,,Dieses Konzert hat mich umgehauen“

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Streiflichter vom diesjährigen Hermannstädter Jazzfestival auf dem Großen Ring

Ausgabe Nr. 2687

Die im Jahre 2006 von dem Tenor Zoltán András gegründete Formation ,,Jazzapella“ begeisterte alle echten Jazzfans (v. l. n. r.): Alexandru Grăjdeanu (Bass), Oleg Lașcu (Kontrabass), Adina Răducan (Sopran), Zoltán András, Marta Popovici (Alt), Andrada Crețu (Sopran), Teo Manciulea (Tenor).            Foto: Fred NUSS

Das Hermannstädter Jazzfestival lockt Jahr für Jahr Gäste und Künstler aus aller Welt nach Siebenbürgen. In den 1980-ern verhalf es Hermannstadt sogar zum Beinamen „Rumäniens Jazz-Hauptstadt“. Zur 50. Auflage konnte das Festival zwar in diesem Jahr keine internationalen Musiker empfangen, erfreute sich aber am vergangenen Wochenende trotzdem zahlreicher Besucher auf den Großen Ring. Unter Einhaltung der geltenden Hygieneauflagen war es neun rumänischen Gruppen vom 21. bis 23. August möglich, ihr Repertoire zum Besten zu geben: Klassischer Jazz, Swing und Funk trafen auf Blues, Rock und moderne elektronische Musik.

Zwei von ,,Balkanamera Jazz Q“, der von dem Schlagzeuger Corneliu Stroe (1949-2017) gegründeten Band: Liviu Mărculescu (Trompete) und Elena Gatcin (Keyboard und Gesang).                           Foto: Fred NUSS

Ursprünglich startete die Veranstaltungsreihe im Jahre 1971 unter dem Namen „Jazz-Landesfestival“ in Ploieşti, wo sie auch in den folgenden Jahren – 1972 und 1973 abgehalten wurde. Es war dem damaligen Leiter des Hermannstädter Jazzklubs, Nicolae (Nae) Ionescu, und seinem Engagement in der Musikszene zu verdanken, dass das Jazzfestival erstmals im Jahre 1974 in Hermannstadt veranstaltet werden konnte. Seitdem hat es ohne Unterbrechung hier stattgefunden, obwohl zeitweilig davon die Rede war, dass es wieder weiter wandern sollte.  Der inzwischen verstorbene Jazzkenner Mircea Rieth, der Jahr für Jahr von dem Jazzfestival berichtet hat, kommentierte diese Absicht 1976: ,,Ein Festival ist kein Wanderzirkus!“

In den ersten Jahren betraten zwar nur rumänische Künstler die Bühne, doch später erlangte das Festival zunehmend internationale Bekanntheit und war vor allem in der kommunistischen Zeit eine regelrechte Veranstaltungsinsel.

Aufgrund der Covid-19-Pandemie mussten die Jazzfans in diesem Jahr allerdings auf Musiker aus dem Ausland verzichten. Das haben die erste Hermannstädter Auflage dieses Festivals und die 50. des Festivals gemeinsam.

,,Power vibes“ nennt sich die Band, die unter der Leitung von Alexandru Atanasiu (rechts am Vibraphon) in der reformierten Kirche konzertierte.                                                                           Foto: Fred NUSS

Den Auftakt am Freitag spielte das Duo ,,ArtHitElectronic“ mit einer Mischung aus Jazzelementen und moderner elektronischer Musik. Für den Hermannstädter Pressefotografen Fred Nuss war das nichts; er bevorzugt klassischen Jazz und Swing. Sein persönlicher Höhepunkt war am Freitag die Formation ,,Jazzapella“, die in ihren Interpretationen und Eigenkompositionen Jazzimprovisationen mit A capella verflechten. „Dieses Konzert hat mich umgehauen,“ sagte Nuss begeistert. „Die sechs Sängerinnen und Sänger waren einfach toll!“ Das Projekt wurde im Jahre 2006 von dem Tenor Zoltán András ins Leben gerufen. Seitdem trat die neunköpfige Gruppe (ein Instrumentaltrio gehört inzwischen dazu) nicht nur in Rumänien auf, sondern spielte auch schon auf Festivals in Istanbul und Girona, Spanien. In diesem Jahr waren sie zum zweiten Mal beim Hermannstädter Jazzfestival zu Gast. Neben ihren eigenen Stücken spielten sie auch Interpretationen wie „We Can Work It Out“ von den Beatles und Frank Sinatras Swing-Hit „I’ve Got You Under My Skin“.

Am Samstag präsentierte eine der ältesten Blues-Bands Rumäniens ihr neuestes Album „Blue Drops“. Berti Barbera (Cajon, Mundharmonika und Gesang) und Nicu Patoi (Gitarre) spielten Eigenkompositionen sowie Klassiker von Jimmy Reed und Stevie Ray Vaughan. Virtuos spielte Barbera einige Passagen auf dem Cajon mit nur einer Hand, während die andere die Mundharmonika bediente. Die sechs Bukarester der Gruppe „FiRMA“ boten später am Abend alles, was die Herzen der Musikfans begehrten: In dem eigens für das Jazzfestival entwickelten Konzert verschmolz Alternative Rock mit Blues-, Funk- und Jazzelementen.

Das Bukarester Sextett ,,FiRMA“ mit ihrem Solosänger Daniel Rocca ließ in ihrem Commissioned Jazz-Rock Project genannten, dem 50. Jazzfestival gewidmeten Auftritt, Alternative Rock mit Blues-, Funk- und Jazzelementen verschmelzen.Foto: Fred NUSS

Als leidenschaftlicher Jazzfan war Fred Nuss seit 1974 bei jeder Ausgabe des Jazzfestivals als Zuhörer zugegen. Auch in diesem Jahr kam Nuss jeden Abend früh auf den Großen Ring, um einen Platz in der ersten Reihe zu ergattern. Das Konzert der Band ,,Balkanamera Jazz Q“ am Sonntag begann allerdings in den letzten Reihen. Der Bläser Liviu Mărculescu wanderte durch die sitzende Menge und blies in einen bucium – eine Art Alpenhorn, das von rumänischen und moldauischen Schäfern verwendet wird. „Das war eine einzigartige Erscheinung,“ sagte Nuss, „dieses Instrument im Jazz zu integrieren.“ Auch die Sängerin Elena Gatcin habe ihm sehr gefallen: „Eine fantastische Stimme, die sehr gut zum Jazz der Band passt.“

Eine besondere Überraschung bot sich dem Jazzfan beim zweiten Konzert des Abends. Die ,,Bega Blues Band“ besteht schon seit fast 40 Jahren. Das wohl bekannteste Mitglied der Gruppe dürfte der Gitarrist und Sänger Béla „Kamo“ Kamocsa sein. Berühmt wurde er unter anderem als Mitbegründer der Band ,,Phoenix“; 1982 stellte er die ,,Bega Blues Band“ zusammen, die auch nach seinem Tod im Jahre 2010 weiterhin an sein musikalisches Erbe erinnert. Nuss entdeckte bei dem Konzert am Sonntagabend aber auch andere bekannte Gesichter auf der Bühne: „Johnny Bota [an der Bassgitarre] und Toni Kühn [Klavier] habe ich schon als junge Burschen spielen sehen. Die sind schon seit den ersten Jahren des Festivals dabei.“ Nach dem Konzert plauschten sie kurz; die Musiker erinnerten sich ebenfalls an den jazzbegeisterten Hermannstädter.

Berti Barbera (rechts) und Nicu Patoi spielten Eigenkompositionen sowie Klassiker von Jimmy Reed und Stevie Ray Vaughan.Foto: Fred NUSS

Man kennt sich in der Szene – nicht nur die Musiker sich untereinander, sondern die Musiker auch ihre treuen Fans. Fred Nuss ist allerdings ein besonderer Fan: Seine Leidenschaft für den Jazz bekommt ein jeder, der ihn auf das Genre anspricht, zu spüren, und sie spiegelt sich gleichermaßen in seiner Arbeit als Fotograf wieder. Bereits seit jungen Jahren begleitet er die rumänische Jazzszene samt Gehör und Kamera.

Zur ersten Auflage des Jazzfestivals in Hermannstadt im März 1974 zeigte er in seiner allerersten Ausstellung Fotografien, die rumänische Jazzmusiker in Aktion zeigten.

Adrian Despot (rechts), der Leadsänger der Rockband ,,Vița de vie“, und sein Kollege Cezar Popescu (Gitarre), der bei diesem Auftritt zur Querflöte griff.Foto: Fred NUSS

Ein Konzert habe ihn in diesem Jahr jedoch enttäuscht, sagt Nuss und erläutert: „Viţa de Vie sind fantastische Rockmusiker, aber was sie boten, hatte nichts mit Jazz zu tun.“ Außerdem kritisierte er die extreme Lautstärke während des Konzerts. Es sei viel zu laut gewesen. „So laut, dass meiner Frau schlecht geworden ist und sie frühzeitig gehen musste.“ Dieses Problem hatte sich auch bei den Auftritten anderer Bands bemerkbar gemacht; immer wieder ließen Besucher ihre reservierten Plätze während der Konzerte leer zurück, weil es ihnen zu laut war.

Wer die Konzerte des Jazzfestivals zu Hause genießen möchte, kann den Lautstärkeregler an der heimischen Anlage etwas herunter drehen und sich die Aufnahmen unter www.face book.com/sibiujazz anschauen und anhören.

Einen Wermutstropfen müssen die Veranstalter – die Stiftung Sibiu Jazz Festival um Simona Maxim, die Nachfolgerin des an Weihnachten 2019 verstorbenen langjährigen Festivaldirektors Konstantin Hilarius Schmidt alias Constantin Stoiculescu und ihr Partner, das Studentenkulturhaus Hermannstadt – verkraften: heuer gibt es keinen Studentenwettbewerb…

Tobias LEISER

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Musik.