Zur Freiheit befreit

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Hans Klein veröffentlicht neuen Kommentar zum Brief des Paulus an die Galater

Ausgabe Nr. 2679

 

Der Brief des Paulus an die Galater. Übersetzt und erklärt von Hans Klein. Honterus-Verlag Hermannstadt, 2020, 215 Seiten, ISBN 978-606-008-045-9

Es ist sehr erfreulich, dass der emeritierte Theologieprofessor für Neues Testament Hans Klein schon bald nach seinem Buch, in dem er den Römerbrief ausgelegt hat, nun  im Hermannstädter Honterus Verlag eine sehr anregende  Auslegung des Galaterbriefes folgen lässt. Das über 200 Seiten umfassende Buch zeugt von tiefschürfender wissenschaftlicher Arbeit, ist aber nicht nur für Fachtheologen, sondern auch für interessierte Laien fesselnd und gut verständlich abgefasst. Der Autor lädt den Leser und die Leserin ein, sich mit ihm in die antike, hellenistische Geisteswelt der apostolischen Zeit zu versetzen, um das damalige Wort in seiner Besonderheit und praktischen Zuspitzung zu verstehen, es aber zugleich auf das eigene innere Leben anzuwenden und in diese unsere Zeit zu übertragen.

 

Das ist ein schwieriges  hermeneutisches Unterfangen, das dem Verfasser dank einer hervorragenden Methode dennoch sehr gut gelingt, da er den in seinen Ausführungen, Kapitel für Kapitel, Vers für Vers, Wort für Wort folgenden Erklärungen des vorliegenden Textes, eine Reihe von Exkursen mit Erläuterung der jeweiligen Begriffe und Sachverhalte einfügt. Das Buch enthält etwa 30 solcher Exkurse, die, zusammengesehen, fast eine gesamte Theologie des Neuen Testamentes bilden und sehr viel zum Verständnis des erklärten Brieftextes beitragen.

In seinem Vorwort betont der Verfasser, dass er sich schon seit seiner Studienzeit und auch selbst als Hochschulprofessor viele Jahre immer wieder gerade mit dem Brief des Paulus an die Galater intensiv beschäftigt hat, und dass er sich nun bemüht, „das darzustellen, was sich im Laufe der Geschichte der Forschung zum Verständnis dieses wichtigen Paulusschreibens ergeben hat“. (S. 5) In der Tat enthält das Buch eine überaus reiche, umfassende Bibliographie. Dazu gehören etwa 20 verschiedene Textausgaben und Hilfsmittel, ebensoviele herangezogene wissenschaftliche Kommentare und über 60 einschlägige Fachbücher und Aufsätze, auf die im Verlauf der Auslegung in über 300 Fußnoten Bezug genommen wird. Der Autor befindet sich also dauernd auch im gelehrten Gespräch mit Fachkollegen, lässt sich anregen und erarbeitet sich eine eigne Schau der Dinge, die er dem Leser übermittelt, ihn aber zugleich auch selber zum Verstehen und zur Urteilsbildung verhilft. Es geht dabei darum, die Aktualität eines alten Textes herauszustellen. Da muss man sich, wie der Verfasser erklärt, „langsam hineinlesen, um seiner Gedankenwelt durch sachgemäßes Verstehen gerecht zu werden“ (S. 23). Nach seiner Meinung „kann der heutige Bibelleser die Zeiten gewissermaßen überspringen und sich vom Wortlaut einzelner Texte ansprechen und ausrichten lassen“ und so zu Taten angeleitet werden, „die heute für die Gemeinschaft der Menschen lebenswichtig sind“ (S.25). Dabei ist Schriftauslegung immer zugleich ein Zeugnis des eigenen Glaubens des Interpreten. Er hört aus dem Text einen Sinn heraus, der „für sein Leben, seine Umwelt und seine Zeit“ wichtig ist (S. 26).

Der Galaterbrief des Paulus ist ein apologetisch-polemisches Schreiben, veranlasst durch Unruhen und Verunsicherungen in den galatischen Gemeinden. Gemäß verschiedener Notizen in anderen paulinischen Briefen (besonders den Korintherbriefen und dem Römerbrief) und der Apostelgeschichte handelt es sich um mehrere Gemeinden in einer Landschaft von Zentralkleinasien, die der Apostel einige Zeit nach dem sog. „Apostelkonzil“ (im Jahr 44) von Ephesus aus gegründet hatte. Auf diesem Konzil war ausdrücklich beschlossen worden, dass Heiden, die durch die Mission zu Christen werden, die jüdischen Satzungen einschließlich der Beschneidung nicht annehmen müssen. An diese Regel hatte sich Paulus in seiner Missionsarbeit in Galatien, wie überall bei den Heiden, gehalten. Doch nun waren in den galatischen Gemeinden Missionare eingedrungen, die behaupteten, zum Heilsempfang müssen die alttestamentlichen Satzungen betreffend bestimmter Feiertage und des Sabbats und besonders auch der Beschneidung unbedingt eingehalten werden. Das hat in den Gemeinden zu Verunsicherung und zu heftigen Auseinandersetzungen geführt, und dazu nimmt Paulus in apologetisch-polemischer Weise Stellung: Er verteidigt seine freie Glaubenshaltung, die er den Galatern übermittelt hatte, und er weist zugleich die Gegenmeinung der eingedrungenen Missionare entschieden zurück. Dabei bedient er sich im ersten Teil seines Briefes in Form und Wortwahl wie ein Advokat einer Art Gerichtsrede mit Beweis, Erzählung Schlussfolgerung, woran er dann im zweiten Teil eine Ermahnung und Anleitungen zum rechten und einträchtigen Leben in  der Liebe und im Frieden gibt. In all diesem liegt der Ton darauf, dass vor Gott allein der Glaube gilt. Glaube – das ist die vertrauensvolle Annahme des dem Menschen von Gott in Christus und im Geistwirken geschenkten Heiles. Dieser Glaube führt zu einem vom Geist geschenkten Leben, zu einem Dasein in der Liebe und im Dienst am Nächsten. Beschneidung und Feiertagsgebote dürfen daher  nicht zu Voraussetzungen des Heilsempfanges und auch nicht zu nötigen Zusätzen vom Glauben gemacht werden. Von solchen formalen Vorschriften ist der Glaubende frei. Überhaupt lässt sich das Heil nicht durch zusätzliche gesetzliche Leistungen und Werke verdienen. Davon sind die zu Christen gewordenen Heiden frei. Paulus vertritt in seinem Schreiben also das Hohelied christlicher Freiheit: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit“ (Gal.5,1). Das ist das Thema und die Botschaft dieses Briefes und das wird hier in allen Ausführungen und allen Schlussfolgerungen entfaltet.

Wie schon angedeutet, gliedert sich der Brief in zwei Teile. Nach einem damals üblichen Eingangsgruß mit Bezeichnung des Absenders und der Empfänger des Schreibens folgt gleich eine recht kämpferische Einleitung (Kap.1,1-10). Um dann in die ausführliche Begründung der Position des Apostels überzuleiten. Erzählend berichtet er über seine eigene Berufung (Kap.1,11-23), über die Entscheidung auf der Apostelversammlung in Jerusalem (2,1-10), über eine Kontroverse mit dem Apostel Petrus und das daraus eindeutig resultierende Beweisziel (2,11-21). Es folgt dann sehr ausführlich die eigentliche Beweisführung, die den Kern des Briefes bildet (3,1-5,12). Sehr interessant ist dabei die Argumentationsweise mit dem mehrfachen Bezug auf alttestamentliche Schriftstellen, wobei auf die entscheidende Bedeutung des  Glaubens Abrahams und auf die Relativität des Gesetzes (einschließlich der Beschneidung als Bundeszeichen) hingewiesen wird. Nun gilt es, in der von Christus geschenkten Freiheit zu bleiben (5,1-12). Aus der ausführlichen Darlegung dieses ersten Teiles des Briefes, in dem es um das eigentliche und ganz praktische Anliegen des rechten Umgangs mit bestimmten zusätzlichen kultischen Forderungen des Alten Testamentes geht, folgen im zweiten Briefteil (5.13-6,10) eine Reihe von Mahnungen und Anleitungen zum rechten Lebenswandel. Der Glaube führt zu einer neuen Gesinnung und damit zu einem entsprechenden Verhalten in Liebe, Hilfsbereitschaft und sittlicher Reinheit. Dabei werden Natur und Gnade, Fleisch und Geist einander entgegen gestellt. Der Geist allein ist es, der die rechten Früchte hervorbringt (5,16-24). Mit dem Ausblick auf das Endgericht (6,7-10) endet dieser mahnende Teil des Briefes. Es folgt dann noch ein kurzer Abschluss des gesamten Schreibens, wobei der Briefinhalt  noch einmal zusammengefasst wird und ein Friedenswunsch am Ende steht (6,11-18).

Folgt man der kundigen Auslegung, die das vorliegende Buch bietet, so wird man als Leser und Leserin zur befreienden Freude des Glaubens gerufen. Rechter Glaube verträgt keinen äußeren Zwang, auch überwindet er ängstliche Unsicherheit im Blich auf etwa zusätzliche äußere Bedingungen für die erlangte Heilgewissheit. Der Glaubende fühlt sich wie Luther zur „Freiheit eines Christenmenschen“ gerufen. Er ist, wie Kant in seiner „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ sagt, in das unendlich weite Reich Gottes auf Erden versetzt, indem er nur dem ethischen Gesetz innerer Freiheit folgt und sich von jedem äußeren „Afterdienst“ äußerer Begrenzung lossagt.

Im Verlauf der Geschichte hat es immer wieder Versuche solcher Einengung es freien Glaubens gegeben. Bei uns in Siebenbürgen gab es im Anschluss an die antitrinitarisch-unitarische Bewegung in zahlreichen szeklerischen Gemeinden auch christliche Gruppen mit betont judaisierenden Tendenzen, die nicht nur den Sabbat und den jüdischen Festkalender, sondern auch die Beschneidung annahmen. Sie waren zwar Christen, galten aber zugleich als Juden, wurden als solche vielfach verfolgt, hielten sich aber doch zäh bis ins 20. Jahrhundert hinein. Sie galten als Juden und viele von ihnen sind sogar in Auschwitz umgekommen. Auch kennen wir Christen, die nur eine bestimmte Form der Taufe für gültig halten oder zusätzlich bestimmte Speisevorschriften oder das strenge Einhalten des Sabbats als heilsnotwendig erklären. Solche Vorschriften mögen das Gewissen jener, die sie einzuhalten für nötig halten, bewegen und beschweren. Von der Botschaft des Galaterbriefes des Apostels Paulus her sind sie jedoch hinfällig. Ein bestimmtes Brauchtum, äußere Ordnungen und Vorschriften sind zwar für jeden Christenmenschen zulässig, ja für das normale Zusammenleben auch nötig, doch dürfen sie nicht den Rang der Heilsnotwendigkeit einnehmen. Denn Christus hat uns zur Freiheit befreit. Dafür dürfen wir dankbar sein.

Die Lektüre und das Studium dieser neuen Auslegung des Briefes an die Galater kann uns zu solcher Dankbarkeit verhelfen.

Hermann PITTERS

 

 

 

 

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Kirche.