Neueste Theaterpremiere über staatliche Jugendheime in Rumänien
Ausgabe Nr. 2687

Szenenfoto mit Raluca Iani (links) und Iustinian Turcu. Foto: Dan ȘUȘA
„Ich erkenne das sofort. Die hier sind verloren!“ Ein Mann im weißen Kittel schwingt bedrohend seinen Schlagstock. Er heißt Mihai Petre und ist seit zehn Jahren im Jugendheim als Betreuer angestellt. Es gilt, die Neue, Mara Inescu, einzuweisen. Sie glaubt daran, den Jugendlichen helfen zu können, auf die rechte Bahn zu geraten. Im neuen Theaterstück von Alexandra Badea an der rumänischen Abteilung des Hermannstädter Radu Stanca-Nationaltheaters geht es um Gewalt, Prostitution, Korruption und die harte Realität in den rumänischen staatlichen Kinderheimen. „Maternal“ in der Regie von Radu Alexandru Nica hatte am 20., 21. und 22. August, Premiere und wurde online gesendet.
Gewalt ist die einzige Lösung, die Mihai Petre kennt. Stellt einer der Jugendlichen etwas an, so greift er nach dem Schlagstock, Reden hilft da nicht. Und, dass die minderjährige Lia für einen gewissen Zuhälter Marius auf den Strich geht, ist Mihai auch bekannt, aber dagegen etwas zu tun, hilft nicht. Er hat es schon einmal versucht, als ein Jugendlicher wegen Bullying Selbstmord begangen hat. Da hat Sârbu, der Heimleiter alles unter den Teppich gekehrt, er steckt unter derselben Decke mit Zuhälter Marius, bekommt bestimmt auch etwas zugesteckt, damit er ein Auge zudrückt, wenn Lia zu ihren Freiern abhaut. Paul will sich auch für Geld prostituieren, damit er nach Deutschland kann, um seine Mutter zu suchen. Doch er kann den sexuellen Akt mit einem Mann nicht vollziehen, also wird er vom Freier, vom Zuhälter Marius, sowie vom Mittelmann, seinem Heimkollegen Toma zusammengeschlagen. Schlussendlich erzählt er Mara Inescu das Geschehene und die neue Erzieherin greift durch. Sie schafft es, Toma in ein Erziehungszentrum zu stecken und den Zuhälter Marius vom Jugendheim fernzuhalten. Dafür bezahlt sie mit ihrem Job, den sie dadurch verliert.

Alexandra Badea
Das Theaterstück ist leider keine Fiktion, sondern dokumentiert genau, was in manchen Kinder- und Jugendheimen in Rumänien gang und gäbe ist: verlassene Kinder, die in der Obhut von gleichgültigen Betreuern auf die schiefe Bahn geraten. Alexandra Badea stellt mit ihrem Stück folgende Fragen: Was ist der Sinn, Kinder in die Welt zu setzen? Ist es eine Form von Egoismus oder Altruismus? Lohnt es sich zu leben, wenn einem Hürden in den Weg gestellt werden?
Radu Nica sagte Folgendes zum Theaterstück: „«Maternal» entstand durch das Bedürfnis, eine besorgniserregende Realität unserer Gesellschaft zu verstehen und zurecht zu biegen: Zur Zeit gibt es in Rumänien ungefähr 53.000 institutionalisierte Kinder, das entspricht der Anzahl der Bewohner einer kleinen bis mittelgroßen Stadt.(…) Der Text ist die Geschichte einer Frau, die versucht Vorurteile, kollektive Gleichgültigkeit und korrupte Verwaltungsstrukturen zu entlarven.“

Radu Alexandru Nica.Foto: Dan ȘUȘA
Das Theaterstück „Maternal“ lässt sich wie ein Film verfolgen und bietet Spannung pur von Anfang bis Ende. Unter den Schauspielern fällt Iustinian Turcu ganz besonders auf, der seine Rolle als Paul absolut genial meistert. Ali Deac spielt den erst gleichgültigen, dann aber doch hilfsbereiten Betreuer Mihai Petre. Raluca Iani schlüpft in die Rolle von Mara Inescu, Iulian Buzuloin verkörpert Toma, Ciprian Scurtea ist Maras Ehemann und Andrada Oltean ist Lia. „Maternal“ ist ein realistisches Theaterstück, das auf keinen Fall verpasst werden darf.
Cynthia PINTER