Kurzbericht von einer Bildungsreise
Ausgabe Nr. 2629
Islam? In Rumänien? Was für die meisten Menschen relativ exotisch klingt, ist für viele Einwohnerinnen Rumäniens Normalität seit Jahrhunderten. Deshalb wollten bildungshungrige Reisende den kulturellen und religiösen Reichtum Rumäniens vor Ort kennenlernen. Das Institut für Caucasica-, Tatarica- und Turkestan-Studien aus Deutschland (ICATAT) führt seit 15 Jahren Bildungsreisen durch nach Tatarstan, in die Ukraine, in die Türkei und nun zum ersten Mal in die Republik Rumänien mit einem besonderen Fokus: Sieben Akademiker bereisten das Land auf den Spuren der Vielfalt, der nationalen und religiösen Minderheiten.
Startpunkt war Klausenburg. Das dortige Institut für Turkologie der Babeş-Bolyai-Universität mit Prof. Dr. Tasin Gemil als Leiter genießt weltweit einen exzellenten Ruf. Dr. Adina Fodor vom Zentrum für internationale Kooperation und Dr. Adriana Cupcea vom Rumänischen Institut für nationale Minderheiten-Forschung führten die Gruppe aus Deutschland in die Thematik ein. Da die Reise mit einem vergleichenden Blick auf die Vielfalt der Nationalitäten Rumäniens konzipiert wurde, gab es auch Treffen, auf denen die Ungarn, die Roma, Juden und Deutschen in Siebenbürgen als auch die Armenier, Tataren, Gagausen, Griechen und Türken in der Dobrudscha sowie deren Kultur und Geschichte thematisiert wurden. In Deutschland ist den meisten Bürgern nicht einmal bekannt, dass es vier nationale Minderheiten gibt: Die Dänen, Sinti und Roma, die Sorben und die Friesen sind sehr kleine Minderheiten und werden vom deutschen Staat unterstützt. Im Gegensatz dazu, so lernten die Reisenden aus Deutschland, ist fast jedem rumänischen Staatsbürger sehr wohl bewusst, dass Rumänien eine lange Tradition hat als Vielvölkerstaat und 18 Minderheiten zur Zeit im Parlament in Bukarest mit Abgeordneten vertreten sind. Lediglich die Türken und Tataren konnten aufgrund innerer Zwistigkeiten seit 2016 keinen Volksvertreter delegieren. „In Deutschland haben die Minderheiten nur politischen Zugang auf Länderebene“ so Dr. Peter Gischke aus Leipzig „Da kann Deutschland von Rumänien bezüglich Minderheitenpolitik noch etwas lernen“. Auch dass Rumänien eines der ersten Länder war, das die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen ratifiziert hat und welche Mechanismen es braucht, um Sprachen zu schützen und zu bewahren, wurde stark diskutiert.
Die Gruppe aus Deutschland, unter ihnen Turkologen, Historiker und Soziologen, schauten vor Ort auf die diversen interethnischen, ökonomisch-politischen und interreligiösen Beziehungen aus historischer und aktueller Perspektive. Im Vorfeld der Reise gab es einen Lese-Kurs zur Genese der Siedlungsgeschichte im Banat und Siebenbürgen sowie des Islam in Rumänien, zur rumänischen Landeskunde der Deutschen und Tataren. Zu Politik und ethnischer Vielfalt in Rumänien reiste die Gruppe sieben Tage von Klausenburg, Hermannstadt und Kronstadt nach Bukarest, Medgidia und Konstanza, diskutierte mit orthodoxen, lutherischen und katholischen Geistlichen, mit Akademikern, Studenten und Medienmachern über Erfolge und Schwierigkeiten bei der Transformation der Gesellschaft, über Xenophobie, Islamophobie und den Zustand der Zivilgesellschaft in Rumänien.
In Hermannstadt diskutierte die Gruppe mit dem Geschäftsführer des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, Benjamin Józsa, entdeckte die Schönheit von Park und Schloss Brukenthal und traf sich in der Redaktion der Hermannstädter Zeitung mit Chefredakteurin Beatrice Ungar. Beeindruckt von der prosperierenden Entwicklung in Siebenbürgen, von der Schönheit der Landschaft und ihrem architektonischen Kulturerbe bereiste die Gruppe dann Bukarest ebenso wie die Hochburgen des Islam in der Dobrudscha. In Bukarest gab es eine Diksussionsrunde mit Prof. Dr. Aledin Amet und Christiane Gertrud Cosmatu im Regierungs-Departement für interethnische Beziehungen und der Bukarester Imam empfing die Gruppe in der Carol-Hunchiar-Moschee. In Medgidia/Mecidiye diskutierte die Gruppe mit Prof. Metin Omer sowie der Schulleitung im Atatürk-Koleg und in Konstanza/Köstence gab es diverse Treffen mit Prof. Dr. Denis Ibadula, Prof. Dr. Nuredin Ibram, den Kultur-Aktiven der Saladin-Agiacai-Assoziation sowie der Multikulturellen Vereinigung Anticus unter Leitung von Taner Murat. Mit dieser Institution wurde in Konstanza als ein erstes Ergebnis der Bildungsreise ein Freundschaftsvertrag mit dem ICATAT-Institut unterzeichnet. Mit dem Institut für Turkologie der Babeş-Bolyai-Universität Cluj-Napoca wird ebenfalls ein Kooperationsvertrag vorbereitet und die Idee einer studentischen Sommerschule wird diskutiert: In Siebenbürgen und der Dobrudscha sollen deutsche, tatarische und rumänische Studierende gemeinsam lernen, schreiben, diskutieren für ein gemeinsames Europa der Vielfalt und des gegenseitigen Respekts. „Dafür hat sich die Reise mehr als gelohnt“ so Dr. Hotopp-Riecke vom ICATAT Magdeburg „Wir kommen gerne wieder!“.
Dr. Mieste HOTOPP-RIEKE