Fahrradtour zu den Wandbildern des 6. Hermannstädter Streetart-Festivals
Ausgabe Nr. 2686
Vom 10. bis 16. August hat das sechste Sibiu International Street ART Festival (SISAF) stattgefunden. 14 Einzelkünstler und Kollektive machten sich daran, Hermannstadts Wände mit moderner Straßenkunst zu beleben. Trotz der Covid-19 Pandemie konnte das Festival neben Künstlern aus ganz Rumänien auch Gäste aus der Ukraine sowie Spanien empfangen. Im Verlauf der Woche entstanden 17 neue Straßenkunstwerke, die am vergangenen Sonntag während einer Fahrradtour durch die Stadt eingeweiht wurden.
Am Sonntagmittag versammelten sich rund 35 Personen samt Fahrrädern vor dem wohl bekanntesten Straßenkunstwerk Hermannstadts „Ziarul Orizontal“, der horizontalen Zeitung an der Wand neben dem Radu Stanca-Nationaltheater. Die Touristenführerin Claudia Popelca begrüßte die Teilnehmer und erinnerte noch einmal an die Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln, bevor die Führung entlang zehn der neuen Wandgemälde begann. Dann konnten sich die Teilnehmer die Arbeiten der Künstler erklären lassen und sie gemeinsam diskutieren.
„Den ,Ziarul Orizontal‘ gibt es schon seit 2010,“ erzählte Popelca. „Die Idee für das 25 Meter lange Fresko stammt von Dan Perjovschi.“ Die übergroße Wandzeitung mit weißer Schrift auf schwarzem Grund wird mehrmals im Jahr in Zusammenarbeit mit verschiedenen Künstlern mit neuen Schriftzügen und Zeichnungen angereichert. Perjovschi selbst bezeichnet es als „ein komplexes Fresko, das auch die Bewohner von Hermannstadt und Zehntausende von Touristen aus aller Welt“ durch die aktuellen Themen aus globaler sowie lokaler Kultur- und Sozialpolitik anspreche. In diesem Jahr steht die Wand-Zeitung ganz im Zeichen der Pandemie und der ethnischen Minderheitsbewegungen wie der amerikanischen Black Lives Matter-Bewegung.
Angeführt von einem Kleinwagen des Festivals und der Führerin Popelca machte sich die Kolonne auf den Weg über den Stadtteil Vasile Aaron zum Hippodrom-Viertel, um die Wandgemälde zu bewundern. An der Fassade des Raiffeisen-Bank-Gebäudes am Aurel Vlaicu-Platz prangt seit diesem Jahr das größte Straßenkunstwerk Rumäniens. Popelca erklärte: „Das Graffiti trägt den Namen ,Gemeinschaft‘ und ist insgesamt 525 Quadratmeter groß. Es ist allerdings noch nicht fertig.“ Das vierköpfige Künstlerkollektiv „Sweet Damage“ (süße Beschädigung) aus Bukarest bereitete gerade die Arbeitsbühne vor, um weiter an dem 25 Meter hohen Wandbild zu arbeiten. „Es ist ein Gruppenporträt, das aus den Gesichtern von Menschen besteht, die in verschiedenen Farben und Stilen gemalt sind und die Idee der Einheit in der Vielfalt unterstützen.“
Zurück im Zentrum wurde am Astra-Park eine kurze Pause eingelegt. Gleich um die Ecke, in der Mühlgasse Nr. 9, wartete das nächste Werk darauf, bestaunt zu werden. In der Arbeit von Lucian Sandu-Milea verschmelzen Stadt und Land, Technologie und Natur in einer riesigen Möbiusschleife – ein gewundenes Band, das nur eine Kante und eine Seite hat. Popelca beschreibt „Loop Life“ (Schleifenleben) als eine Repräsentation des Lebens „in der Stadt und im Einklang mit der Natur. Der Unterschied zwischen den beiden Lebensstilen hat sich während der Krise und der durch die Pandemie verursachten Verpflichtungen zunehmend verstärkt.“
Die Tour durch Hermannstadt ging weiter über Ştrand- und Valea Aurie- bis ins Ţiglari-Viertel. Auch am Bindersee wurde noch fleißig gesprüht. Der Künstler Homeboy LDJ aus Kronstadt war auch schon in bei den vergangenen Ausgaben des SISAF dabei. Er arbeitete gerade an der Fassade eines kleinen Flachbaus, nahm sich aber einige Minuten Zeit, um den Teilnehmern der Fahrradtour Einblick in seine Arbeit zu geben. Sein Werk trägt keinen Namen und sei „eine urbane Intervention im klassischen Graffiti-Stil an der Wand und einer Installation aus gefällten Bäumen auf dem Rasen davor.“
Das Team des SISAF hat es sich zur Aufgabe gemacht, die kahlen Fassaden von Wohnhäusern und Schulen farbig zu beleben; insgesamt 96 Straßenkunstwerke auf 9.700 Quadratmetern zieren mittlerweile die Wände Hermannstadts. Von den diesjährigen 17 Arbeiten sind allerdings nur zwölf permanente Wandbilder. Wer also vorhaben sollte, alle zu besichtigen, sollte sich beeilen. Unter www.streetartfestival.ro/street-art-tour.php kann man alle Werke, die seit der ersten Ausgabe des SISAF vor sechs Jahren entstanden sind, auf einer interaktiven Karte begutachten. Auch physische Führungen entlang der Wandbilder können auf der Internetseite gebucht werden. Um alle an einem Tag sehen zu können, sollte man allerdings genügend Zeit einplanen – die Fahrradtour dauert etwa fünf Stunden.
Tobias LEISER