Buch über Erziehung und Emanzipation in Siebenbürgen erschienen
Ausgabe Nr. 2667
Keine Zeit zum Lesen? Jetzt kann man diese Ausrede nicht mehr nutzen. Die Auszeit wegen der Coronavirus-Pandemie eignet sich hervorragend zum Lesen. Ein spannender Roman oder, warum nicht, ein Geschichtsbuch.
Neulich im Verlag der Lucian Blaga-Universität 2019 erschienen ist zum Beispiel in rumänischer Sprache „Educație, emancipare, gastronomie: școlile de fete și asociațiile de femei din Sibiu de la sfârșitul secolului al XIX-lea până la 1948“ von Gudrun-Liane Ittu und Constantin Ittu.
Der lange Titel lässt darauf schließen, dass es sich um ein wissenschaftliches Buch handelt. Trotzdem liest es sich leicht und bietet sehr interessante Informationen über das Leben der Frauen im 19. und 20. Jahrhundert. Nach der Einleitung widmet sich das erste Kapitel den Salons des 17. Jahrhunderts, die als Vorreiter der späteren Frauenvereine gelten. Die französische Salonkultur des 17. Jahrhunderts, die von Catarina de Medici aus Italien gebracht wurde, prägte die anderen Salons in Europa und Russland und konnte als Pendant zur höfischen Kultur verstanden werden. Der Salon als Domäne der Frau war zu einem Instrument geworden, gegen die Entrechtung der Frau anzukämpfen. Während Männer ihre Macht im öffentlichen Leben wahrnahmen, taten Frauen dies zurückgezogen im Heim. Die Rolle der Frau des 18. Jahrhundert war jene der Mutter und Ehefrau. Die Emanzipation der Frau begann durch den Salon. Der Salon gab den Frauen der elitären Gesellschaft die Möglichkeit, sich am öffentlichen Leben zu beteiligen, ja es sogar wesentlich zu beeinflussen, während die Männer dies öffentlich taten.
Das zweite Kapitel ist der Erziehung der deutschen Mädchen in Siebenbürgen gewidmet. Während es für Jungen in Hermannstadt schon 1380 eine Schule gab, gingen Mädchen erst ab dem 17. Jahrhundert in die Schule und nur 1722 beschloss die Synode der evangelischen Kirche eine Allgemeine Schulordnung, zu der auch Mädchen verpflichtet waren.
Für eine bessere Schulbildung der Mädchen setzten sich die Kronstädterinnen Julie Fabritius (1833-1913) und Lotte Lurtz (1835-1913) ein, die 1872 den „Verein zur Erweiterung der Mädchenschule“ gründeten, der 1878 in „Verein zur Unterstützung der Mädchenschule“ umbenannt wurde. Nach deren Vorbild rief Josefine Bielz (1830-1904) in Hermannstadt 1875 den „Frauenverein zur Unterstützung der evangelischen Mädchenschule A. B. in Hermannstadt“ ins Leben. Ziele des Vereins waren u. a. die Einführung von Handarbeits- und Haushaltsstunden in der Grundschule, die Einführung von gleich vielen Schulfächern für Mädchen wie für Jungen und der Bau eines Mädchenlyzeums. 1895 kaufte der Verein einen Grund in der Seilergasse, wo das Lyzeum gebaut wurde (heute Colegiul Agricol Daniil Popovici Barcianu). In diesem Kapitel erfährt der Leser auch, dass der erste Frauenberuf jener der Kindergärtnerin war und dass der erste Kindergarten in Hermannstadt 1871 eröffnet wurde. Die erste Berufsschule für Frauen hieß „Frauenarbeitsschule des Ortsvereins Hermannstadt des Allgemeinen Frauenvereins der Evangelischen Landeskirche A. B. in Siebenbürgen“ und wurde 1885 gegründet, es folgte die „Haushaltungsschule“ (1888) und die „Dienstbotenschule“ (1892). Alle drei Schulen wurden nach dem Modell von Schulen aus Deutschland gebaut, Vorbild waren die „Frauenarbeitsschulen“ in Reutlingen und Radolfzell.
Besonders interessant zu lesen, ist das Unterkapitel, das alten Reklamen aus dem 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhunderts gewidmet ist. Die Haus- und Küchengeräte-Handlung von Josef Jikeli (in der Heltauergasse Nr. 47) warb beispielsweise für „Eiskästen“, „Triumph-Spar-Herde“ oder „John’s Volldampfwaschmaschine“ und Andreas Riegers Eisenwarenhandlung für „Standard Fleischschneide-Maschinen“ oder „Delphin-Filter“, die „garantiert Typhus-bazillenfreies Trinkwasser liefern“.
Ein letztes Kapitel ist den rumänischen Mädchenschulen in Hermannstadt gewidmet.
Das Buch ist mit sehr aussagekräftigen Fotos bebildert. Die Fotos stammen teilweise aus dem Zentralarchiv der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien, aus dem ASTRA-Fonds des Hermannstädter Staatsarchivs und von der Facebook-Gruppe „Alt Hermannstadt in Ansichtskarten, Fotos, Gemälden und Graphiken“, die von Helmut Wolff geleitet wird. Das Titelbild (aus dem Archiv von Konrad Klein) zeigt ein von Wilhelm Auerlich geschossenes Gruppenbild mit den Schülerinnen der Haushaltungsschule mit ihrer Lehrerin Christine Schuster.
Laut Autorin Gudrun-Liane Ittu ist „Educație, emancipare, gastronomie: școlile de fete și asociațiile de femei din Sibiu de la sfârșitul secolului al XIX-lea până la 1948“ im Rahmen des Projektes „Hermannstadt Europäische Gastronomieregion 2019“ zusammen mit dem Bildband „Vom Markt zum Gasthaus: Sibiu/Hermannstadt in Ansichten“ erschienen. Letzterer enthält Fotos von alten und neuen Ansichtskarten aus Hermannstadt. Die Idee dahinter war: „Nachdem wir während der Recherchen viel Bildmaterial gefunden hatten, dachten wir, dass es für die Hermannstädter interessant wäre – dort wo es möglich war, historische Fotos zeitgenössischen gegenüberzustellen“, so Gudrun-Liane Ittu, die zusammen mit Ehemann Constantin Ittu den Bildband herausgegeben hat.
Leider gibt es keine deutsche Fassung für die beiden Bücher, die für Rumänischsprachige absolut lesenswert sind. Exemplare davon sind in der Bibliothek der Lucian Blaga-Universität zu finden.
Cynthia PINTER