwischenmenschlichen Beziehungen vermissten. Es waren alte Leute in Stolzenburg, die sind weg mit über 70 und sie sagten, als sie auf Besuch kamen: ,,Herr Direktor, wissen Sie, ich stehe am Morgen draußen auf der Straße und ich sage ,Guten Morgen Frau oder Herr Nachbar‘ und erhalte als Antwort ‚Was geht Sie das an?’“.
Kommen wir zurück zu deinem Studium. Du hast hier in Hermannstadt Geschichte und Deutsch studiert. Warum hast du das gewählt?
Das war folgendermaßen: Ich war Speerwerfer und habe 18 Jahre lang Leistungssport betrieben. Nach dem Abitur in Zeiden wollte ich Sportlehrer werden. Als ich beim dritten Anlauf in Galatz wieder gescheitert bin, weil die Stoppuhr angeblich nicht funktionierte, habe ich beschlossen, nur noch dorthin zu gehen, wo es eine schriftliche Aufnahmeprüfung gibt. Ich habe Hermannstadt gewählt, weil mir Geschichte immer gefallen hat als Schüler und Deutsch, weil ich die Schule in deutscher Sprache besucht habe. Hinzu kommt, dass eines meiner Vorbilder der Geschichtslehrer Melchior war. Kurzum: Geschichte und Sport lagen mir am Herzen.
Das war ja dann für dich auch eine Umstellung, als du nach Hermannstadt gekommen bist.
Ja, aber ich habe mir Hermannstadt gewünscht.
Du warst ja schon während des Studiums in Stolzenburg. Erinnerst du dich noch an die Apfelernte?
1981, im zweiten Jahr, waren wir eine Gruppe von sieben Studenten von der deutschen Abteilung Geschichte-Deutsch und wir haben im Obstgarten in Stolzenburg als Ernte-
helfer antreten müssen. Wir haben immer die Norm weit überschritten, und da hat der Chef beim Ausladen gesagt: Ich bringe euch in die Halle. Es waren 30 Container in der Halle und wir waren nur sieben. Wir waren alle kräftig und wir haben von diesen großen Kisten zwei auf einmal und von den kleinen Kisten drei auf einmal genommen. Und wir haben gesagt, wenn wir sowieso bis 14 Uhr da sind, stellen wir uns an und wir bleiben bis 17 Uhr. Wir bekamen 50 Lei pro Tag und das Mittagessen. Als Leiter der Gruppe ging ich auch am Sonntag hin und erledigte die Verwaltung: wie viele Kisten wurden ausgeladen und gebracht.
Ist deine Familie in Rumänien geblieben oder ist die ausgewandert?
Meine Familie ist in Rumänien geblieben, außer meinem Onkel, der ist nach Deutschland gegangen. Wir sind dageblieben und ich bin der einzige, der das Licht ausmachen musste. Von den Gymnasialschülern, wir waren 38 Kollegen, sind 37 dort und ich bin hier. Beim Studium 28, 27 sind dort, ich bin hier. Und ich bin immer der letzte geblieben. Und die Treffen, die wir haben, begannen 1995. Die machen wir immer in Deutschland. Das ist leichter.
Was macht dir mehr Spaß das Lehren oder das Verwalten?
Diese Frage wurde mir nie gestellt. Aber jetzt nach so vielen Jahren in der Verwaltung kann ich sagen: beides. In dem Moment, wo ich Schulleiter wurde und nur noch vier Stunden pro Woche unterrichten durfte, habe ich gespürt, dass ich den direkten Kontakt mit den Schüler nicht mehr habe und das hat wehgetan. Am Montag in der ersten Stunde hatte ich immer in der fünften Klasse Unterricht gehabt. So erfuhr ich alles, was Samstag und Sonntag in Stolzenburg passiert ist: Dass ein Pferd die Treppen hinaufgestiegen ist bis in den ersten Stock und in die Bar eingedrungen war oder dass es Schlägereien gegeben hat usw. Das war wunderbar. Damit ist jetzt Schluss. Heute unterrichte ich nur noch die siebente und die achte Klasse. Aber die Verwaltung hat mir auch Spaß gemacht, weil ich von Anfang an die besten Lehrer in diesem Bereich gehabt habe. Es war eine gute Zeit.
Du leitest ja in Stolzenburg nicht nur die Schule, sondern auch den Kindergarten und die Schule und den Kindergarten in Reussen bzw. in Wassid.
Wassid funktioniert seit drei Jahren aus ökonomischen Gründen nicht mehr. Im Kindergarten sind drei Kinder und in der Schule acht Kinder. Und weil ich einen Schulbus hatte, waren die Eltern einverstanden, sie nach Reußen zu schicken.
Der Schulbus reicht mit 16 Plätzen genau für die Kinder, die ich jetzt habe. Am Morgen holt er die Kinder aus Wassid ab und fährt sie zum Kindergarten und zur Schule in Reußen. Um 12 Uhr fährt er mit den Kindern aus dem Kindergarten nach Wassid zurück und mit den Schulkindern um 14 Uhr.
Das ist ja auch eine große Verantwortung, dass die Kinder sicher ankommen.
Das hatte mir immer Sorge bereitet und ich habe die Wassider Kinder der Klassen 5-8 bedauert, die jeweils sechs Kilometer zu Fuß bis nach Reußen kommen mussten. Bei Schnee, bei Regen, aber das Gefährlichste sind die Hirtenhunde. Ich dachte immer: Gott bewahre, dass mir ein Hund ein Kind zerreißt, das wäre de Katastrophe. Aber so habe ich Ruhe. Insgesamt 325 Kinder sind es in den Kindergärten und in den Klassen eins bis acht. Aus Wassid kommen 16. In Reußen sind es 80 und der Rest in Stolzenburg.
Du unterstützt die Schüler auch bei der Berufsorientierung…
Wir waren die erste Schule im Kreis Hermannstadt, die das duale Bildungssystem auf dem Lande eingeführt hat. Wir hatten eine Partnerschaft, ein Projekt mit Marquart, ,,Asta vreau eu“ (Das will ich) hieß es, das sogar in Bukarest bekannt wurde. Wir wurden nach Bukarest ins Bildungsministerium eingeladen, um davon zu berichten. Wir hatten auch einen Film gemacht zum Thema Arbeitssicherheit mit drei Mädchen in Reußen, und die Anwesenden waren alle begeistert. Seit damals hat dann ein Landkreis nach dem anderen in den Schulen diese Methode, man kann sie auch ,,Schnuppertage“ nennen, eingeführt.
Das finde ich sehr wichtig, dass ist also auch mehr als die Schule.
Ja, die Kinder sind begeistert. Wir fragen bei verschiedenen Betrieben und Institutionen an und bisher durften die Kinder überall hin: zum Bürgermeister, zum Polizisten, in eine Zeitungsredaktion – das ist die Hermannstädter Zeitung gewesen – zur Feuerwehr. Es gab keine Probleme. Und das ist sehr gut angekommen bei den Schülern. Es waren jedes Jahr zehn Kinder in fünf Betrieben.
Du bist seit 20 Jahren Mitglied des Rotary Clubs Hermannstadt. Was bedeutet das für dich?
Für mich bedeutet es eine weitere Tätigkeit, der ich mein ganzes Leben lang nachgegangen bin. Beginnend als Schüler im Gymnasium und an der Hochschule habe ich immer soziale Arbeit gemacht. Für die Gemeinschaft, für Kollegen, für ältere Leute, für Kinder.
Wann warst du Clubpräsident?
Ich war in dem Jahr Präsident, als der Rotary Club Hermannstadt sozusagen gemeinsam mit Rumänien in die Europäische Union eingetreten ist, 2006/2007.
Wenn du jetzt bald in Rente gehst, was machst du? Was hast du für Hobbys? Speerwerfen wirst du ja wahrscheinlich nicht mehr.
Nein. Ich werde erneut beginnen zu lesen, weil ich es gelassen habe, werde mehr Zeit mit meinen beiden Enkelkindern verbringen und Landwirtschaft in kleinem Maße betreiben, in meinem kleinen Garten auf dem Lande. Ich habe 70 Obstbäume: Äpfel, Quitten, Kirschen, Sauerkirschen, Nüsse.
Vielen Dank für das Gespräch und ein gutes neues Schuljahr.