Hermannstädter Hochschuldozentinnen an Germanistiktagung in Prishtina
Ausgabe Nr. 2644
Sicher kennen viele Hermannstädter Frau Ellen Tichy, die mehrere Jahre lang als DAAD-Lektorin an der Germanistikabteilung der Lucian-Blaga-Universität tätig war und sich dabei mit Elan ins gesellschaftliche Leben eingebracht hat. Dann war ihr Mandat zu Ende, eine neue Lektorin wurde an den Zibin entsandt. Doch zu Jahresanfang erreichte die Hermannstädter Germanisten eine Einladung nach Prishtina, der Hauptstadt des Kosovo, denn inzwischen ist Ellen Tichy dort als DAAD-Lektorin tätig. Doris Sava und Sunhild Galter machten sich schließlich auch tatsächlich auf, um an der Tagung „Germanistik in Südosteuropa und Mittelosteuropa – Bildung und Ausbildung für einen polyvalenten Arbeitsmarkt“ teilzunehmen, die vom 26. bis 27. September geplant war. Lesen Sie dazu den Bericht von Sunhild G a l t e r.
Nun, es war ein Erlebnis! Erst die Fahrt über Bulgarien und Nordmazedonien bis zu der scheinbar einem Fantasyfilm entsprungene Autobahn, die über viele Kilometer hin auf Betonstelzen durch ein enges Tal in den Kosovo hineinführt. Ein Modell für den Roten-Turm-Pass?! Das Land mit 1,7 Millionen Einwohnern, so groß wie etwa 2-3 rumänische Landkreise, ist in Bewegung. Überall wird gebaut, Straßen, Häuser, Wohnblocks, Hochhäuser, Brücken, Unterführungen … Das bedeutet natürlich auch endlose Staus und abenteuerliche Umleitungen, aber man weiß wenigstens, dass es der Zukunft dient. Prishtina hat statistisch gesehen 145.000 Einwohner, doch tagsüber strömen noch einmal Tausende aus dem Umland in die Stadt zur Arbeit.
An der 1970 gegründeten Hasan-Prishtina-Universität gibt es 13 Fakultäten, wobei die Tagung an der Philologiefakultät stattfand, zu der neben sechs anderen Abteilungen, wie Albanische und Türkische Studien, Journalistik u. a., auch die Germanistik gehört.
Alles war bestens vorbereitet. Zu den 14 Teilnehmenden mit Vorträgen gesellten sich noch mehrere Teilnehmer ohne Beitrag und ein Großteil der Mitglieder des Germanistik-Lehrstuhls aus Prishtina, die höflichkeitshalber aus Zeitgründen meist auf einen eigenen Beitrag verzichtet hatten. Es wurde vor allem intensiv darüber diskutiert, inwieweit das Germanistikstudium wirtschaftskompatibel werden soll und kann, da z. B. in Osteuropa fast alle Germanistikabsolventen von der Wirtschaft übernommen werden. Man besprach, was für Konsequenzen das für die Ausbildung und die Curricula mit sich bringt. Besonders beschäftigte alle die Frage, wie weit man mit der inhaltlichen Anpassung des eigentlich auf das Lehramt ausgerichteten Studiums gehen dürfe. Es war äußerst interessant zu hören, welche Antworten die verschiedenen Fakultäten darauf gefunden haben, unterschiedliche Meinungen prallten aufeinander, aber in gediegener, akademisch-argumentierter Art vorgetragen, so dass es zumindest für die derartiger Streitkultur entwöhnten rumänischen Teilnehmerinnen ein intellektuelles Vergnügen bedeutete.
Überhaupt kamen die Gespräche nicht zu kurz. Bei den Abendessen in jeweils einem der vielen, netten Restaurants in der Fußgängerzone konnte man die Gesprächsrunden fortsetzen, vor allem, da auch die Gastgeberinnen immer dabei waren. Und die Getränke zum Menü frei ….
Auch der touristischen Neugier wurde Rechnung getragen. Im Anschluss an die Tagung gab es eine wunderschöne Ausflugsfahrt durchs Land, an dem auch die elf deutschen Teilnehmenden an der DAAD-Sommerschule teilnahmen, wie auch die kosovarischen Studenten, die bei der Gestaltung von Sommerschule und Tagung mitgeholfen hatten. Kein Wunder, dass am Abend im Lokal alle zusammen, Lehrende und Studierende, In- und Ausländer, Jung und Alt, albanische Volkstänze tanzten, die von den rumänischen so verschieden nicht sind.
Besucht wurde das malerische Quellgebiet des Weißen Drin, nördlich der Stadt Peja, das serbisch-orthodoxe Kloster Visoki Decani, eine zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörende Anlage aus dem 14. Jahrhundert mit wunderbar erhaltenen Fresken und die Stadt Prizren, die mit ihrer Altstadt, der osmanischen Steinbrücke, der Festung hoch über der Stadt, der römisch-katholischen, der serbisch-orthodoxen Kathedrale, und der Sinan-Pascha-Moschee aus dem 17. Jahrhundert mit dem 42 Meter hohen Minarett für Touristen sehr viel zu bieten hat.
Da sich etwa 96 Prozent der Bevölkerung des Kosovo heute zum Islam bekennen, gibt es natürlich allerorten Moscheen und Minarette. Der Ruf bei Sonnenaufgang des Muezzin aus der sich unmittelbar neben dem Hotel befindenden Moschee war erst ungewohnt, gehörte aber schon am zweiten Morgen mit dazu zu dieser zum Teil fremden, zum Teil recht vertrauten Umgebung.
Zum Abschluss wurden nicht nur gute Wünsche, sondern auch Adressen und Vorschläge für künftige Treffen ausgetauscht, und ernst gemeinte Einladungen ausgesprochen. So hat diese Tagung außer dem wissenschaftlichen Gewinn auch ein Stück Völkerverständigung mit sich gebracht, was sehr zu begrüßen ist.
Ach, hatte ich erwähnt, dass der junge Mann von der Hotelrezeption erzählte er sei schon einmal in Rumänien gewesen, und zwar im Dracula-Schloss?
Sunhild GALTER