Streiflichter von der 17. Auflage des ProEtnica-Festivals in Schäßburg
Ausgabe Nr. 2638
An fünf Tagen – von Mittwoch, dem 21., bis Sonntag, den 25. August – lockte das vielfältige Angebot des ProEtnica-Festivals in Schäßburg tausende Besucher an. Zum 17. Mal richtete das geschichtsträchtige Städtchen in seiner malerischen Altstadt unter Mitwirkung von ca. 600 Beteiligten nun schon die Festivität aus – und das mit großartigem Erfolg.
Rumänien ist ein Land mit fast zwanzig Millionen Einwohnern. Viele von diesen sind jedoch im kulturellen Sinne nicht Rumänen, sondern gehören einer der 19 offiziell anerkannten nationalen Minderheiten an. Bemerkenswert, wenn man bedenkt, welche jüngere Geschichte das Land zwischen Pannonischer Tiefebene und Schwarzem Meer besitzt. Trotz Kommunismus und Ceaușescu-Diktatur konnte es sich seine ethnische Vielfalt bewahren, und nirgendwo kann man das Resultat besser bewundern als auf dem jährlich stattfindenden ProEtnica-Festival in Schäßburg. Nicht nur Rumänisch, auch etliche andere Sprachen wie Deutsch und Englisch waren zu hören, wenn man über den Museumsplatz vor dem berühmten Stundturm oder den Burgplatz, auf dem die große Bühne sich befand, flanierte. Alle möglichen Trachten, Hüte, Kleidungsstile und Gesichter waren ebenfalls präsent, was ein spannendes Gesamtbild erzeugte. Straßenmusiker mit Akkordeons, Flöten und weiteren Instrumenten sorgten für eine ausgelassene Stimmung unter den Besuchern, die sich derweilen bei der Umarmung einer Puppenspieler-Puppe fotografieren ließen oder die mittelalterlichen Gebäude bewunderten. Am Mittwoch Nachmittag ging es auf der geräumigen Bühne auf dem Burgplatz los: Nach einer kurzen, aber feierlichen Eröffnung mit allen Ehrenrednern wie dem Schäßburger Bürgermeister Ovidiu Mălăncrăvean, dem Cheforganisator des riesigen Projektes und Leiter des Interethnischen Bildungszentrums für Jugendliche (IBZ) Volker Reiter, dem Präsidenten der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen und EU-Parlamentsmitglied Loránt Vincze, Miruna Olteanu vom Rumänischen Kulturinstitut und weiteren Mitwirkenden begannen die Vertreter der 19 Minderheiten ihre jeweiligen traditionellen Darbietungen zu präsentieren. Die Deutschen wurden zunächst von der Tanzgruppe des Schäßburger Deutschen Forums repräsentiert, am Freitag dann auch kurz von den Hermannstädtern. Sie zeigten siebenbürgisch-sächsische Reigen- und Partnertänze und die jeweiligen regionalen Trachten; die Schäßburger in blau, die Hermannstädter in schwarz-weiß. Die Albaner präsentierten sich lustig und akrobatisch, und zeigten eine wunderbare Performance. Leider versagte kurz darauf die Technik, was den weiteren Verlauf für eine Weile verzögerte, jedoch tat das dem Fortgang am Ende keinen Abbruch. Nach der unfreiwilligen Pause, die von dem kompetenten Techniker-Team unter Hochdruck beendet wurde, ging es dann weiter mit den Mazedoniern. Diese sollten noch häufiger in den Tagen des Festivals auftreten, und verzauberten die Zuschauer mit abwechselnden Gruppentänzen und Gesangseinlagen. Der mazedonische Gesang hat eine recht in seinen Bann ziehende Wirkung, während die Frauen mit den weißen Kopfbedeckungen und den rot-schwarz-weißen Trachten rhythmisch Tücher in ihren Händen umher schwenkten. Die Männer in ihren hellenistisch anmutenden Faltenröcken spielten zwischendurch sogar Instrumente wie den Dudelsack und die Trommel, was dem Ganzen eine ganz besondere Note verlieh. Wie auch von vielen anderen Gruppen, wurde der Auftritt von einem gemeinsamen Tanz auf dem Burgplatz mit diversen begeisterten Besuchern abgeschlossen. Die Ruthenen, ein kleines aber stolzes, ostslawisches Volk wurden ebenfalls durch zwei Gruppen vertreten. Das Tanzensemble ,,Lastivocica“ aus Dărmănești stach auch durch das sehr junge Alter der auftretenden Mädchen und des noch kleineren Jungen, der stolz die ruthenische Flagge empor hielt, hervor. Weiße, bunt-bestickte Blusen und schwarze Röcke waren zu sehen, während die Mädchen kraftvoll ihre melancholisch wirkenden Lieder sangen. Interessant waren auch die Trachten der Polen, denn die Männer trugen traditionelle rote Schlapphüte mit Pfauenfedern im Revers. So gemächlich sie zu der Marschmusik begannen, so wild wurden die Bewegungen der Tänzer in Rot im weiteren Ablauf. Man kann getrost sagen, dass sie viel Feuer und Freude mitbrachten. Die Slowaken und Tschechen, die sich ein Ensemble teilten, standen dem aber in nichts nach; auch sie tanzten voller Energie und alberten auf charmante Weise auf der Bühne herum, die dem geneigten Zuschauer ein Lächeln ins Gesicht meißeln konnte. Die Tänze selbst wurden zudem höchst akkurat vorgetragen. Auch die türkischen Muslime, welche am Schwarzen Meer beheimatet sind, waren vertreten. Eine der Tanzgruppen, ,,Filizler“, konnte mit wunderschönen jungen Damen in roten Schleiern glänzen. Die orientalischen Bauchtänze waren äußerst ansprechend und professionell, und die gold-purpurnen Gewänder wirkten wie aus einem osmanischen Märchen. Die Griechen, welche über die Tage durch ganze acht Gruppen vertreten waren, sorgten mit ihren einzigartigen, jeweils unterschiedlichen Tänzen wie etwa einem atmosphärischen Feuertanz und der allseits bekannten Musik für große Unterhaltung und Beifall. Ein Mann mit griechischen Wurzeln war es auch, der am Donnerstagabend die Herzen der Besucher in Schwingungen versetzte: Ionuț Galani, ein Star der griechischen Minderheit in Rumänien, gab seine Lieder zum Besten und wurde dabei von Tänzern und Musikern unterstützt. Von den bereits Erwähnten abgesehen, traten auch Armenier, Bulgaren, Kroaten, Juden, Italiener, Ungarn, Roma, Serben, Tataren und Ukrainer auf. Jede dieser Gruppen präsentierte einzigartige, typische Tänze und Gesänge, welche die geballte Vielfalt und Plurikulturalität Rumäniens wiederspiegelten. Eindrucksvoll war auch die „Parade der ethnokulturellen Vielfalt“, welche jeden Abend zum Ende des Programms stattfand und eine Prozession von den verschiedenen aufgetretenen Teilnehmern, angeführt vom bekannten Stadttrommler Dorin Stanciu, quer durch die Altstadt führte. Abseits der Darbietungen fanden jedoch auch weitergehende Angebote zu den damit verbundenen Themen statt. Es gab Podiumsdiskussionen, Buchvorstellungen, Ausstellungen, Vorträge und am Freitag Abend sogar eine Veranstaltung des Verbands der Jüdischen Gemeinschaften aus Rumänien (FCER) in der Schäßburger Synagoge. Nach dem von Chasan Aurel Iovițu zelebrierten Schabbat-Gottesdienst überreichte Jose Iacobescu, der Präsident von B’nai B’rith România dem Hauptorganisator Volker Reiter die Medaille ,,Brücken der Toleranz“. Iacobescu bezeichnete das ProEtnica-Festival als eine Brücke der Verständigung und der Freundschaft.
Im Vorfeld hatte im Rahmen des 2019 erstmalig angebotenen ,,Literarischen Salons“ die Schäßburger Autorin Mariana Gorczyka ihren neuesten Roman vorgestellt: ,,Dincoace si dincolo de tunel. 1945″. Es ist der erste Roman in der Geschichte der rumänischen Literatur, der der Deportation der Deutschen aus Rumänien zur Zwangsarbeit in der Sowjetunion gewidmet ist. Es sprachen seitens des Polirom-Verlags die Redakteurin Ionela Mihai, seitens des Geschichtsmuseums Schäßburg Direktor Nicolae Tescula, die Schauspielerin Gianina Iconaru und die HZ-Chefredakteurin Beatrice Ungar lasen jeweils in rumänischer Sprache bzw. in deutscher Fassung eine Passage aus dem Buch.
Wie schon im letzten Jahr, war die hier weniger bekannte Minderheit der Sorben aus der brandenburgischen Lausitz in Deutschland durch Meto Nowak vertreten. Er war nicht nur als Ehrengast zugegen, sondern hielt auch eine Präsentation zu dem vielseitigen Thema „Schutz nationaler Minderheiten: Europäische Praxisbeispiele“, und erörterte die diversen Umgangsmethoden, welcher sich die einzelnen europäischen Nationen bedienen, um mit den jeweiligen Minderheiten korrekt umzugehen. Trotz mit EU-Beitritt einhergehender Verpflichtung, die Minderheiten zu schützen, so erklärte Nowak, obliege es jeder Nation, wie sie das tut. Dies sehe man auch an den verschiedenen Schulsystemen und den diversen Arten politischer Vertretung der Minderheiten, die sich weitestgehend je nach Land unterscheiden. Man müsse verstehen, fügte er hinzu, dass Minderheitenschutz nicht bedeute, dass diese bevorzugt würden, sondern vielmehr dadurch gleichgestellt werden.
Alles in Allem gesehen war ProEtnica 2019 ein voller Erfolg. Hunderte Menschen wirkten an ihr mit und abertausende Besucher strömten in den fünf Tagen in die Stadt. Nicht nur eindrucksvolle Tanzeinlagen und ausgelassene Stimmung machten sie aus – auch die weitergehenden Angebote verliehen ihr Tiefgang und Gravitas bezüglich ihres eigentlichen Zwecks: Der Abbildung der kulturellen Vielfalt, die Rumänien zu bieten hat und die für ganz Europa von großer Bedeutung ist. Einblick in das Geschehen bietet die Homepage des Festivals: www.proetnica.ro
Eingebettet in das Geschehen war in diesem Jahr das Projekt InterKultural. Eine knappe Woche lang verbrachten 16 Jugendliche, zehn von ihnen rumänische, sechs von ihnen deutsche Staatsbürger/innen, gemeinsam in und um Schäßburg eine ganz besondere Zeit. Das Projekt InterKultural, welches vom Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) organisiert wird, fand nun schon zum vierten Mal statt, doch zum ersten Mal mit der Unterstützung der Stadt Stuttgart. Cornelia Hemmann, die Regionalkoordinatorin des ifa, leitete dieses Projekt mit den Jugendlichen, mit der Unterstützung zweier Trainer vom Netzwerk Wir sind Europa; dem Kommunikations-Experten Pieter Boeder aus Athen und dem Kulturwissenschaftler Prof. Dr. Levan Khetaguri aus Georgien. Während die ProEtnica anlief, erarbeitete die Gruppe parallel dazu auf verschiedene Weisen Perspektiven und Eindrücke Europas. Was hält die Gesellschaft zusammen? Wo liegen die Unterschiede zwischen östlichen und westlichen Zivilisationen? Was ist der Unterschied zwischen Ethnizität und Staatsbürgerschaft? In mehreren Teams aufgeteilt, machten sie sich auf den Weg durch Schäßburg und fotografierten verschiedene Aspekte, die ihrer Meinung nach die Identität der Region am Besten verkörperten. Auch ein Tagesausflug in das etwa 20 Kilometer entfernte Dorf Malmkrog mit Besichtigung der Kirchenburg und einem gemeinsamen, traditionell-rumänischen Essen war Teil des Programms, wie auch tägliche Workshops und Diskussionen zu den Themen. Am Donnerstag gegen zwölf Uhr auf dem Gelände des Josef-Haltrich-Lyzeums: Bianca, Antonia, Natalie und Valerie sitzen zusammen an einem Tisch und überlegen sich ein Projekt, welches man zumindest theoretisch umsetzen könnte. Alle vier sind zwischen 18 und 29 Jahre alt und sprechen deutsch, wobei Bianca Rumänin ist. Die Aufgabe, die ihnen und den anderen Teilnehmer gestellt wurde, ist, ein Projekt zu erarbeiten, welches in einem leerstehenden Haus in Malmkrog, nämlich dem ehemaligen Schulgebäude entstehen könnte, welches sie dort gesehen haben. Es soll ein Projekt sein, das kulturellen Austausch auf progressive Weise fördert. Viele Ideen kommen zusammen: Sollte man vielleicht wieder eine Art Schule aufleben lassen? Wäre ein Museum die Lösung? Ein Kulturzentrum? Am Ende einigt man sich auf einen Ort, an dem Alt und Jung zusammenkommen kann, um Erfahrungen und Wissen wie etwa handwerklicher Natur weiterzugeben. Ein Ort des Austausches, der Interaktion, an dem nicht nur Rumänen, sondern auch Praktikanten, Neugierige und Freiwillige aufeinander treffen können. Die evangelische Kirche könnte hierfür ein starker Partner sein, finden die Mädchen. Im Anschluss präsentieren die Gruppen ihre Vorschläge in englischer Sprache: Europäische Werte, Kulturen, Migration, Austausch, Verständigung und Schlüsselwörter, die hier eine Rolle spielen. Dass einige Teilnehmer nur eine Sprache sprechen, ist kein Hindernis, denn es wird sofort übersetzt. Für die Projekt-Trainer Pieter und Levan ist vor allem ein positiver, Alternativen bietender Umgang mit Problemen wie „Hatespeach“ und Rassismus wichtig, als diese Themen aufkommen. Cornelia Hemmann betont später, das ganze Projekt solle junge Menschen aus Mehrheitsgesellschaften zusammenbringen. „Wir wollen sie auch handlungsfähig für die europäische Gesellschaft machen.“ Später am Abend, um 19 Uhr, kommt dann der große Moment im Schäßburger Schmiedeturm: Es ist aus den zuvor geschossenen Bildern ein ganze Fotoausstellung entstanden, die nun feierlich eröffnet wird. Die Teilnehmer begrüßen die geladenen Gäste, zu denen u.A. Staatssekretären Enikö Lacziko und Unterstaatssekretärin Christiane Cosmatu, wie auch der Geschäftsführer des DFDR Benjamin Jozsa gehören in drei Sprachen. Es wird ein selbstgedrehter Film gezeigt, in dem die InterKultural-Teilnehmer erzählen, was Europa für sie bedeutet und worum es in dem Projekt geht. Später präsentieren dann die zuvor gebildeten Gruppen noch ihre theoretisch umsetzbaren Projekte, die sie zuvor erarbeitet hatten. Die zwanzig Jahre junge Natalie ist mit dem Ergebnis der entstandenen Fotoausstellung zufrieden. Von ihr stammt ein Bild, auf dem ein Straßenschild für Pferdekutschen zu sehen ist. Es repräsentiert für sie Rumänien: ,,Wo sieht man so etwas denn sonst?” Andere fotografierten wiederum Menschen, Kirchen, sogar eine Synagoge. Dies alles zusammen soll das vielfältige und kulturreiche Rumänien wiederspiegeln.
Jan-Christian BREWER