Oana Ionel und ihre „Secret Stories Of Danube River“
Ausgabe Nr. 2690

Oana Ionel (links) im Gespräch mit Ingrid Weiss. Foto: Heinz WEISS
Eigentlich sollte man das nicht tun – einem sehr alten und sehr weisen Philosophen, der den strukturierten Dialog mit seinen Schülern etwa 400 Jahre vor Christus „erfand“ zu widersprechen. Er meinte nämlich: Sieh ein Gebirge, einen Berg, ein Meer, einen Fluss – und du hast alles gesehen. Na so nicht, lieber Sokrates! Denn das trifft sicherlich nicht auf die Donau, auf unsere Donau zu. Sie ist mit 2857 km der zweitgrößte und zweitlängste Fluss Europas – nur die Wolga ist mit über 3500 km länger – und durchfließt immerhin zehn Staaten. Die Donau gehört untrennbar zur Geschichte Europas; 40 verschiedene Nationalitäten fanden und finden an der Donau ihren Lebensraum. Die Donau hat aber nicht nur eine hohe geografische und historische Bedeutung.
Obwohl von Herodot aufgrund ihrer Bewegung von Westen nach Osten als „Sonnentrotzer“ benannt, spielte und spielt sie bis dato eine immens große Rolle im Kulturgeschehen. Von der Antike bis zur Avantgarde, vom als heimliche Hymne Österreichs geltenden Donauwalzer von Johann Strauß bis zu den zurzeit in Wien aktuellen „Secret Stories Of Danube River“ (Geheime Geschichten der Donau) der rumänischen Künstlerin Oana Ionel.
Es ist das dritte und abschließende Ausstellungsprojekt in einer Trilogie, in der die promovierte Künstlerin die Symbolik des Flusses umreißt. Oana Ionel verbindet visuell eine Reihe von konzeptuellen Aspekten, wie: „die Grenze als Einladung im Gegensatz zur Abgrenzung“, „die Korrelation zwischen Wänden und Brücken“, „die kulturellen Verbindungen entlang des Flusses“, „die Vielfalt der zugrunde liegenden epistemischen Szenarien im Donauraum“. Sie definiert die Grenzen entlang des Flusses als durchlässig, abstrakt und metamorphisch. Denn nur auf diese Art kann sich der Donauraum zum Gemeinschaftsraum, in dem mehr als 20 Sprachen gesprochen werden, entwickeln. Die Bukaresterin Ionel hat eine höchst relevante Antwort parat auf die von ihr thematisierte Realität des politischen Mauer-Bauens und des geringen Willens Brücken zu schlagen: kulturelle Vielfalt kann in ihrer Koexistenz nur durch Wertschätzung, Empathie und Respekt optimiert werden.
„Letztlich erinnert uns die Donau mit ihrer Geschichte und ihren Geschichten daran, dass wir das Leben und die Freiheiten etwas zu gestalten wieder schätzen lernen.“
Oana Ionel vermittelt dem Betrachter Kunst, die uns alle angeht. Es werden zeitlose Werte transportiert mit spannenden Aspekten. Die bedingungslose Verbundenheit zu dem Fluss berührt die Seele des Betrachters. Der Kontrast der starken Farben – vorrangig blau, grün und gold – entfaltet eine dritte Dimension, deren Faszination man sich nicht entziehen kann und will! Der Kunstinteressierte stürzt sich förmlich in den Strudel des Flusses, ausgelöst durch die Vielfalt und Dynamik der Farben und Formen. Trotzdem hütet jedes Bild sein Geheimnis, das wiederum Spannung erzeugt. Der kraftvolle Pinselstrich, den Oana Ionel bewusst in ihren abstrakten Kompositionen setzt, macht ihre Energie und Kompromisslosigkeit deutlich. Sie steht zu ihren Werten, zu Freiheit, aber auch zu einem bindenden Miteinander. Für die ebenso studierte Psychologin Ionel stellt sich die Donau als Lebewesen mit Charakter dar. Somit gilt es, die Charaktereigenschaften zu analysieren und folglich auch zu präsentieren. Und, Ionel gehört mit ihren 36 Jahren zu einer Künstlergeneration, die im Ausland gelebt hat. Eine Künstlergeneration, die bereits erfahren durfte, wie die Welt sein könnte und sollte. Eine Künstlergeneration, die sich und ihr Schaffen nicht verbiegt. Der Europäer Erhard Busek, ehemaliger österreichischer Vizekanzler sieht Kunst als Teil einer schöpferischen Gabe, die Menschen erhalten haben und die von entscheidender Bedeutung ist, um die Gestaltung unseres Planeten weiterzuführen.
Vom 9. September bis 30. Oktober d. J. präsentiert die im 19. Wiener Gemeindebezirk ansässige, private Galerie „ART 9TEEN“ Gemälde, Zeichnungen und Videos der Künstlerin.
Anlässlich der Vernissage ist Oana Ionel anwesend und ich habe die Freude, sie somit auch ein wenig persönlich kennenzulernen. Fasziniert von den in meinen Lieblingsfarben gestalteten Ausstellungsstücken erlaube ich mir nach dem offiziellen Teil der Eröffnung die Künstlerin nach ihrem persönlichen Favoriten unter diesen Bildern zu fragen. Nach einem kurzen Zögern gesteht sie mir leise, dass sie im Grunde jedes wie ein Kind liebe. Doch eine spezielle Bindung habe sie zu „Reshaping The Past“ (2019), denn dies erinnere sie an ihre Kindheit: die Zeit, als sie als kleines Mädchen im Sommer schon sehnsüchtig wartete, dass sich aus dem blühenden Löwenzahn eine Pusteblume entwickelte. Die kleine Oana schickte tagtäglich all die Samenschirmchen mit vielen Herzenswünschen in die Welt hinaus und ließ dabei ihrer Fantasie freien Lauf.
Seien wir ehrlich: Wer greift sich nicht auch noch heute eine Pusteblume und lässt voll Wonne hunderte Sterne entschweben? Das Lieblingswerk von Oana Ionel motiviert und spornt uns an, die Vergangenheit auf ganz persönliche Weise neu zu gestalten, dabei aber nicht zu vergessen, die Zukunft in der Gegenwart bewusst zu machen und zu leben.
Ingrid WEISS