Ausgabe Nr. 2635
Die von der Michael Schmidt-Stiftung veranstaltete Haferland-Kulturwoche hat nun schon seit sieben Jahren einen festen Platz in den Kalendern hunderter Besucher, und deren Anzahl ist tendenziell steigend. Es ist ein wichtiges Event, das Menschen von nah und fern für einige Tage in die historische Region in Siebenbürgen lockt und dazu beiträgt, die Traditionen und Bräuche der Siebenbürger Sachsen ins kollektive Gedächtnis zu rufen. Die Highlights in diesem Jahr zwischen dem 25. und 29. Juli fanden wohl ohne Frage in Reps, Deutsch-Kreuz und in Radeln statt, jedoch gab es auch viele kleinere Angebote, etwa in Arkeden, Deutsch-Weißkirch und in Meschendorf, bei denen u. a. Gottesdienste oder Ausstellungen zu erleben waren.
Am Freitag gab es etwa in Keisd einen musikalischen Brunch, wenngleich das Dorf genau genommen nicht im Hafer- sondern im Weizenland zu verorten ist. Zuvor jedoch fand in der Kirche ein Gespräch über die Gemeinschaft mit dem ehemaligen Kulturminister Theodor Paleologu (2008-2009) in rumänischer Sprache statt. Paleologu referierte eine ganze Weile vor den rund 50 Zuhörern, unter denen sich auch der Initiator und Präsident der gleichnamigen Stiftung, Michael Schmidt, sowie der Dechant des Schäßburger Kirchenbezirks Pfarrer Hans-Bruno Fröhlich, der Bürgermeister von Keisd, Ovidiu Șoaită, und der britische Botschafter, S. E. Andrew Noble, befanden, über das Wesen von Gemeinschaft und Gesellschaft, über den Unterschied aber auch über die Kohärenz dieser beiden Kategorien. Dafür ging er in der Geschichte weit zurück, bis zu der mythischen Figur des Aeneas, und schilderte das Wesen der Gemeinschaft an mehreren historischen Komponenten. Zudem eröffnete Paleologu verschiedene Perspektiven der Gemeinschaft, wie die der Nachbarschaft in Dörfern oder der globalen Gesellschaft. Anschließend wurden Wortbeiträge aus dem Publikum diskutiert. Nach ca. zwei Stunden fanden sich die Menschen dann auf dem Platz vor der Kirchenburg ein und man konnte die traditionellen sächsischen Tänze bewundern. Später ging es dann in Reps weiter, oder genau genommen oben auf der malerischen Burg. Hunderte von Besuchern strömten heran, um sich am kulturellen Programm zu ergötzen. Ab 16 Uhr standen vor dem Pfortenturm gleich zwei Blaskapellen bereit, die Bauernkapelle aus Reps und die evangelische Kirchenkapelle aus Sonnenburg/Zimbor, welche abwechselnd unter der zehrenden Nachmittagssonne auf Klarinetten, Querflöten, Posaunen und Trompeten spielten. Wenn man den unteren Burghof betrat, so erwarteten den Besucher in den angrenzenden Räumlichkeiten auch schon weitere Attraktionen. In der einstmaligen Waffenkammer zum Beispiel wurden alte Fotos in Schwarzweiß ausgestellt, die einst im Ort Reps aufgenommen worden waren, und im Speckturm waren einzigartige Zeugnisse der Glasmalerei zu bewundern. Wer es schaffte, den steilen Aufstieg bis zum Burgfried zu meistern, den erwartete ein grandioser Ausblick über das Haferland, den bereits die Erbauer des Kolosses auf dem Kohalmer Berg, die deutschen Kolonisten des 14. Jahrhunderts zu sehen bekamen. Zeitgleich wurde weiter unten ein buntes Programm angeboten. Kinder kamen auf ihre Kosten; es gab einen Ritter in mittelalterlicher Kluft mit Schwertern und Streitkolben, es wurden Tänze, Lieder, folkloristische Darstellungen aufgeführt und es gab ein Konzert mit Geigen und Klavier. Gegen Ende wurde es noch einmal ernster, als der Film „Deportaţii: Generaţii la răscruce“ von Cristian Amza gezeigt wurde.
Am darauffolgenden Tag verschlug es sehr viele Interessierte nach Deutsch-Kreuz. Der liebevoll restaurierte Ort, in dem heute vor allem Roma leben, bekommt wohl nur einmal im Jahr so viele Besucher zu sehen. Wunderschön ist die Struktur des Dorfes angelegt: Oberhalb des Ortskerns befindet sich die hübsche, kleine, gut instand gehaltene Kirchenburg, und noch weiter oben auf dem Hügel, etwas abgelegen, der alte Friedhof unter alten Bäumen. Von hier aus spielte die Blaskapelle aus Kronstadt ab 10 Uhr ins Tal hinunter und der Morgensonne entgegen ihre Lieder und läutete somit den Tag ein. Der Gottesdienst, der eine Stunde später begann, wurde sowohl auf deutsch als auch auf rumänisch abgehalten. Die Gesänge der Gemeinde, aber auch der des Chores Cantus Mundi, der später hinzu kam, ließen sich von den Klängen der gewaltigen Orgel aus dem Jahre 1822 begleiten. Bischofsvikar Dr. Daniel Zikeli selbst leitete die Messe und hielt eine bewegende Ansprache über Dinge wie die Angst und Verwirrung vieler Menschen in der heutigen, schnelllebigen Zeit, der man am besten mit Tugenden wie Mut, Vertrauen, Erkenntnis, Glaube und Liebe entgegen trete. Der Vikar erklärte im Anschluss an den Gottesdienst im Gespräch: „Die Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen sehe ich als eine gedeihliche. Und das aus dem einfachen Grund dass es sie noch gibt. Die große Auswanderung liegt ja schon Jahrzehnte zurück, und viele meinten damit sei auch die Geschichte zu Ende.“ Dies sieht der Geistliche jedoch ganz anders. „Die Gemeinschaft ist eine Verbindende, über die Grenzen hinweg. Sie ist nicht mehr beschränkt auf eine Region.“ Für die Zukunft wünscht er sich ausdrücklich, dass die Minderheit der Sachsen in der rumänischen Öffentlichkeit mehr Aufmerksamkeit erhalte, da sie bis heute und in die Obrigkeiten hinein nach wie vor kaum bekannt seien. Zudem müsse die Gemeinschaft der Sachsen weiter zusammen rücken, gerade angesichts der Probleme, die sie heute habe.
Nach dem Gottesdienst wurden die herausströmenden Teilnehmer von der Blaskapelle in Empfang genommen, während eine Gruppe in Trachten sächsische Tänze darbot. Zeitgleich begann auch in der alten Scheune, ebenfalls Teil der befestigten Anlage, eine Podiumsansprache mit vielen Ehrengästen wie Michael Schmidt und Peter Maffay, den Initiatoren und Schirmherren der Kulturwoche im Haferland, aber zum Beispiel auch Dr. Fernbach vom DFDB und Sylvia Stierstorfer, die Beauftragte der bayrischen Landesregierung für Aussiedler und Vertriebene. Die Bayerin nahm zum ersten mal an der Woche teil und zeigte sich „tief beeindruckt“ von der Landschaft, den Menschen und dem kulturellen Angebot. Im Interview erklärte sie: „Ich bin da um zu lernen, Neues aufzunehmen, die Gespräche zu führen. Es ist auch wichtig in der Politik nicht nur zu reden, sondern zuzuhören.“ Frau Stierstorfer ist um einen regen Dialog mit der sächsischen Gemeinschaft bemüht, da auch viele der Ausgewanderten heute im Freistaat leben. „Ich möchte in Bayern das erste Jugendforum für die Jugendlichen der Landsmannschaften aufbauen, um sie zu fragen, wie sie sich die Zukunft vorstellen, was wir verbessern können und welche Vorschläge sie für die Zukunft haben, wenn die ältere Generation mal nicht mehr da ist.“
Einer der bereits vor langer Zeit Ausgewanderten ist der Besucher Horst O. Der Siebenbürger Sachse lebt heute in Nürnberg, ist aber nach Rumänien gekommen, um u. a. an der Kulturwoche teilzuhaben. Er stammt aus Deutsch-Weißkirch und ist während der Reise durch seine Heimat „auf der Suche nach sich selbst“, wie er sagt. Die Kulturwoche ist für ihn „ein bedeutender Beitrag für die Kontinuität dessen, was das Sachsentum ausmacht. Es ist was Neues entstanden. Durch die Stiftungen wird das Sachsentum wieder bekannter. Auch die Tatsache, dass die anderen Minderheiten mit einbezogen werden, ist ein sehr gutes Zeichen.“ Er bezieht sich damit darauf, dass auch Roma und Ungarn ihre Tänze aufführen und damit ihre Kultur einbringen konnten. Horst selbst wanderte seinerzeit mit 19 Jahren aus, als er zu spüren bekam, wie die Berufsaussichten im kommunistischen Rumänien für ihn standen, woraufhin er sich ursprünglich zur Reise nach Kanada entschloss. Nachdem er sich in einem Schnellzug aus Bukarest hinter einer falschen Wand versteckt hatte und später in Deutschland angekommen war, bekam er in der Bundesrepublik die Staatsbürgerschaft und verblieb dort bis heute. Er überlegt zwar, ob er zurückkehren sollte, hadert jedoch mit der Entscheidung: „Wenn ich nach Rumänien käme, dann würden die Rumänen mich innerhalb von drei Monaten schaffen. Nervlich, und ich wäre bankrott.“ Vielleicht ist es ein ähnlicher Gedanke der auch viele andere Sachsen im Ausland beschäftigt und davon abhält, zurück zu kehren. Dennoch fühlt er sich hier heimisch.
Wie er auch genossen viele anderen Menschen den Rest des Tages in dem idyllischen Ort in der heißen Sonne; manch einer vergüteten sich an erfrischendem Eis, nachmittags gab es noch ein Cellokonzert und gegen Abend wurde auf dem Sachsenball das Tanzbein geschwungen.
Am Sonntag lud dann Peter Maffay, der erfolgreiche Rock- und Blues-Musiker mit Kronstädter Wurzeln, in das Dorf Radeln zum Tabalugahaus ein. Er hat hier das Ferienhaus, das den Namen des kleinen grünen Drachens trägt, vor Jahren für Kinder aus benachteiligten Verhältnissen bauen lassen, besonders viele von ihnen sind Roma. An diesem Tag jedoch waren vor allem Fans und Würdenträger zugegen. Manch einer genoss eine Bohnensuppe oder andere Gerichte während des regen Treibens, bis die Hauptveranstaltung dann los ging. Maffay war nicht um deutliche Worte verlegen, sprach davon, dass die Richtung seiner Stiftung stimme, und dass man auch gegen alle Widerstände zusammengewachsen sei. Man habe aber nicht nur eine Verantwortung den Kindern gegenüber, sondern auch dem Dorf selbst, in dem sich die Anlage befindet. Darum habe man bereits ein Ärztehaus etabliert, eine Tischlerei, eine neue Straße. Anerkennung und Glückwünsche wurden von den vielen Rednern geäußert: Herr Schmidt, Bodendorfs Bürgermeister Mircea Pălăşan, Frau Stierstorfer, Botschafter Cord Meier-Klodt und weitere Ehrengäste lobten Maffays Engagement für die Kinder und das Dorf in höchsten Tönen.
Die Haferland-Kulturwoche ist auch für den Rockmusiker eine großartige Sache, weshalb er sie mit unterstützt und ausrichtet. Jedes Jahr kommen etliche Menschen zu diesem Anlass nach Radeln und können sich von der Arbeit überzeugen. „Es ist eine Kette von Freundschaften entstanden. Eine Gemeinschaft von Menschen, die wirklich stetig an der Perspektive dieser Gegend arbeiten. Und diese Gegend hat enorm viel zu bieten. Und das müssen wir einfach ausnutzen.“ erklärte Maffay im Gespräch. Die Arbeit mit den und für die Kinder ist jedoch nicht nur darauf beschränkt: „Hier müssen wir uns, wenn wir existieren wollen, auch um das Dorf kümmern. Wir sind keine Städtebauer und keine Strategen, was wir aber machen können, ist Synergien zu schaffen und Leute von Außen, die sich für unsere Arbeit interessieren, dafür zu begeistern und deren Kraft zu nutzen. Es geht nur so.“
Das gesamte Angebot der Haferland-Kulturwoche wurde sehr positiv aufgenommen. Die Menschen erfreuten sich der Gelegenheit, zusammenzukommen und im Schatten der sächsischen Bauwerke den Austausch zu fördern.
Jan-Christian BREWER