Ausgabe Nr. 2679
Die Zeiten sind definitiv vorbei, als wir noch unbedacht sprechen konnten wie uns der Schnabel gewachsen war. Apropos Schnabel, auch diese Formulierung muss ab sofort unterlassen werden, denn es wäre möglich, dass irgendeine Amsel, Drossel, Fink und Star, ja sogar die ganze Vogelschar sich veräppelt vorkommen könnte, wenn es im Vorbeifliegen einen solchen Sprachfetzen aufschnappte. Dann könnte das arme Tier für den Rest seines Lebens in Depressionen ver- (und sogar vom Himmel herunter-) fallen. Generell sollten solche oder ähnliche Metaphern aus dem Tierreich vermieden werden, wenn man es sich mit den Tierschützern nicht verderben will. Also, ab jetzt bitte nicht mehr vom „Hundewetter“ sprechen, und man darf sich auch nicht mehr „pudelwohl“ fühlen. Selbst für das, was man bei Vögeln als generell übliche Tätigkeit annimmt, auch dafür sollte man sich lieber eines artneutralen Ausdrucks bedienen; zum Glück hält die Umgangssprache der ungerechterweise weniger gehobenen Bildungsschichten, genügend Alternativen dafür parat.
Doch eine von tierischen Ausrutschern befreite Sprechweise ist noch lange nicht genug. Allen voran dürfen keinerlei rassistische oder als rassistisch gebrandmarkte Motive mehr verwendet werden. Das fängt beim Mohrenkopf bzw. Negerkuss nur an, aber es geht noch viel weiter. Wir werden deshalb auch in der Gastronomie nicht mehr von einer wohlgewürzten, „rassigen“ Sosse sprechen dürfen, und erst recht nicht dieses verpönte Adjektiv mit dem abscheulichen Doppel-S im Zusammenhang mit attraktiven Menschen oder gar Menschinnen in Verbindung bringen. Also Finger, oder noch besser, Zunge weg von allem was mit der Buchstabenkombination „R-A-S-S-E“ anfängt, und seien dies auf den ersten Blick so harmlos erscheinende Dinge wie „Rasselgeräusch“ oder „Rasselbande“. Stattdessen empfehle ich ein Ausweichen auf Klappergeräusch und Klapperbande, aber das auch nur wenn unbedingt darüber gesprochen werden muss. Andererseits, sollte man aus den zuoberst genannten Gründen statt Klapper-Schlange, lieber „Längliches Klappergeräusche machendes Reptil mit Beindefizit“ sagen, damit die armen Kobras sich nicht unangenehm berührt und gegenüber anderen Schleichreptilien diskriminiert fühlen müssen. Sonst kommt man ganz rasant („rasant“ wohlgemerkt nur mit einem S!) in Schwierigkeit und wird – insbesondere, wenn man selber mit blasser Hautfarbe gebrandmarkt ist – zur Zielscheibe verschiedener Varianten der einen oder anderen Any-Darker-Color-Than-White-Life-Matters-Bewegung.
Die wahren Meister der Sprachhygiene gehen da noch einen Schritt weiter und dekretieren, dass man niemandem mehr irgendwas ansagen darf, was auch nur im Entferntesten nach einer Aufforderung klingt. Denn das sei ein schwerwiegender Eingriff in die persönliche Freiheit des Angesprochenen. So sollte man auch vermeiden, Anweisungen gleich welcher Art zu äußern wie z. B. „Richten Sie bitte der Frau Mama meine besten Grüße aus“, denn das grenzt bereits an Nötigung. Nichts darf gesagt sein, was einen dazu verdonnert, etwas zu tun, was er nicht sonst selber von sich aus und ohne explizite Aufforderung tun würde. Wenn man sich schon die Freiheit nimmt, jemandem eine Handlungsanweisung zu geben, dann sollte das in der allerhöflichsten Form geschehen, wie „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, und nur im Falle, dass Sie das ohne irgendwelche Einschränkungen in Ihrer persönlichen Freiheit unternehmen könnten, dann bitte ich Sie – wenn ich das mal so rundheraus sagen darf – Ihrer lieben Mutter meine besten Grüße auszurichten“.
Die Aufnahme hochgradig rücksichtsvoller Formulierungen in den täglichen Sprachgebrauch ist unbedingt zu begrüßen, da es in vielen Fällen zu einer Deeskalation latenter Konflikte führt, und davon wiederum die ganze Gesellschaft insgesamt friedlicher wird. So gesehen ist die durchaus verständliche Mitteilung des verärgerten Augenzeugen an einen sich unbotmäßig verhaltenden Jugendlichen, nämlich die lässig hingeworfene Aufforderung „Setz dich doch endlich mal hin, Du Wichser!“ nach heutigen Maßstäben nicht mehr akzeptabel, und müsste in eine weit verträglichere Formel münden, wie „seien Sie bitte so freundlich und – wenn es Ihnen nichts ausmacht – nehmen Sie bitte Platz auf einem Stuhl Ihrer Wahl. Sie können sich dessen versichert sein, dass Sie dort ungestört Ihre in jeder Hinsicht zu tolerierende Sexualität ausleben können“.
Gerade beim Umstürzen von Denkmälern und dem Verschmieren von Erinnerungsplaketten ist auf eine sorgfältige Wortwahl gegenüber den Aktivisten zu achten, damit ja keiner der Beteiligten sich in irgendeinem Zusammenhang benachteiligt fühlt. Ob es derjenige ist, der den Farbbeutel wirft, den Sockel der Statue zerschmettert, oder in vollem humanistischem Elan das Ehrengrab schändet; alle Beteiligten sind gleichwertige und gleichberechtigte Kämpfer für Gleichheit, Toleranz und historisch ausgleichende Wahrheit. Und als solche sollte man sie auch gleichwertig behandeln.
Ganz besonders willkommen ist die neue Sprachregelung beim Militär, wo in der Vergangenheit der fast schon schmerzhaft zu nennende, barsche Befehlston den Rekruten gegenüber für so viel Kummer und Unmut gesorgt hat. Deshalb ist im Kasernenhof auch nicht mehr sowas wie „Stillgestanden!“ zu hören, sondern das sehr viel angenehmer klingende „Ehrenwerte Herren, gestatten Sie mir, Sie höflich zu bitten, in Ihrem zweifellos bestens berechtigten Vorwärtsstreben, für einen klitzekleinen Moment stehen zu bleiben“. Und statt „rechts, links, zwei, drei“ hört man nun „Na dann lassen sie uns bald fröhlich losmarschieren und drum setzen wir gemeinsam ein Bein – egal welches sie bevorzugen wollen – nach vorne und lassen das andere alsbald folgen“.
Und wehe, wenn man jemandem einfach nur so „Gesundheit!“ zuruft, nur weil dieser hat niesen müssen. Obacht! Auch das ist eine unangemessene Forderung an den unbescholtenen und womöglich sogar erkrankten Mitmenschen. Man darf ihm diese Aufforderung nicht einfach so an den verschnupften Kopf werfen. Stattdessen sollte man lediglich den Wunsch nach einer raschen Genesung äußern, damit der Betreffende bald wieder seinen gesellschaftlichen Aufgaben nachkommen kann, und wegen seiner vorübergehenden Unpässlichkeit keinerlei Nachteile erleidet. Deshalb kling es weit angemessener, dem Betreffenden zuzurufen: „Vielleicht geht es mich ja nichts an, aber als anteilnehmender, politisch korrekter Mitmensch wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen, dass Sie möglichst bald wieder gesund werden“.
Peter BIRO
Zürich/Schweiz