„Kein Denkmal für Gudrun Ensslin” im Gong-Theater aufgeführt
Ausgabe Nr. 2629
„Nach einer wahren Begebenheit“ konnte man zu Beginn der Aufführung lesen. Gudrun Ensslin gab es tatsächlich, denn in dem Theaterstück, einem Monolog von Christine Brückner (aus dem Band „Wenn du geredet hättest, Desdemona…“), erzählt die RAF-Terroristin Gudrun Ensslin von ihrem Leben. In die Rolle der Hauptperson schlüpfte dabei die Abiturientin von der Brukenthalschule, Flavia Muntean. Regie führte Johanna Adam-Hansel.
Flavia schien sich auf der Bühne außerordentlich in die Rolle der Gudrun Ensslin hineinzuleben, die während Isolationshaft und Hungerstreiks manchmal die Wände vergisst, sich in der Position wähnt, Drohungen auszusprechen. Erinnerungen an einen Mann, den sie verabscheut und ein Kind, das sie von sich gewiesen hat, sind scheinbar alles, was ihr noch bleibt. „Ich habe mein Kind einer großen Idee geopfert“, heißt es.
„Die Isolationshaft ist eine Illusionshaft geworden. Kein Denkmal für Gudrun Ensslin. Keine Zeile im Geschichtsbuch“, sagt sich die Hauptgestalt. Das soll jedoch anders kommen. Am Ende des Stückes knallen die Bomben laut und nach einer blutrünstigen Szene, wird das Stück beendet, indem die Hauptgestalt scheinbar beim Selbstmord doch noch wie ein „Denkmal“ auf einem Leichenhaufen präsentiert wird.
Das Stück muss man auf jeden Fall einmal selber erleben, denn die Regisseurin und die begeisterten Schüler scheinen gute Arbeit geleistet zu haben. „Flavia bat mich, ein One-Woman-Stück mit ihr zu machen. Ich habe den Text ausgesucht und dann haben wir das zusammengebaut und daran gearbeitet“, erklärte die Schauspielerin Johanna Adam-Hansel von der deutschen Abteilung des Hermannstädter Radu Stanca-Nationaltheaters, die u. a. Schauspielkunst an der „Ilie Micu“-Volkskunstschule in Hermannstadt unterrichtet. „Wir haben verschiedene Inszenierungen einstudiert, diese ist aber eine unserer besten“. Johanna hatte diese Rolle selber vor 18 Jahren in Temeswar als ihre Lizenzprüfung gespielt.
In einer Welt, in der die Medien immer wieder von Anschlägen und Gewalttaten berichten, scheint die Aufführung auf jeden Fall noch immer in die Gegenwart hineinzupassen.
Was den Hintergrund der Theateraufführung betrifft, so war in den 1960er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland eine Generation herangewachsen, die das Verhalten ihrer Eltern während des Nationalsozialismus kritischer betrachtete, der Kapitalismus, die parlamentarische Demokratie und die bürgerlichen Lebensformen wurden in Frage gestellt, Teile der Gesellschaft hatten eine ablehnende Haltung gegenüber der US-Politik verstärkt u. a. durch den Vietnam-Krieg. Es kam zu Studentendemonstrationen. Die Rote Armee Fraktion (RAF) war eine linksextremistische terroristische Vereinigung in der Bundesrepublik Deutschland, die für zahlreiche Morde, Geiselnahmen, Banküberfälle und Sprengstoffattentate verantwortlich war. Die RAF-Aktivisten waren der Ansicht, dass der „bewaffnete Kampf“ gegen den sogenannten „US-Imperialismus“ auch in Westeuropa geführt werden müsse. Gudrun Ensslin, eine Mitbegründerin der RAF, wurde 1972 verhaftet und 1977 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. In der so genannten „Todesnacht von Stammheim“ begingen sie und andere inhaftierte RAF-Mitglieder Selbstmord.
Werner FINK