Alte Wanderschuhe wieder voll im Trend

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Stimmungsbilder von der Wiener Ferienmesse 2020

Ausgabe Nr. 2657

Die Autorin Ingrid Weiss (rechts) im Gespräch mit Ionuț Martin.Foto: Heinz WEISS

„Il neige, il neige de gros flocons, jusqu’a present l’hiver a été doux…“ Der Anfang dieses Kindergedichts passte letzten Samstag exakt auf die Stimmung in Wien. Endlich war es soweit: der eigentlich zu Weihnachten so herbeigesehnte Schnee fiel in dicken Flocken aus kalttrübgrauen Himmel und verwandelte die Bundeshauptstadt kurzfristig in ein richtiges „Winter Wonderland“. Wie schön, wenn man es sich entweder im warmen Heim mit Kuschelsocken, einer heißen Tasse Tee und einem spannenden Buch gemütlich machen konnte, oder … man entfloh dem Alltag und ging auf Reisen. Wie? Ganz leicht gemacht, die Wiener Ferienmesse 2020 (16.-19. Januar) hatte ihre Pforten weit geöffnet und tausende Menschen strömten scharenweise in das Wiener Messegelände.

 

Als Tüpfelchen auf dem i war es auch kostengünstig, da man mit einem Ticket drei „Messefliegen auf einen Schlag“ erledigen konnte: als Highlight wie jedes Jahr die Ferienmesse – in den Hallen A und B präsentierten rund 800 Aussteller die schönsten Urlaubsdestinationen aus aller Welt und Österreich. In den Messehallen C und D glänzten anlässlich der Vienna Autoshow rund 330 Neuwagen um die Wette. In der stark erweiterten E-Mobility Area gab es alle Infos zum Thema Elektrofahrzeuge. Und am Wochenende gesellte sich noch die Sportwelt dazu. Hier gab es die perfekte Möglichkeit, neue Sportarten kennenzulernen und direkt vor Ort auszuprobieren. Von Bogensport, Handball, Discgolf bis hin zu Handball, Rudern, Tennis und Exoten wie Cachibol war alles dabei.

Von so viel Sportgedanken angetrieben und neugierig auf die große Welt sowie deren zahlreich präsentierten Optionen für Reiselustige schlenderte ich durch die Hallen: Fern- und Städtereisen, Badeurlaub und Sightseeing, Single- und Familienurlaub sowie außergewöhnliche Abenteuer- und entspannende Wellnessaufenthalte – Herz, was begehrst du mehr! Diverse Bühnenshows, Gewinnspiele, Vorträge, musikalische Darbietungen und kulinarische Spezialitäten aus aller Welt rundeten das eindrucksvolle Angebot ab. Partnerland der Ferienmesse 2020 war die Dominikanische Republik, das  karibische Paradies mit 600 km Strände und einer Durchschnittstemperatur von 27 Grad! Nicht minder interessant, aber definitiv mit anderen Vorzeichen präsentierte sich als Partnerregion der Tourismusmesse das Salzburger Land – kulturelle Höhepunkte wie 100 Jahre Salzburger Festspiele inklusive.

Mitten in diesem Trubel schossen mir Bilder aus meiner Kindheit durch den Kopf: obwohl in den 60-ger Jahren weit entfernt von irgendeiner Klimadiskussion, erlebten wir ohne einen CO2-Abdruck zu hinterlassen eine herrliche Zeit, denn meine Eltern gingen mit uns Kindern wandern. Im Voralpengebiet durften wir in glasklaren, aber eiskalten Bächen stehend Forellen beobachten, sahen Eidechsen in der Sonne liegen, hatten als Stadtkinder Spaß beim Erkennen von Fauna und Flora oder kauten in der Wiese liegend einen Grashalm. Es war eine herrlich unbeschwerte Zeit und wir mussten nicht eine App herunterladen, um eine Kuh von einem Schaf unterscheiden zu können. Nachhaltigkeit war ebenfalls gegeben, denn wir kehrten, wenn hungrig bei einem Bauernhof ein und wurden mit Butter und Schafkäse aus Eigenproduktion inklusive selbst gebackenem Bauernbrot verwöhnt. Warum also in die Ferne schweifen?

Jetzt war mir klar – ich würde im Sinne der Umwelt wieder mehr auf meine alten Wanderschuhe zurückgreifen. Ob nun eine Erhöhung der Flugtickets in Haus stünde oder nicht, ließ mich in diesem Moment völlig kalt.

Nach einem Zwischenstopp in der Cafeteria richtete ich beim neuerlichen „Rundgang durch die halbe Welt“ meinen Blick auf das Thema Wanderurlaub. Und siehe da, beim Ausstellungsstand Rumänien wurde ich rasch fündig. Und wie prominent noch dazu! Die European Ramblers’ Association (ERA), zu deutsch Die Europäische Wandervereinigung (EWV) wird ihre alle fünf Jahre stattfindende EURORANDO im September 2021 in Hermannstadt mit einer großen internationalen Veranstaltung – etwa 2.000 Teilnehmer – beenden. Somit werden die Mitgliedsorganisationen von September 2020 bis September 2021 Eurorando-Wanderungen veranstalten, deren Höhepunkt/Schluss in Hermannstadt gefeiert wird (26. September – 3. Oktober 2021). Initiator der kommenden Schlussveranstaltung ist der Siebenbürgische Karpatenverein (SKV). Nicht nur für Wanderer ist die Resolution der ERA/EWV von eminenter Bedeutung, die folgendes fordert: ,,Die Natur in Europa öffnen!“ Freier Zugang zu Natur und Landschaft für alle Einwohner ist ein grundlegendes Ziel der Europäischen Wandervereinigung e.V. (EWV)

Fasziniert von diesen bevorstehenden sportlichen Aktivitäten wendete ich mich an den auf der Ferienmesse anwesenden Vertreter des Tourismusvereins des Kreises Hermannstadt, Ionuț Martin. Jetzt oder nie, war meine Devise! Unverhohlen und ohne Umschweifen hakte ich nach: mit welchen touristischen Schwerpunktthemen würde Hermannstadt im heurigen Jahr auf sich aufmerksam machen? Wie läuft die Werbung dafür? Und, in Zeiten der allgemeinen Sparmaßnahmen würden mich auch Details zur finanziellen Umsetzung interessieren.

Herr Martin lächelte und verblüffte mich danach mit folgender Aussage: in den letzten Jahren wurden in Hermannstadt auf touristischer Ebene zahlreiche innovative kulturelle sowie Sport orientierte Projekte initiiert und sind verglichen mit einem Startup bereits in der Wachstumsphase, d.h. das Produkt wurde eingeführt, Marketingkampagnen waren im Fokus und haben gegriffen. Somit steht die rasche Marktdurchdringung durch einen gezielten Vertriebsaufbau im Vordergrund. Umgesetzt auf den Status quo in Hermannstadt bedeutet dies, dass man jetzt auf Konsolidierung im Tourismusbereich setzt. Vielfach hatte die öffentliche Hand, sprich durch gezielten Einsatz von  Steuergeldern die Finanzierung der Projekte ermöglicht, doch nun achtet man darauf, dass all diese Vorhaben auf eigenen Beinen stehen können. Es gab in den letzten Jahren verschiedenerlei Festivals, die unterschiedlichstes Publikum adressierten und mittlerweile zu einer unverzichtbaren, eigenständigen Komponente des Tourismus in Siebenbürgen herangewachsen sind. Zum Thema Wandern fokussiert man unter der Ägide des oben bereits erwähnten SKV die Entwicklung neuer Wanderwege. Es soll somit die für die Gesundheit der Menschen ungemein wichtige Bewegung gefördert werden, aber parallel kommt es zu einer bereichernden Begegnung mit der Natur. Je nach Kondition des einzelnen „Wandervogels“ geht es dann über den Erlenpark Richtung Michelsberg, oder entlang des Zibins nach Hammersdorf und auf den Kirchenberg zum 620m hoch gelegenen Aussichtspunkt. Dort angekommen hat man einen traumhaften Blick auf Hermannstadt!

Angesprochen auf die Begegnung mit der Natur wurde Ionuț Martin ernst. Leider halten sich etliche Menschen, darunter definitiv auch ein hoher Prozentsatz an ausländischen Touristen nicht an Ge- und Verbote. Somit brettern immer öfter Rowdies mit ihren brüllenden Enduro-Bikes (Motocrossmaschine mit Zweitaktmotor, extrem laut und stinkend) quer durch die Wälder ohne Rücksicht auf Mensch, Tier und Vegetation. Laut rumänischem Gesetz ist dieses sehr zweifelhafte Motorsportvergnügen zwar strengstens verboten (ausgenommen das offizielle 5-tägige Enduro-Rennen über die Karpaten)  und wird mit Strafen bis Lei 5000,- (ca.€ 1100,-) geahndet, doch in der Realität sieht es anders aus. Der Zuständigkeitsbereich liegt bei den permanent unter Personalmangel leidenden Forstämtern, die aber wieder erst die Polizei verständigen müssen. Somit kommen die rücksichtlosen Fahrer auf ihrer Dreckschleuder vielfach ungeschoren davon. Ein handfester Umweltskandal – ohne Lösung und Ende!

Bevor mein Gegenüber zum nächsten Termin hetzte, „servierte“ er mir aber noch einige sehr versöhnliche Details: die von mir (so beame ich mich oftmals per Live Webcam mitten in die Altstadt) genutzte Sibiu-App wird verbessert und modernisiert, denn im Rahmen der Digitalisierung wird Ende März 2020 ein neues Informationszentrum der Stadt Sibiu eröffnet. Es werden dem Besucher neben einer Videowall Tablets zur Verfügung stehen mit deren Hilfe sich die touristische Bandbreite der Stadt und ihrer Umgebung mühelos und spielerisch abfragen lassen. Einen kulturellen Höhepunkt stellt die Wiedereröffnung der evangelischen Kirche – dort erklingt mit 6000 Pfeifen die größte Orgel Südosteuropas – am Reformationstag 2020 dar. Man hatte sie wegen dringender Renovierungsarbeiten vor zwei Jahren geschlossen. Unter anderem wurde dieses geschichtsträchtige sakrale Bauwerk generalsaniert, zusätzlich mit einer Fußbodenheizung ausgerüstet und rein äußerlich wird das Baujuwel elfenbeinfarben erstrahlen.

Ionuț Martin kam bei seinen Ausführungen ins Schwärmen und meine Sehnsucht wieder Hermannstadt zu besuchen stieg mit jedem seiner Sätze. Insgeheim suchte ich bereits geistig nach meinen Wanderschuhen und freute mich auf den Besuch diverser Musikfestivals. Selbstverständlich könnte ich mir auch eines von den 500 städtischen City-Bikes leihen und damit die Umgebung erforschen, ich könnte aber …, ich könnte ……

In dem Moment warf mein Interviewpartner einen Blick aus dem Fenster – ach ja! was er fast vergessen hätte: Seit 12 Jahren hat man jeden Winter beim Bulea-See ein Eishotel sowie eine Eiskirche gebaut, doch heuer musste man passen – einfach zu warm!

,,Schade!“ tönte es unisono neben mir – zwei ältere Damen, die mitgehört hatten, beschlossen darauf lautstark auf den nächsten Winter zu warten, denn diese Attraktion wollten sie sich als passionierte Rumänien-Touristinnen nicht entgehen lassen!

Ingrid WEISS

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Tourismus.