Ein Theatererlebnis

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Gastauftritt des Kronstädter Ensembles ,,DIE GRUPPE“

Ausgabe Nr.2647

Szenenfoto mit Joachim Wittstock, Mădălina Matei, Andreea Iordache, Casian Gherasim, Mădălina Coman, Irina Hoza, Alexandra Greavu, Carmen Elisabeth Puchianu (v. l. n. r.).                                Foto: Beatrice UNGAR

,,Hades. Carpatesca cum figuris“ lautet der Titel der auf einer Erzählung von Joachim Wittstock basierenden Reminiszenz,  dargestellt von dem Theaterensemble „DIE GRUPPE“ aus Kronstadt, das seit 2006 in wechselnden Besetzungen existiert, musikalisch begleitet von Teodora Ciurezu (Violine) und Paul Cristian (Keyboard) und unter der Spielleitung von  Carmen E. Puchianu. Das Stück wurde am Donnerstag der Vorwoche im Gong-Theater für Kinder- und Jugendliche zum Auftakt der Internationalen Tagung zum 50. Jahrestag der Gründung des Lehrstuhls für Germanistik in Hermannstadt aufgeführt.

 

Das Stück ,,Hades“ basiert auf drei Erzählungen von Joachim Wittstock: „Im Donaudelta“und ,,Die kleine Pforte“ geschrieben in den 80er Jahren, also zu ‚Dunklen Zeiten‘ und „Delta, drei Donauarme“,  geschrieben in der Zeit nach der Wende.  Das Erzählgeschehen wurde von Joachim Wittstock, der etwas abseits auf der Bühne platziert saß, mit seiner beruhigenden warmen Stimme vorgetragen.

Diese Platzierung  bildete einen sehr scharfen und sicherlich auch gewollten Kontrast zum Bühnengeschehen. Zu Beginn wird der Zuschauer im vollbesetzten Theatersaal mit der Registrierung einer Schreibmaschine konfrontiert. Das Registrieren einer Schreibmaschine, das zu kommunistischer Zeit die Regel gewesen ist, machte dem Zuschauer sofort klar, um was es in dem Stück „Hades“ geht. Nur was bedeutet „Carpatesca cum figuris“? Eine Deutung im weiteren Sinn könnte Thomas Manns Roman „Doktor Faustus“  liefern,  in dem  die Komposition des Romanhelden Adrian Leverkühn  „Apocalipsis cum figuris“ als „Prophetie des Endes“ gedeutet wird. Hades in der griechischen Mythologie der Herr des Totenreichs, der von den Menschen verhasste Gott, aus dessen Reich es keine Rückkehr gibt, steht für den Diktator Ceaușescu. Ins Reich des Hades, den Orkus, in Wittstocks Erzählung  steht er für das kommunistische Rumänien, kommt man nach Empfang der Begräbnisriten und mit einer Geldmünze unter der Zunge, dem Obulus, mit der Fähre über den Styx.  Im Reich Hades angekommen wurden die Passagiere vom Strom des Vergessens, Lethe, umflossen und der überwiegende Teil von ihnen existierte schmerz- und freudlos als Schatten in der Schattenwelt!

Das großartig von Carmen E. Puchianu inszenierte Stück begann mit der Reise auf dem Fährschiff „Per Scorillo“, alle Passagiere drängten mit ihren mitgebrachten Habseligkeiten auf die schwankende Fähre, bis die Stimme des Fährmanns rief:  „Platz für die Ware“. Joachim Wittstock mit seiner Stimme und die Akteure um Carmen E. Puchianu  mit ihrem intensiven Spiel nahmen nun die Zuschauer mit auf die Reise. Nach einiger Zeit schreckte der Fährmann die Fahrtgenossen auf: „Ihr seid nicht etwa zum Vergnügen unterwegs, angekommen habt ihr eure Existenz aufzubauen“. Irritation bei den Passagieren –  erwies sich doch die Reise als eine Reise von Galeerensklaven, ermüdend vom ewigen Gleichschritt der Bewegungen auf dem Weg in die Unterwelt  der Gegenwart. Alles ständig überwacht von Bildern des ,,Conducators“ und seiner Frau, der ,,großen Wissenschaftlerin“. Uniformierte Wächter des Hades erwarteten die Reisenden, verminter Strand, umgegraben nach Öl, ein schwarzer stinkender Delphin-Kadaver, mit Spitzhacken und Spaten hatte man versucht, die untere Welt zu erschließen, die „Unterwelt“! Misstrauisch blickten die angekommenen Passagiere, angekommen in der eigenen Gegenwart?

,,Hier im Grenzgebiet ist alles verboten, entfernt Euch nicht, erst müssen die Papiere in Ordnung sein“! Hier war er, der Rahmen der staatlichen Verordnungen, dem sich die Gemeinschaft ohne Wenn und Aber zu unterwerfen hatte, meisterhaft erzählerisch dargestellt, der Mensch sinnlos als hüpfender Springer an Gummibändern hängend. Die Papiere kontrollierten Lipowaner, im Stück die imaginäre Rumänische Staatsmacht darstellend, die bis ins späte 19. Jahrhundert  im Buchdruck ein Teufelswerk gesehen haben. Haben die „Lipowaner“  Angst vor der Schreibmaschine? Willkommen in der neuen Welt „Burebistum“, als auf der Stelle hüpfende,  vom Strom des Vergessens umwehte, schmerz- und freudlose Schatten in der Schattenwelt, mit registrierten Schreibmaschinen!

Das Theatererlebnis „Hades“ aus  Musik, Rezitation, Theater und ständig wechselnden Segmenten  aus Bildschirmflimmern, unterschiedlichen Jahreszeiten, Personen, alles im ständigen Widerspruch, Sommer-Winter, Wasser-Berge, Kirchen-Supermärkte, weckt auch Reminiszenzen an unser heutiges Dasein. Ein erlebenswertes Theaterstück, begeistert aufgenommen vom Hermannstädter Publikum.

Lothar SCHELENZ

 

 

 

 

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Theater.