Tiefgründig und mitreißend

Teile diesen Artikel

Der Roman ,,Metzgerei Kennedy“ von Radu Țuculescu

Ausgabe Nr. 2683

Radu Țuculescu: Metzgerei Kennedy (Zarte Nebenwirkungen der globalen Erwärmung). Aus dem Rumänischen von Peter Groth.  Originaltitel ,,Măcelaria Kennedy“ (Polirom Verlag, Bukarest, 2017). Mitteldeutscher Verlag GmbH, Halle (Saale), 2019, 240 Seiten, ISBN 978-3-96311-107-5

Mit „Metzgerei Kennedy“ ist Radu Ţuculescu eine meisterhafte Komödie gelungen, die auch einen kritischen Blick auf die rumänische Gesellschaft wirft und selbst vor dem Klimawandel nicht haltmacht. 2017 unter dem Titel „Măcelăria Kennedy“ im Polirom Verlag erschienen, folgte nun im vergangenen Jahr endlich die deutsche Übersetzung des Romans, der vier Preise erhalten hat: „Romanul românesc în mileniul 3” beim Internationalen Transilvania-Buchfestival (2017), „Ovidiu Cotruş” der Zeitschrift Familia (2017), „Radu Petrescu” der Schiftstellergesellschaft und der „George Coşbuc”-Bibliothek in Bistritz (2017) sowie „Pavel Dan” der Klausenburger Zweigstelle des Rumänischen Schriftstellerverbands (2018).

 

Der Metzger Flavius Kasian träumt schon seit langem von seinem eigenen Geschäft und am Montagmorgen soll es endlich soweit sein. Gemeinsam mit seinem jungen Gehilfen Noni hat er alles von langer Hand geplant, doch an den drei Tagen bis zur Eröffnung gibt es noch allerhand zu tun: Blutwurst, Kaltabosch und die Spezialität des Hauses die „Geflochtene“ (zu Zöpfen geflochtene Würste aus enthäutetem Knochenmark) wollen zubereitet werden; die Kühltheken müssen eingerichtet und schließlich das Firmenschild über dem Laden aufgehängt werden. Anstatt sich seines eigenen Namens zu bedienen, hat Flavius Kasian beschlossen, sein Geschäft „Metzgerei Kennedy“ zu nennen, in Anlehnung an John Fitzgerald Kennedy, den er so sehr bewundert. Als wäre der Name allein nicht schon grotesk genug, kommt der befreundete Maler Avram auch noch auf die Idee, die Lettern auf dem Schild durch Würstchen, Markklößchen, Hoden und Rippchen zu ersetzen. Einzig das Wort „Kennedy“ solle in eleganter Schlichtheit gemalt werden – darauf besteht Flavius.

Der Roman dreht sich aber nicht nur um den Metzger und seine Freunde. Mithilfe mehrerer lebensfroher, für jeden Spaß zu habende Protagonisten karikiert Ţuculescu das Leben in dem kleinen Städtchen Untermond bei Kronstadt. Neben notorischen Trinkern, dem permanent pfeifenden Bürgermeister und den betagten Zwillingen, die ihre eigene Trauerfeier samt Totenschmaus proben, sind auch Figuren aus Klausenburg teil der Handlung. Einer von ihnen ist der Journalist Dan Coşoiu, der nach Untermond kommt, um am Samstag über das Konzert der einzigen Band Untermonds „Fliegentod“ und die anschließenden „Reden im Nebel“ des Großen Petric (ein selbsternannter Prediger und Philosoph) zu berichten. Und dann ist da noch die Sonnenfinsternis am Sonntagmorgen, der die Bewohner entgegenfiebern. Ein Grund mehr gleich bis Montag in Untermond zu bleiben und der Eröffnung der Metzgerei mit dem verrückten Namen beizuwohnen.

Neben allen Kuriositäten bleibt aber auch noch Platz für Romanzen: Der Journalist Dan nutzt seinen Besuch in dem Städtchen dazu, sich mit der Ärztin Otilia, deren Internet-Blog er schon seit längerem verfolgt, zu treffen, und Sami Goldberg, der über 70 Jahre alte letzte Jude des Städtchens, hat zur Sonnenfinsternis ein Date mit der Hobby-Poetin Viviana, Nonis Tante. Hin und wieder wechselt die Handlung zudem nach Klausenburg, wo Doris Loman eine Sendung beim Radio Klausenburg moderiert und ihren Mann Relu, einen gescheiterten Fußballspieler, mit dem Chefredakteur des Senders, Ovidiu Negru, betrügt. An den Wochenenden fährt Doris, unter dem Vorwand ihre Eltern zu besuchen, aufs Land, wo sie sich in kleinen Hotels mit Ovidiu trifft. Nachdem die beiden ihre Leidenschaft im Bett und auf der Terrasse ihres Zimmers ausgelebt haben, zieht es sie zum Höhepunkt natürlich auch nach Untermond.

„Metzgerei Kennedy“ ist ein wundervoll burlesker, tiefgründiger und mitreißender Roman. Ţuculescu ist es gelungen, die Spannung über das gesamte Buch hinweg stetig ansteigen zu lassen, ohne den Leser auch nur ein einziges Mal zu langweilen. Als wäre es nicht schon genug, in den detaillierten Biographien der Protagonisten unter anderem auf den Exodus der Juden aus Rumänien sowie das Leben und Sterben in einer rumänischen Kleinstadt einzugehen, schafft Ţuculescu es sogar, den Klimawandel zu thematisieren, über den sich ein Storchenpaar fortwährend klappernd beschwert. Diejenigen, die nichts für schwarzen Humor übrig haben, seien allerdings gewarnt, denn dieses Buch strotzt davon. Nicht nur Schwiegermütter auch der letzte Jude Untermonds muss den ein oder anderen Scherz auf seine Kosten ertragen. Dabei werden die Mondler bzw. Monder, wie sie sich scherzhaft nennen, aber nie feindselig; sie verfügen über einen „gesunden Humor. Eine gesunde Art, das Leben in all seinen Nuancen zu betrachten. Sowohl die finsteren als auch die strahlenden. Und die parfümierten wie die vollgekackten.“

Tobias LEISER

 

 

 

 

 

 

 

 

Veröffentlicht in Literatur, Aktuelle Ausgabe.