Konsul Tischler zum Brexit und zur EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands
Ausgabe Nr. 2665
Der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union am 1. Februar d. J. sollte in diesem Jahr nicht die größte Herausforderung für Europa und die Welt bleiben. Inzwischen stehen angesichts der Pandemie jetzt andere Prioritäten auf der Tagesordnung.
Da Deutschland ab Juli d. J. die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, veröffentlichen wir an dieser Stelle eine gekürzte Fassung des Gespräches, das Adrian P o p e s c u, Redakteur der Hermannstädter Tageszeitung Tribuna mit dem Konsul der Bundesrepublik Deutschland in Hermannstadt, Hans-Erich Tischler zu diesen beiden Themen geführt hat.
Deutschland übernimmt im kommenden Halbjahr die EU-Ratspräsidentschaft. Worum geht es dabei?
Richtig, Deutschland übernimmt ab Juli 2020 die EU-Ratspräsidentschaft. Die Ratspräsidentschaft wird sicherlich eine sehr intensive Zeit mit viel Arbeit sein, aber es lohnt sich, sich für ein gemeinsames Europa einzusetzen.
Viele Fragen wie der mehrjährige Finanzrahmen aber auch die Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich über die zukünftigen Beziehungen stehen momentan auf der Agenda – wahrscheinlich auch noch in der zweiten Jahreshälfte. Weiterhin geht es um den Green Deal, also den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen vor dem Hintergrund des Klimawandels, den wir in diesem Winter so eindrücklich erlebt haben.
Im ersten Halbjahr des letzten Jahres stand Rumänien diese Rolle zu und es hat die komplexen Aufgaben, die anstanden, mit Bravour gemeistert. Wir alle können uns nur zu gut an den EU-Gipfel im letzten Mai in Hermannstadt zurückerinnern, der ein unvergessliches Erlebnis bleibt. Rumänien kann stolz darauf sein, ein so hervorragender Gastgeber gewesen zu sein.
Welche Aufgaben stehen gerade in Bezug auf den Brexit für Deutschland an?
Die europäische Integration hat Europa nach dem Zweiten Weltkrieg Frieden und Wohlstand gebracht. Die Europäische Union sichert uns in einer Welt, die sich ständig und schnell verändert, eine starke Stimme. Deutschland hätte sich sicherlich einen Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU gewünscht. Der Brexit ist aber nun Realität. Die Bundesregierung setzt auch in Zukunft darauf, dass Großbritannien ein enger Partner und Freund bleibt – auf der Grundlage unserer langjährigen Freundschaft und der gemeinsamen rechtsstaatlichen, demokratischen Werte. Wir alle wünschen uns deshalb, dass die Verhandlungen der EU mit dem Vereinigten Königreich über die zukünftigen Beziehungen noch vor Jahresende erfolgreich abgeschlossen werden.
Wird der Rückzug des Vereinigten Königreichs aus der EU Auswirkungen auf die NATO-Kommandostruktur oder die europäische Sicherheitspolitik haben?
Das Vereinigte Königreich wird auch nach dem Brexit NATO-Mitglied bleiben. Die NATO wurde 1949 gegründet mit dem Ziel, die Freiheit und Sicherheit aller Mitglieder zu schützen. Klar ist aber auch, dass die EU-Mitgliedstaaten mehr Verantwortung für ihre eigene Sicherheit übernehmen müssen. Dazu wollen wir zum Beispiel bei der Entwicklung gemeinsamer Fähigkeiten noch enger zusammenarbeiten. Ein starkes Europa als Teil einer starken NATO – das ist unser Ziel.
Auf die europäische Sicherheitspolitik hat der Brexit Auswirkungen: Für die Militärmissionen der EU fehlt dann ihr bislang stärkster Truppensteller. Ob die britische Polizei und die Sicherheitsbehörden weiterhin mit der EU Daten austauschen, um etwa bei der Terrorbekämpfung zusammenzuarbeiten, ist noch nicht abschließend geklärt. Werden sich beide Seiten nicht einig, bleiben die NATO und Interpol als Plattformen für gemeinsame Verteidigungs- und Sicherheitspolitik.
Sind Sie der Meinung, dass dabei zusätzliche Kosten für die anderen Mitglieder und insbesondere Deutschland entstehen würden?
Wir haben erfolgreich ein Austrittsabkommen verhandelt, das viele Bereiche regelt. Für die Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen ändert sich bis zum Ende der Übergangsphase – also bis mindestens zum 31. Dezember 2020 – erst einmal nichts. . Bis dahin gilt das EU-Recht für das Vereinigte Königreich grundsätzlich weiterhin und das Großbritannien bleibt Teil des EU-Binnenmarktes und der EU-Zollunion. Auch die EU-Freizügigkeit, also das Recht, in der EU und dem Vereinigten Königreich zu leben, zu arbeiten, zu studieren, gilt in diesem Zeitraum weiter vollumfänglich.
Durch das Austrittsabkommen werden auch die finanziellen Verpflichtungen des Vereinigten Königreichs gegenüber der EU geregelt.
Klar ist aber: Die deutschen EU-Beiträge werden in Zukunft insgesamt steigen. Deutschland als Nettozahler wird natürlich einen Teil der fehlenden Beiträge auffangen müssen. Mir ist aber wichtig zu betonen: Deutschland ist nicht nur Nettozahler, sondern auch Nettogewinner, weil die EU-Mitgliedschaft uns enorme Vorteile bringt. Und bei den laufenden Verhandlungen um den mehrjährigen EU-Finanzrahmen geht es nicht nur um die Höhe der Beiträge, sondern vor allem auch um neue Schwerpunkte: Die EU braucht ein modernes Budget. Die Mitgliedsländer müssen gesamteuropäische Zukunftsaufgaben wie Klimaschutz, Digitalisierung, Forschung, Migrationsfragen und Außenpolitik zu ihren Prioritäten machen. Bei den laufenden Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen geht es auch um die Frage, wie die anstehenden Zukunftsaufgaben finanziert werden können.
Worauf wird Deutschland in der EU-Ratspräsidentschaft den Schwerpunkt legen und welche Themen sollen vorrangig gefördert werden?
Ab dem 1. Juli wird über 18 Monate hinweg das Trio Deutschland, Portugal und Slowenien nacheinander die Ratspräsidentschaft der EU innehaben. Das Trio soll als Beispiel für Europas Einheit in Vielfalt stehen. Wie erwähnt übernimmt Deutschland im zweiten Halbjahr 2020 die Ratspräsidentschaft. Die Erwartungen an uns sind groß: Besonderes Augenmerk wird darauf gelegt, die EU wettbewerbsfähiger zu machen, die industrielle Basis auszubauen und die gemeinsamen Werte wie Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit zu stärken. Wir müssen beim Thema Digitalisierung aufholen, die EU will bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent werden und wir wollen die gemeinsame europäische Verteidigung stärken – das sind drängende Herausforderungen, die wir jetzt konkret und gezielt angehen müssen. Eine zentrale Aufgabe der deutschen Ratspräsidentschaft werden natürlich die Verhandlungen über das künftige Verhältnis mit Großbritannien sein.
Das Zusammenwachsen in der Europäischen Union braucht Zeit. Die Spaltung unseres Kontinents in Ost und West bis zum Fall der Mauer können wir nicht innerhalb einer Generation überwinden. Und es wird, wie erwähnt, darum gehen, den neuen EU-Haushalt für die Jahre 2021-2027 zu verhandeln – bekanntlich kein einfaches Unterfangen. Deutschland wird in Zukunft deutlich mehr Finanzmittel zur Verfügung stellen, damit die Europäische Union ihrer Verantwortung in einer globalisierten Welt nachkommen kann. Gleichzeitig gibt es aber auch klare Forderungen: mehr Geld für Innovation und Forschung, mehr Geld für den sozialen Zusammenhalt, mehr Geld für den Klimaschutz, mehr Geld für die Außen- und Sicherheitspolitik.
Ein weiteres wichtiges Thema ist das der Rechtsstaatlichkeit – Unabhängigkeit der Justiz, Medienfreiheit und ‑vielfalt – diese Werte dürfen uns nicht spalten, sie müssen uns als gemeinsame Werte in der Europäischen Union einen und alle Mitgliedsstaaten haben sich im Vertrag von Lissabon dazu bekannt.
Europa steht nicht nur auf Grund des Brexit vor vielen Herausforderungen. Deutschland und Rumänien sind schon seit langem enge Partner und arbeiten konstruktiv zusammen. Wie sehen Sie die Entwicklung der deutsch-rumänischen Beziehungen vor diesem Hintergrund und welche Perspektiven ergeben sich für das bilaterale Verhältnis?
Auch in dem heutigen geo-politischen Kontext gelten die Bestimmungen des Deutsch-Rumänischen Freundschaftsvertrags von 1992 unverändert fort. Sie sind nach wie vor aktuell und liefern einen umfassenden Rahmen für den weiteren Ausbau der Deutsch-Rumänischen Beziehungen. Es geht um die Schaffung einer gerechten und friedvollen Ordnung in Europa, um das Fördern von Zusammenarbeit bei den Sicherheitsstrukturen, um den Schutz der Menschenrechte, der Demokratie und des Rechtsstaats, um den entschlossenen Kampf gegen Korruption sowie um die Kooperation mit den europäischen Institutionen. Wir wollen auch den bilateralen Kulturaustausch und die deutsche Minderheit mit ihrer Brückenfunktion zwischen unseren beiden Ländern fördern. Alle deutschen Vertretungen in Rumänien setzen sich für eine enge Kooperation der Hochschulen ein und unterstützen einen intensiven Schüler- und Studentenaustausch. Knapp 200.000 rumänische Schüler lernen derzeit Deutsch.
Nicht zuletzt gilt der wirtschaftlichen Zusammenarbeit ein besonderes Augenmerk; die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern haben sich in den letzten drei Jahrzehnten sehr gut entwickelt; deutsche Firmen von Weltrang ebenso wie Vertreter des Mittelstandes der deutschen Industrie sind hier bereits gut vertreten Deutschland ist Handelspartner Nr. 1 für Rumänien. Deutsche Unternehmen beschäftigen fast eine Viertelmillion Mitarbeiter. Diese wirtschaftliche Kooperation wollen wir weiter ausbauen, das Potential ist noch bei Weitem nicht ausgeschöpft.
Danke für das Gespräch.